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"Der Handel findet auch mit Kontodaten statt"

Angesichts des Skandals um die unerlaubte Weitergabe von Kontoverbindungen tausender Verbraucher hat die Verbraucherzentrale Bundesverband zu einem Umdenken im Umgang mit persönlichen Daten aufgerufen. Verbandsvorstand Gerd Billen sagte, in den vergangenen Jahren seien viele Bürger bei der Weitergabe solcher Informationen eher leichtfertig gewesen.

Gerd Billen im Gespräch mit Jochen Spengler | 13.08.2008
    Jochen Spengler: Als die Steuerbehörden vor einigen Monaten die CD mit den Daten der Liechtensteiner Steuersünder gekauft haben, da wurde das nur von sehr wenigen Politikern als "illegale Beschaffung" kritisiert, und die meisten von uns haben vermutlich schulterzuckend gesagt, wie die Steuerfahndung auch immer an die Daten gekommen sein mag, es trifft halt die richtigen. Nun aber ist der Verbraucherzentrale in Schleswig-Holstein eine CD zugespielt worden mit den Daten von 17.000 ganz normalen Bundesbürgern - Namen, Geburtstage, Adressen, Kontonummern und Telefonnummern.

    Am Telefon ist Deutschlands oberster Verbraucherschützer, Gerd Billen, der Vorstand der Verbraucherzentrale Bundesverband in Berlin. So heißt das offiziell. Guten Tag, Herr Billen.

    Gerd Billen: Guten Tag, Herr Spengler.

    Spengler: Herr Billen, was zeigt diese CD, die da aufgetaucht ist? Dass es in Deutschland einen schwunghaften Datenhandel gibt, das ja auf jeden Fall oder?

    Billen: Dass es in Deutschland einen schwunghaften Datenhandel gibt, das wissen wir schon seit längerem. Aber das Erschreckende ist, dass nicht nur mit Daten, mit Telefonnummern, sondern mit Kontonummern gehandelt wird, und da wissen wir eben, wie leicht es für Unternehmen ist, über Abbuchungen, über Einwilligungserklärungen sich direkt das Geld von den Konten der Verbraucher zu ziehen. Das ist etwas Neues, das wir bisher in der Form noch nicht kannten.

    Spengler: Wie kann man sich denn als Verbraucher selbst - auf den Staat kommen wir gleich, aber als Verbraucher selbst - vor so einem Datenhandel schützen? Geht das?

    Billen: Ja. Ich glaube, wir müssen umdenken. Wir haben in den letzten Jahren doch häufig auch selber sehr leichtfertig unsere Daten verschenkt und weitergegeben: Gewinnspiele, Anrufe. Wir haben Daten an Payback-Systeme weitergegeben. Also es gibt viele, die hungrig sind nach unseren Daten, und ich glaube, wir müssen und sollten hier selber sorgfältiger werden und nicht jedem, der uns das Goldene vom Himmel verspricht, dann im Gegenzug die wertvollen Daten (Name, Adresse und so weiter oder gar Kontonummer oder Kreditkartennummer) geben. Hier müssen Verbraucher umdenken schon bei der Frage "wem gebe ich meine Daten überhaupt in die Hand".

    Das andere ist, dass dann wie im vorliegenden Falle, wenn hier Abbuchungen erfolgen, wir unsere Kontoauszüge auch regelmäßig angucken sollten, was die meisten vermutlich ohnehin tun, um zu sehen: Hat irgendeine Lottogesellschaft, irgendein Call Center, Gewinnspielbetreiber hier Abbuchungen vorgenommen, denen wir nicht zugestimmt haben. Denn da zeigt sich eben: Der Handel findet nun auch mit Kontendaten statt. Wenn man die erst hat und den Namen, ist es bis zur Abbuchung nicht mehr weit.

    Spengler: Bei bestimmten Rabattkarten - Sie sprachen eben ja von den Payback-Systemen - unterschreibt man doch auch, dass die eigenen Daten weitergegeben werden dürfen oder?

    Billen: Das unterschreibt man und ich glaube, den meisten von uns ist gar nicht bewusst, was wir damit unterschreiben, an wen Daten weitergegeben werden können. Dieses Kreuz ist sehr schnell gemacht. Hier gibt es einen Streit auch mit den Betreibern solcher Kartensysteme. Wir meinen, dass man explizit ein Kreuz machen sollte, wenn man einverstanden ist mit der Weitergabe von Daten, aber dass zunächst mal Otto Normalverbraucher davon ausgehen sollte, die Daten werden nicht weitergegeben.

    Spengler: Es ist aber umgekehrt so?

    Billen: Es ist umgekehrt. Wer heute gar nichts macht, da werden die Daten weitergegeben. Man hat das Kleingedruckte schnell überlesen und das führt in vielen Fällen dazu, wenn sie ein Gewinnspiel zum Beispiel mitmachen - da wird ein Auto angeblich im Hamburger Bahnhof verlost und sie geben ihre Daten ein -, dass wildfremde Unternehmen, mit denen sie nie zu tun hatten, sie anrufen und sich darauf berufen, dass sie ihnen hier die Erlaubnis gegeben haben, mit ihnen in Kontakt zu treten.

    Spengler: Könnte, müsste der Gesetzgeber da eingreifen, indem er zum Beispiel gesetzlich vorschreibt: nein, man muss ausdrücklich die Einwilligung geben, dass die Daten weiter verwendet werden?

    Billen: Das ist eine Forderung, die wir an den Gesetzgeber richten, dass hier eine ausdrückliche Einwilligung erfolgen muss. Aber die Unternehmen, die Daten sammeln, müssen auch transparent machen, was sie mit Daten vornehmen, was sie mit Daten tun. Wir haben viele zunehmende Fragen von Verbraucherinnen und Verbrauchern, die merken, irgendwas geschieht mit ihren Daten und sie wissen nicht genau was. Aktuelle Beispiele sind Stromanbieter. Manche gerade Menschen mit geringem Einkommen, die zu einem günstigen Stromanbieter wechseln wollen, erfahren nun, dass der sie nicht nimmt, weil angeblich ihre Zahlungsfähigkeit schlecht ist. Wenn sie Pech haben und sie wohnen in einer so genannten falschen Straße mit einem hohen Anteil von Leuten, die ihre Rechnung nicht bezahlen können, haben sie auch Schwierigkeiten, Kredite zu kriegen. Hier ist großer Nachholbedarf in Sachen Datenschutz, in Sachen Verbraucherschutz. Hier muss mehr Transparenz hinein, aber auch mehr wirksamer Schutz für die Verbraucher.

    Spengler: Jetzt hat der Bundesdatenschutzbeauftragte Schaar vor allen Dingen die Banken kritisiert, den laxen Umgang mit Abbuchungen, und hat gemeint, die müssten die Plausibilität von Abbuchungsaufträgen überprüfen. Das kommt mir aber wenig praktikabel vor, sage ich mal, wenn jetzt Banken jede Abbuchung überprüfen sollen.

    Billen: Na ja, wenn die Bank sozusagen für mich ein Geschäft tätigt, dann würde ich schon erwarten, dass sie zum Beispiel bei einer Einzugsermächtigung überprüft, ob die Unterschrift stimmt.

    Spengler: Geschieht das denn nicht?

    Billen: Das geschieht in der Regel nicht. Die Formulare werden entgegengenommen. Die werden weiterverarbeitet. Hier findet in der Regel keine Prüfung statt. Insofern ist der Vorschlag, hier Stichproben zu machen, durchaus vernünftig und auch auszuwerten, wenn es zu Betrugsfällen kommt, dann die Kunden zu warnen vor dieser Art von Abbuchung, denn am Ende haben sie den Ärger. Das Geld ist erst mal weg. Sie müssen zur Bank, sie müssen es sich zurückholen. Insofern glaube ich, dass die Banken hier auch einen Beitrag leisten können.

    Spengler: Und wie kann man sie dazu bringen?

    Billen: Wir werden jetzt im Laufe der nächsten Tage sehen, was es mit dem Handel dieser Kontendaten auf sich hat, woher diese Daten kommen. Und wenn sich herausstellt, dass hier eben nicht nur mit Anschriften gehandelt wird, sondern mit kompletten Datensätzen, die Kontonummern enthalten, dann sind auch die Banken und Sparkassen gefordert, Vorschläge zu machen, wie sie diesem Missbrauch begegnen können - entweder durch Stichproben. Wenn sie es nicht freiwillig tun, dann werden wir natürlich auswerten, ob hier auch andere und neue Vorschriften durch den Gesetzgeber erforderlich sind, um die Verbraucher hier wirkungsvoller zu schützen.

    Spengler: Herr Billen, eines habe ich noch nicht verstanden. Sie haben gerade auch von Missbrauch gesprochen. Ist das eigentlich ein Missbrauch, der gesetzlich untersagt ist, oder müsste man auch gesetzlich dort noch etwas tun?

    Billen: Sicher ist es heute untersagt, dass ohne ihr Einverständnis mit ihren Daten irgendein wilder Handel getrieben wird. Niemand darf ihre Daten und erst recht nicht ihre Kontonummer weitergeben. Wenn das so ist wie im vorliegenden Fall, haben ja Verbraucher gegenüber einem Anbieter - in dem Fall einem Lotterieunternehmen - diese Daten angegeben und derjenige, der die Daten hat, hat sie anderen Betreibern angeboten.

    Spengler: Und das ist illegal?

    Billen: Das ist nicht zulässig. Ich muss immer mein Einverständnis geben für die Weitergabe von Daten. Insofern ist der Teil schon heute nicht in Ordnung.

    Spengler: Der Bund Deutscher Kriminalbeamter - wir haben es eben im Bericht gehört - fordert nun Datenfahnder, die in Unternehmen geschickt werden sollen, um den Umgang mit Kundendaten zu kontrollieren. Ist das ein guter Vorschlag, oder sagen Sie, auch das ist übertrieben?

    Billen: Wir haben Bereiche, in denen wir es mit halb kriminellen oder kriminellen Machenschaften zu tun haben, einer Flut unerlaubter, unerwünschter Telefonanrufe durch Call-Center, die den Verbrauchern Lotterieprodukte, neue Handy-Tarife und viele andere Dinge verkaufen wollen. Hier haben wir schon den Eindruck, hier finden illegale Machenschaften statt, und ich würde es deswegen begrüßen, wenn auch die Kriminalpolizei sich mit diesem Thema stärker und intensiver beschäftigt. Das ist eine neue Form von Gefährdung für die Verbraucher, insbesondere auch im Internet, und insofern ist hier mehr Sorgfalt und mehr Recherche nötig. Ob man nun überall Datenfahnder hinschicken muss, da habe ich meine Zweifel. Es gibt ja viele Unternehmen, die sich von sich aus freiwillig einem Datenschutz-Audit unterziehen, die also überprüfen lassen, wie der Umgang mit den Daten ist. Unser Eindruck zurzeit ist nicht, dass dies hier ein Massenphänomen ist, dass die meisten deutschen Unternehmen hier ständig gegen Datenschutz verstoßen, sondern es sind einzelne Fälle. Das Problem nimmt zu und wir haben eben auch kriminelle Strukturen, die in diesen Datenhandel zunehmend einsteigen.

    Spengler: Gerd Billen, der Vorstand der Verbraucherzentrale Bundesverband in Berlin. Herr Billen, herzlichen Dank für das Gespräch.

    Billen: Auf Wiederhören.