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Der Kanzlerbungalow

Im ehemaligen Kanzlerbungalow in Bonn tafelten die wichtigsten Staatsmänner, wurden Wahlsiege begossen, Krisen und Koalitionen besprochen. Erhard, Kiesinger, Brandt, Schmidt, Kohl und Schröder - sie alle nutzten dieses Haus für private Empfänge, die meisten wohnten hier auch. Doch nicht jedem war es eine Freude, denn der avantgardistische Bau aus Stein und Glas sorgte stets für Kontroversen.

Von Adalbert Siniawski | 01.08.2010
    Deshalb richtete sich jeder Hausherr nach seinem Geschmack ein: Erhard konnte es nicht modern genug sein, während Kohl etwas mehr Gemütlichkeit brauchte. Wie die Kanzler bis zum Regierungsumzug 1999 im Bungalow lebten, das können sich mittlerweile auch die normalen Besucher anschauen. Das Gebäude im ehemaligen Regierungsviertel in Bonn wurde aufwendig saniert und ist seit gut einem Jahr für die Öffentlichkeit zugänglich.

    "Für alle, die vor Neugierde brannten, die ihn als Wohlstandspavillion schmähten und als ‚Ludwigslust' karikierten, kam in dieser Woche der große Augenblick: Die Öffentlichkeit erhielt Einblick in den neuen Bungalow für Bundeskanzler Erhard, im Park des Palais Schaumburg. Bei der offiziellen Schlüsselübergabe spiegelte das Gesicht des Hausherren Zufriedenheit."

    1964 war es, als der Bericht im Fernsehen lief - jetzt führt Alma Hannig durch den Kanzlerbungalow im ehemaligen Regierungsviertel in Bonn. Die Historikerin öffnet die schwere Glasschiebetür und bittet eine Handvoll Besucher herein.

    "Sie können gerne die Garderobe benutzen, es ist die Originalgarderobe. Falls sie etwas ablegen wollen, wir sind alleine hier, können sie gerne machen."

    Das einstöckige, flache Gebäude stammt vom Münchner Architekten Sep Ruf und gilt als Meisterwerk der Nachkriegsmoderne. Das "Wohn- und Empfangsgebäude des Bundeskanzlers" besteht aus zwei Teilen.

    "Und hier kann man das ganz schön sehen, wie Sep Ruf das geplant hat. Es sollten zwei gleich große Quadrate werden - die Kosten mussten gesenkt werden, deshalb wird der private Teil kleiner ausfallen -, die sind seitlich versetzt gebaut worden. Beide haben einen Innenhof: Hier haben sie einen Innenhof mit einem Außenkamin und da auf der anderen Seite haben sie einen Innenhof mit dem Pool."

    Filmausschnitt zur Eröffnung des Bungalows: "Der Bungalow ist maßgerecht und doch maßvoll. Er überrascht durch eine Konsequenz im Stil, die zweifellos in der Architektur leichter zu erreichen ist, als bei politischen Entscheidungen."

    Im Inneren dominiert die Schlichtheit: weiße Travertinböden, beigefarbene Klinkerwände und hellbraune Holzleisten an der Decke. Die Außenwände aus meterlangen, hohen Glasfenstern geben den Blick frei auf die grüne Parklandschaft. Offenheit und Transparenz prägen den Kanzlerbungalow - nach dem monumentalen Größenwahn der NS-Diktatur eine klare Botschaft des Maßhaltens. Ganz im Sinne von Ludwig Erhard:

    "Sie lernen mich besser kennen, wenn Sie dieses Haus ansehen, als etwa, wenn Sie mich eine politische Rede halten sehen. Nicht die Repräsentation ist das Entscheidende, sondern die menschliche Begegnung."

    Doch der avantgardistische Bau aus Glas und Stein gefällt nicht jedem - zu den Kritikern gehört Konrad Adenauer:

    "Ich fürchte, der brennt nicht mal. Da kann kein Mensch drin wohnen. Ich weiß nicht, welcher Architekt den Bungalow gebaut hat, aber der verdient zehn Jahre."

    "Dann kommen hier die repräsentativen Empfangsräume, also wo man die Gäste empfängt, wo man sich mit den Mitarbeitern trifft, Besprechungen auch hat."

    Filmausschnitt zur Eröffnung des Bungalows: "In dem Teil, der für Repräsentationen vorgesehen ist, wurde der Empfangsraum mit dem Musikzimmer verbunden. Sitzecken mit weißem oder schwarzem Leder gliedern die Räume. In einer Umgebung für zwei Millionen Mark wird der Kanzler sicherlich bald ein geeignetes Eckchen zum Nachdenken gefunden haben."

