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"Der Kaufmann von Venedig" in Köln
Aus Theater wird Show

Die deutsche Geschichte hat ihn zu einer der schwierigsten Figuren im deutschen Theater gemacht: der Jude Shylock in Shakespeares "Kaufmann von Venedig". Der neue Kölner Intendant Stefan Bachmann hat nun das Stück auf die Bühne gebracht. Dabei ist aus dem Drama eher ein Musical geworden - um den Kern des Dramas kümmert er sich nicht wirklich.

Von Karin Fischer | 23.02.2014
    Schauspiel Köln im DEPOT in Köln-Mülheim
    Schauspiel Köln im DEPOT in Köln-Mülheim (Schauspiel Köln)
    Man kann verschiedener Meinung darüber sein, eines der schönsten Sonette von Shakespeare - "My love is a fever" - als Popschnulze an den Anfang zu stellen. Musizieren auf der Bühne ist ja im Theater seit längerem schwer in Mode, man zieht damit eine ebenso heutige wie gefühlige zweite Spur ein.
    Stefan Bachmann hübscht das Drama zum Musical (vielleicht sollte man auch sagen: Grusical?) auf, setzt in der Aufführung immer mal wieder schön-schräge Ironiezeichen und sagt damit aber auch, dass er sich um den Kern des Dramas nicht wirklich kümmern mag.
    Dafür wird viel Energie auf die skurrilen Nebenfiguren verwendet: Solanio und Solerio haben als synchronsprechendes Duo oder als sich aufplusterndes Geierpärchen große Momente, und die Entführung von Shylocks Tochter Jessica gerät zum humoristischen Glanzstück mit Schläfenlocken-Maskerade und (huch, Achtung!) Nazi-Uniform. (Aber das ist natürlich nur ein unverbindlicher Scherz aus der Klischee-Kiste.) Antonio ist ein relativ offen homosexueller Melancholiker mit Fuchspelz um den Hals, sein Freund Bassanio ein harmloser Bohemien im weißen Anzug. Portia sieht aus wie ein Glitzerengel im Tutu, und das Kästchenrätsel wird von drei nackten Grazien gespielt, die die Frage aufwerfen, ob ein neues Format "Brüstecasting" im deutschen Fernsehen nicht eine Chance hätte?
    Der größte Hit bei dieser Oberflächen-Politur aber ist das Bühnenbild von Thomas Dreissigacker, ein helles schmales Podest, das luftig wie ein Laufsteg über die ganze Breite der Halle gesetzt ist und gleichzeitig als venezianische Brücke fungiert, von der man urinieren oder unter der man seinen Rache-Gefühlen freien Lauf lassen kann.
    "Jetzt soll er sehen auf seine Pfandverschreibung!" – "Nun, ich bin sicher: Wenn er sie nicht einlöst, nimmst du ihm trotzdem nicht sein Fleisch. Wozu wäre das gut?" – "Fische zu fangen. Wird's auch sonst nicht stillen meinen Hunger, dann wird's stillen meine Rache. Er hat mich geächtet, er hat mich an einer halben Million gehindert. Mein heiliges Volk verhöhnt. Rache!"
    Bruno Cathomas als Shylock hat sich einen leicht gutturalen jiddischen Dialekt zugelegt und spielt den Juden mit heiligem Ernst und verspielter Chuzpe. Gleichzeitig kultiviert er seinen Hass, von dem sichtbar wird, dass er von sehr weit herreicht. Cathomas ist gespielt unterwürfig und verschlagen, ein Unsympath mit gemütlichen Anteilen, er singt, lacht, rechnet, und Antonios Ruin macht ihm ebenso große Freude wie die Prasserei seiner Tochter ihm Schmerz bereitet. Sein berühmter Monolog klingt verständig, doch der Rachegedanke wird heftig ausgestoßen wie gespuckt. Zum Showdown vor dem Dogen bindet er sich eine riesige Metzgerschürze um.
    Das Problem dieser Figur ist, dass sie zu wuchtig und echt und zu wenig Karikatur ist, um zum spielerischen Ansatz der Aufführung zu passen. Cathomas rettet das Stück, legt so aber auch die Schwäche der Inszenierung bloß, die vor Einfällen wimmelt, aber keine Haltung einnimmt. Spaß oder Ernst? Stefan Bachmann scheitert an einer Frage, die bei "Wer wird Millionär" die 500 Euro-Frage wäre. Das kommt davon, wenn man aus Theater Show macht.