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Der Hund fühlt, aber denkt nicht

Tiere können kein Urteil fällen, also können sie nicht denken, meint Reinhard Brandt und beantwortet damit den Titel seines Buches "Können Tiere denken?". Es stand im Mittelpunkt eines philosophischen Buchsymposiums an der Universität Frankfurt am .

Von Mirko Smiljanic | 10.02.2011
    Wer sich mit sich mit Tieren näher beschäftigt, wird bescheiden. Tiere haben in den Jahrmillionen ihrer Existenz fantastische Fähigkeiten entwickelt: Je nach Art sind sie schneller und stärker, sie sehen, hören und riechen besser, gehen liebevoll mit ihren Nachkommen um, orientieren sich traumwandlerisch sicher an Land, in der Luft und in den Meeren.

    "Sie haben einen Bezug zu sich selber, das ist ganz eindeutig, sie haben einen Bezug zu der eigenen Position in einer Horde im Ranking, das heißt, das Einzeltier weiß um seinen Ort das Einzeltier weiß um seinen Ort innerhalb einer gestuften Horde und kann dementsprechend handeln."

    Außerdem, sagt Reinhard Brandt, Professor für Philosophie an der Universität Marburg, verfügen Tiere über Selbstbewusstsein. Es mache einfach keinen Sinn, wenn Lebewesen zwar Lust und Schmerz spüren, sich selbst dieser Gefühle aber nicht zumindest rudimentär bewusst seien.

    Reichen nun diese Leistungen aus, um beim Tier von einem denkenden Lebewesen zu sprechen? Nein, sagt Reinhard Brandt. Tiere mögen Fantastisches leisten, eines können sie aber nicht: Urteile fällen. Ein Beispiel: Menschen beziehen sich beim Denken immer auf Referenzobjekte, sie denken über etwas nach, über einen Stuhl zum Beispiel.

    "Und bei dieser Bezugnahme benutzen wir eine Form der Prädikation, wir sagen, der Stuhl ist blau, mit vielen Tausend Varianten, und von diesen Aussagen, Behauptungen oder Urteilen sind wir der Meinung, dass es in jeder menschlichen Sprache immer auch neben der Bejahung auch eine Verneinung geben können muss. Da kommt ein Kritiker, der sagt, nein, der ist doch gar nicht blau, der Stuhl."

    Genau das können Tiere nicht. Sie sind nicht in der Lage, Objekten Prädikate zuzusprechen - der Stuhl ist blau - und sich gleichzeitig bewusst zu sein, dass andere - Menschen oder Tiere - den Stuhl möglicherweise grün sehen.
    Obwohl auf dem Philosophischen Buchsymposium an der Universität Frankfurt am Main kaum jemand dieser These widersprach, provozierte sie Kritik. Henrike Moll vom Max Planck Institut für evolutionäre Anthropologie, Leipzig, wendet ein, dass es ja neben den Urteilen noch viele andere Varianten der Kommunikation gibt:

    "Da ist zum Beispiel das Sich-Bedanken beim Anderen, das Stellen von Fragen an den Anderen, wir machen Aufforderungen anderen Menschen gegenüber und bitten sie, uns vielleicht einen Gefallen zu tun, oder wir machen einfach Konversation. Also wenn ich Ihnen sage, schönes Wetter draußen heute, dann lade ich Sie damit nicht ein, diese Behauptung zu überprüfen auf ihre Richtigkeit, sondern es geht einfach darum, in ein Gespräch zu kommen und erwarte ich vielleicht, dass Sie das ebenso kommentieren und darauf irgendetwas antworten."

    Was keine Fundamentalkritik an der Position von Reinhard Brandt ist: Tiere können weder Urteile fällen, noch Fragen stellen, noch Konversationen führen. Henrike Moll sieht das Fällen von Urteilen in diesem Kontext einfach überbewertet. Falsch, sagt Brandt, der nachweist, dass die menschliche Kultur ohne die Urteilsfähigkeit nicht denkbar ist. Tiere nehmen an dieser Welt nicht teil, sie sind allenfalls Objekte unserer Forschung.

    Selbst angesichts der ja teilweise spektakulären kognitiven Fähigkeiten sieht Brandt Tiere nicht als denkende Wesen. Gleiches gilt für Täuschungsmanöver, von denen es ja im Tierreich nur so wimmelt. Der Marburger Philosoph wendet ein, dass Pflanzen ja ebenfalls tricksen und täuschen:

    "Das heißt, die eine Pflanze macht etwas, was für ihr Fortbestehen günstig ist, dadurch, dass sie so tut, als ob sie giftig ist. Das ist ein mit Darwin gut aufschlüsselbares Naturphänomen, das wir aber dann mit der Täuschungsmetapher bezeichnen. Das geht dann von der Pflanze zu den ganz sicher nicht strategisch bewusst vorgehenden Tieren über, und die Frage ist, wo landet das?"

    Ein interessanter Seitenaspekt ist die Frage, ob Babies - sie können ja auch noch nicht denken - und Tiere sich zumindest eine gewisse Zeit lang auf dem gleichen Entwicklungsstand bewegen. Henrike Moll ist skeptisch:

    "Also beispielsweise, wenn es um Kausalität geht, um das Verstehen der physischen Welt, da ist lange gesagt worden, dass das Kind und der Affe oder andere Tiere eine gewisse Zeit gleichauf sind und die Entwicklung ähnlich verläuft. Da ist aber doch die Frage zu stellen, ob das Kind nicht einen ganz anderen Ansatz wählt und nicht auch die physische Welt anders begreift, nämlich in kausalen Zusammenhängen, während das Tier nur Assoziationen herstellt zwischen Situationen und verschiedene Dinge miteinander perzeptuell in Verbindung bringt."

    Fazit: Tiere können keine Urteile bilden, also können sie auch nicht denken.

    "Also das ist das, was von einem denkenden Wesen gefordert wird, und da kenne ich kein Beispiel, das mich dazu zwingt, beim Tier das anzunehmen."

    Damit endet die Diskussion, obwohl im Hintergrund noch viele praktische Fragen lauern. Etwa die nach unserem Verhältnis zu Tieren. Sie mögen vielleicht nicht denken können, über Emotionen verfügen sie aber allemal. Und wer einmal Bilder aus Schlachthöfen gesehen hat, weiß, wie sehr Tiere leiden. Bei den Philosophen - und nicht nur da - haben solche Themen zurzeit keine Konjunktur:

    "Die Lippenbekenntnisse sind ja auch da, und dieses Problem wird ja unter Philosophen auch diskutiert und wird gesagt, ja wir müssten ja eigentlich den alltäglichen Umgang mit dem Tier entsprechend anpassen und verändern und sensibler sein, das Tier besser schützen, das ist dann aber auch schon bei der nächsten Bestellung im Restaurant zunichte gemacht oder vergessen."