    "Die Möbel, die sie hier sehen, das war alles aus der Miller-Kollektion aus den USA, also einige werden sie erkennen, die berühmten Eames-Sessel. Die Tische sind noch die Originaltische. Sie sehen auch die Beleuchtung, das Beleuchtungskonzept von Sep Ruf. Also sehr dezente Deckenbeleuchtung, die gibt es durchaus, aber ansonsten indirektes Licht."

    Auf dem Boden liegen zwei hochflorige, helle Berberteppiche. Darauf mehrere Stehlampen mit weißen Schirmen, Glastische und die besagten Sitzmöbel. Im Hintergrund: ein Konzertflügel. Den Teilnehmern der Führung gefällt's.

    "Also ich wurde geboren, als der Bau gebaut wurde, und ich bin in so einer Architektur selber aufgewachsen. Also ich hatte dauernd die Schrankwände von unserer Familie, von den Eltern, vor der Nase und dachte: Diese Eames-Stühle, die kenne ich. Und die Lampen kenne ich, da habe ich eine von meiner Großmutter jetzt stehen. Es ist mein Leben, meine Zeit."

    "Hier ist dann eine dieser Wände, die man hochfahren kann. Das heißt: Hier konnte man den Raum komplett abschließen, dann hat man ein Musikzimmer. Und von diesem weiß man ja, dass Helmut Schmidt der Einzige war, der es wirklich als Musikzimmer genutzt hat, also selbst auch gerne hier gespielt hat."

    Jeder Kanzler, der den Bungalow bezieht, verändert die Räume nach seinem Geschmack. Kurt Georg Kiesinger lässt die Wände weiß Streichen, die Holzdecken mit Gipsplatten unterhängen und mittelalterliche Kunstwerke aufstellen. Helmut Schmidt dagegen fühlt sich wohl im Bungalow und wünscht sich das ursprüngliche Ambiente zurück. Helmut Kohl wiederum braucht etwas mehr Gemütlichkeit, mit mehr Holz, schweren Stoffen oder Elementen, wie sie im nächsten Raum zu sehen sind: Im Speisezimmer hängen unzählige, kleine Halogenlämpchen von der Decke.

    "Während bei Sep Ruf dieses indirekte Beleuchtungskonzept da war, hat sich Helmut Kohl für viel direktes Licht entschieden und er hat diesen Sternenhimmel dann in dem gesamten Bereich dann gehabt. Insgesamt hat er die Wirkung des Raums sehr stark verändert: Die Klinkerwände wurden alle mit Seidentapeten verkleidet. Dann hat man die Vorhänge ganz anders gehabt. Da haben sie die Vorhänge von Ludwig Erhard, hier dann die Vorhänge von Helmut Kohl. Dann kam ein Perserteppich dazu, der ganz anders von Stil her ist, ein runder Tisch, Stühle ganz anders ausgesucht, also die gesamt Wirkung ist eine ganz, ganz andere. Und sie haben gesehen, dass hier insgesamt viel mehr Möbel standen, Glasvitrinen, also wirkte das doch anders."

    Besucherin: "Erhard hatte, zumindest meiner Meinung nach, Geschmack. Während die Einrichtung von Helmut Kohl so überhaupt nicht meinem Geschmack entsprochen hat. Es passte nicht zu dem Bau. Während ich bei dem Bau das Gefühl hab: klare Linien und offen, sieht man dann plötzlich so Lämpchen, viele, viele Lampen von Kohl, und für mich ein bisschen zu kitschig für diesen Stil. Es passte nicht."

    Durch die Fensterfront im Speisezimmer fällt der Blick auf die Terrasse. Und dort: wieder zentimeterdickes Glas.

    "Ja, wenn wir auf die Terrasse schauen, sehen sie noch eine bauliche Veränderung, die mit der Situation in Deutschland zusammenhängt, und zwar aus dem Jahr 1977 sehen sie dieses Panzerglas, was angebracht wurde, um Helmut Schmidt vor den möglichen Angriffen der RAF zu schützen. Sie sehen ja: Von der anderen Rheinseite kann man komplett hier diesen Bereich einsehen. Und aus Sicherheitsgründen musste dann diese Panzerglaswand hier angebracht werden."

    Ex-Arbeitsminister, Norbert Blüm: "Ich hätte dort privat nicht wohnen wollen. Der offizielle Teil war eigentlich steif, und der Wohnbereich hatte den Charme einer Hundehütte."

    "Was er damit gemeint hat, schauen wir uns mal an."

    Durch eine Tür geht es in den zweiten Trakt des Kanzlerbungalows. Sofort ändert sich das Raumgefühl, denn die Decke hängt viel niedriger als im repräsentativen Teil. Ein Signal des Architekten Sep Ruf: Hier beginnt der private Bereich des Bundeskanzlers und seiner Familie - mit Speise-, Gäste-, Arbeits-, Schlaf- und Badezimmer. Die Räume wirken wie größere Abstellkammern.

