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Der Hörspielpreis der Kriegsblinden geht an Paul Plamper

Am Ende waren alle fast schockiert von so viel Harmonie: 17 von 19 möglichen Stimmen, ja, gab es das schon mal im Wettbewerb um den Hörspielpreis der Kriegsblinden? Paul Plamper ist das Kunststück gelungen, die sonst so streitlustige Jury - deren Mitglied ich in diesem Jahr wieder war -, in einen Chor seiner Bewunderer zu verwandeln. "Ruhe 1" heißt das Stück, über das ich im Hörspielkalender schon berichtet habe. Damals, im vergangenen Spätjahr, war es als begehbare Klanginstallation im Museum Ludwig zu erleben. Die Imitation eines Cafés, Tische mit Lautsprechern, aus denen die Stimmen der imaginären Gäste dringen, dann, hinter der Milchglasscheibe, unsichtbar eine Gewalttat: Ein Mann prügelt auf eine Frau ein. Wie reagieren die Cafébesucher? Wie steht es um ihre Zivilcourage?

Von Frank Olbert | 21.03.2009
    Die Brisanz des Themas überzeugte die Jury, aber vor allem die Umsetzung. Aus der Installation hat Plamper ein Hörspiel gemacht, das im Westdeutschen Rundfunk unter der Dramaturgie von Martina Müller-Wallraff produziert wurde. Das Raumerlebnis musste in die Linearität eines Radiostücks überführt werden, doch Plamper schafft es durch Schlaufen und Parallelmontagen, die Illusion eines Cafés aufrecht zu erhalten: "Ruhe 1" ist ein ganz außergewöhnliches Hörspiel, das genau kalkulierte Komposition mit Improvisation verbindet.

    Herr Plamper, die Installation im Museum Ludwig in Köln war gut besucht, unter anderem auch von Schulklassen?

    Es gab ein museumspädagogisches Projekt, da haben Schüler ausgehend von "Ruhe1" selber Situationen geschrieben, in denen es um Zivilcourage geht. Diese Dialoge haben sie mir auch geschickt und das war sehr toll zu lesen.

    "Ruhe 1" war zunächst einmal diese Installation, eine Simulation einer Cafehaussituation mit Tischen und Lautsprechern, aus denen die Stimmen kamen. Da konnte man als Museumsbesucher selbst bestimmen, wann man zu welchem Tisch geht. Im Hörspiel haben sie dagegen eine Linearität, sie haben einen Anfang und ein Ende. Welche Veränderungen musste das Ganze durchlaufen?

    Es musste eine gewaltige Veränderung geschehen. Das Ganze aus dieser Parallelsituation auf eine Zeitleiste von 45 Minuten zu überführen, erschien mir zunächst einmal unmöglich. Ich habe wirklich da gesessen wie der Ochs vorm Berg und habe mich über unsere Risikolust geärgert. Martina Müller-Wallraff, die Dramaturgin beim WDR, und ich hatten vorher gesagt: "Das ist gerade gut! Wir gehen in den Raum. Das wird uns neue Dinge erzählen und dann schauen wir, wie wir es im Radio umsetzen. Das wird spannend." Und ich habe das auch immer als spannend empfunden, aber die ersten Tage waren ein großes Fragezeichen. Irgendwann haben wir dann die Idee gehabt, die Dialoge hintereinander zu setzen und dazwischen das Geräusch eines zurückspulenden Tonbandes einzufügen. Im Nachhinein bin ich sehr froh, dass wir das zuerst im Raum gemacht haben, weil es mich sonst nicht zu dieser Form geführt hätte. Letztlich war es eine ganz, ganz tolle Herausforderung.

    "Ruhe 1" ist der erste Teil einer Reihe, die Sie planen. Wie geht es weiter?

    Ich möchte ausgehend von Momenten der Ruhe arbeiten. In "Ruhe 1" ging es um einen Moment der Ruhe als unbegrenzten Raum für Möglichkeiten und dann um das Drama, dass diese Möglichkeiten nicht wahrgenommen werden. "Ruhe 2" könnte mit Ruhe als der Unterdrückung von Inhalten umgehen, also mit Zensur im weitesten Sinn. Und dann hätte ich auch noch ein Projekt vorzuschlagen, wo es um Ruhe als Abwesenheit von Lärm geht und darum, wie relativ Ruhe ist.

    Im Radio ist Paul Plampers preisgekröntes Stück "Ruhe 1" das nächste Mal am Freitag, den 27. März zu hören, und zwar um 22.05 Uhr auf RB Nordwestradio. Der Verlag "Hörspielpark" vertreibt es als CD und als MP3-file. Mehr dazu unter www.hoerspielpark.de.

    Zwei weitere Hörspiele schafften es in die Endrunde beim Hörspielpreis der Kriegsblinden: In "Minutentexte", einer Produktion von Volker Pantenburg und Michael Baute für den Hessischen Rundfunk in Koproduktion mit dem Deutschlandfunk, übertragen die Autoren ihr gleichnamiges, sehr gelungenes Filmbuch ins akustische Medium. Prominente Fans von Charles Laughtons einziger Regiearbeit "Night of the Hunter" erzählen jeweils eine Minute des Films nach - das Radio als Klangkino.

    Nicht minder gelungen Jan Philipp Reemtsmas Textcollage "Holunderblüte", die er aus Schriften Arno Schmidts zusammengepuzzelt hat - eine Produktion des Saarländischen Rundfunks. Mit Edgar Selge als solistischem Sprecher gelingt eine Wiederentdeckung vor allem der satirischen und skurrilen Seiten Schmidts.

    Unter dem Vorsitz der Autorin Anna Dünnebier tagte die Jury des Hörspielpreises der Kriegsblinden in diesem Jahr in Köln - Träger des Preises sind der Bund der Kriegsblinden, eine Organisation, der mittlerweile auch durch Kriegsfolgen erblindete Nachkriegsdeutsche angehören, und die Filmstiftung Nordrhein-Westfalen. Neben sieben Blinden tagen sieben Kritiker und fünf Juroren, welche die Filmstiftung beruft. Der Preis wurde zum 58. Mal verliehen, und die fast einstimmige Entscheidung war, wie gesagt, phänomenal: "historisch" sagten einige, wenn auch ironisch. "Sozialistisch" meinten andere.