    "Was auch ganz viele Besucher sofort anmerken, das ist mir persönlich nicht sofort aufgefallen, sind die schmalen Gänge und vor allem die schmalen Türen, das heißt, viele stellen die ganz böse die Frage, ob Helmut Kohl hier überhaupt durchgekommen ist."

    Und beim Gang durch den Hausflur sieht man aus den Fenstern zum Innenhof das frühe Streitobjekt: den Swimmingpool.

    Filmausschnitt zur Eröffnung des Bungalows "Was als ‚luxuriöser Prominentenpool' kritisiert worden war, entpuppte sich als bescheidenes Planschbecken, ganzjährig badefertig, mit einer größten Tiefe von 1,80 Meter ."

    "Also da ist ja der Pool, ja. Der ‚riesengroße Pool', von dem Kiesinger gesagt. Das wäre das einzig schöne, was ihm Erhard hinterlassen hat, also der Pool war von ihm am meisten genutzt worden."

    Kurt Georg Kiesinger: "Sechs Stöße Brust, Purzelbaumwende, sechs Stöße Rücken - täglich. Das ist herrlich, das ist ein wirkliches Geschenk Erhards."

    Anders als Kiesinger bevorzugen seine Amtskollegen dann doch das Badezimmer. Doch auch hier: keine Spur von Wellness-Oase. Nicht nur über die braunen Kacheln aus den 80er-Jahren lässt sich streiten. Auch hier fehlt einfach der Platz, zum Beispiel für eine getrennte Dusche. Um sich abzubrausen, muss der Kanzler immer in die Badewanne steigen.

    In diesen engen Zimmern hält es Helmut Kohl am längsten aus.

    "Er hat 16 Jahre lang hier gewohnt und zwar auch noch in der Zeit, als der nicht mehr Bundeskanzler war, das heißt: 98 wird er abgewählt. Wenn man sich das Kündigungsschreiben von seiner Ehefrau anschaut, von Hannelore Kohl, da sieht man das Datum: September 99."

    Kündigungsschreiben Hannelore Kohl: "Kündigung des Mietverhältnisses: Hiermit möchte ich Ihnen mitteilen, dass mein Mann und ich aus dem bislang von uns bewohnten Bungalow des Bundeskanzleramtes in Bonn mit Wirkung zum 30. September 1999 ausziehen werden."

    Hannelore und Helmut Kohl bleiben ein Jahr länger im Bungalow. Da könnte man meinen, es hätte den beiden hier besonders gut gefallen. Mitnichten, wie der Altkanzler in einem Interview berichtet - mit Blick auf die monatliche Miete von 3600 Mark. Helmut Kohl:

    "Der private Teil war völlig absurd: Er war sehr teuer - das musste der Bundeskanzler selbstverständlich bezahlen, darüber beklage ich mich auch nicht - aber es war halt gar nichts. Man ist wohl davon ausgegangen, ein Bundeskanzler hat keine Kinder. Es war gar keine Atmosphäre"

    "Willy Brand. Was glauben Sie, wie es ihm gefallen hat?"

    Besucherin: "Ich glaube, der passte hier rein."

    "Er passte hier rein? Willy Brandt und Gerhard Schröder sind die Einzigen zwei, die hier nie eingezogen sind. "

    Besucherin: "Ach, tatsächlich?! "

    Brandt bleibt lieber in seiner Dienstvilla auf dem Bonner Venusberg, die er schon seit seiner Amtszeit als Außenminister bewohnt. Und Schröder nutzt gelegentlich den repräsentativen Teil des Bungalows für Arbeitsgespräche, während nebenan noch Familie Kohl wohnt. Nach dem Regierungsumzug 1999 hat der Bonner Kanzlerbungalow als Amtswohnung und Ort für repräsentative Anlässe ausgedient.
    Vielleicht hätten die heutigen Besucher Interesse an der Immobilie?

    "Man gebe mir das nötige Kleingeld, und ich würde sofort einziehen. Und das Erste, was wegkäme, wäre das Panzerglas."

    "Ich finde die Transparenz schön, wenn man eben so ein tolles Grundstück hat. Also das gehört natürlich dazu."

    "Dann würde ich im privaten Bereich einige Wände rausnehmen und größere Räume draus machen und dann wäre das ein richtig schönes Haus."




    Info
    Wer den Bungalow in Bonn selbst begutachten möchte, kann jeden Sonntag an einer Führung durch das Haus teilnehmen. Eine vorherige Anmeldung ist erforderlich, denn die Teilnahme ist auf wenige Personen begrenzt. Weitere Informationen dazu beim Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn.