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Der King stirbt nie

Die Begeisterung und Hysterie um den vor 75 Jahren geborenen Star Elvis Presley ist ungebrochen: Sein ehemaliger Wohnsitz Graceland ist das am zweithäufigsten besuchte Anwesen in den USA. Mehr als 30.000 Elvis-Imitatoren leben in den Vereinigten Staaten.

Michael Kleff im Gespräch mit Gerwald Herter | 08.01.2010
    Gerwald Herter: Elvis lebt - davon sind seine Fans überzeugt. Mit etwas mehr Abstand kann man wohl sagen, dass zumindest die Verehrung des King of Rock 'n' Roll lebendig geblieben ist. Unabhängig davon steht fest: Elvis Presley wäre heute 75 Jahre alt geworden. Im hessischen Friedberg erinnert man sich besonders gut an den King, weil er dort seinen Wehrdienst ableistete. In den USA kann man seinen Wohnsitz Graceland immer noch besichtigen und zum Beispiel sollen mehr als 30.000 Elvis-Imitatoren in den Staaten bis heute gutes Geld verdienen.

    Abseits von Trittbrettfahrern, Fankult und Kommerz stellt sich aber die Frage, was vom Musiker Elvis Aaron Presley, was von seinen Songs geblieben ist. Der Musikjournalist Michael Kleff weiß genau bescheid. Mit ihm bin ich nun in New York verbunden. Guten Morgen, Michael Kleff.

    Michael Kleff: Guten Morgen!

    Herter: Herr Kleff, Elvis Presley gilt als der Star des Rock 'n' Roll. Manche sagen, er sei der Erfinder des Rockabilly. Wie groß aber ist sein Einfluss auf die moderne Musik des 21. Jahrhunderts?

    Kleff: Der Einfluss ist auf jeden Fall da, weil er ja die Grundlagen für ein ganzes Musik-Genre gelegt hat seinerzeit, als er angefangen hat, geboren aus dieser sogenannten Rockabilly-Bewegung heraus. Das war damals in den 50er-Jahren so eine Art Fusion zwischen weißem Country und schwarzem Rhythm and Blues, und daraus ist ja Rock 'n' Roll geworden und er war einer der Vertreter, der damit ganz groß geworden ist. Und nicht umsonst sagen ja auch Leute nach ihm, wie wichtig Elvis Presley für sie war.

    Bob Dylan hat ihn zum Beispiel verglichen mit dem Abwerfen aller Fesseln, dem Ausbruch aus dem Gefängnis, hat er mal gesagt, nachdem er Elvis gehört hatte. Oder John Lennon meinte, vor Elvis gab es nichts und ohne ihn hätte es die Beatles nie gegeben. Also da ist schon eine ganze Menge Verehrung, natürlich auch ein bisschen Verklärung mit drin. Aber ohne Frage hat er damals in den 50er-Jahren natürlich die Musik umgekrempelt - in mehrerer Hinsichten. Man muss auch zurückdenken: USA, ein prüdes Land, ein konservatives Land, und dann kommt Elvis the Pelvis, Elvis das Becken, daher und bewegt sich ekstatisch von der Hüfte nach unten.

    Das hat zu einem Aufschrei der Eltern, der Lehrerverbände geführt. Viele Fernsehstationen haben Elvis nur noch von der Hüfte aufwärts gezeigt, weil sie das dem Publikum nicht zumuten wollten.

    Herter: Also das war wirklich so skandalös? Das wird nicht etwa im Nachhinein übertrieben?

    Kleff: Nein, in keiner Weise, wobei: Wenn man das vergleicht, mit heute, wenn man das zum Beispiel mit Punkmusikern vergleicht, was da in Hotels teilweise vor 20 Jahren passiert ist, da war Elvis Presley Musterschüler dagegen.

    Herter: Wie schön! - Hat Elvis mit seiner Musik - Sie haben das kurz angesprochen - tatsächlich auch Rassenschranken überwunden, weil es eine Mischung war aus schwarzen und weißen Einflüssen?

    Kleff: Das hat sicherlich, ja, auch etwas zu tun mit seinem Produzenten Sam Phillips, der ihn ja mehr oder weniger in den damaligen Sun Studios entdeckt hat, wo er dann seinen ersten Erfolg "That's all right" aufgenommen hat. Der war damals sehr darauf bedacht, in den weißen Markt mit schwarzer Musik einzudringen, und da war natürlich ein weißer Musiker, der in gewisser Weise schwarze Musik macht, geradezu ideal, um hier in diesen Markt einzudringen und auf diese Art und Weise indirekt natürlich auch Barrieren einzureißen.

    Herter: Sein Leben hatte ja zweifellos etwas von einem Hollywood-Drehbuch: Ein armer Arbeiterjunge, der verschämt in der Waschküche Gitarre übt, wird zum umjubelten Star. Wie wichtig war diese Geschichte für seinen Erfolg?

    Kleff: Interessant ist ja zu sehen, dass seine soziale Stellung am Beginn eigentlich noch schlechter war als die eines Schwarzen. Selbst viele Schwarze guckten auf die Familie Presley herab, weil sie so arm waren. Und dann kommt er wie ein Märchenprinz eben nach oben und wird reich und berühmt, und hier werden ja auch Vergleiche, meiner Ansicht nach, sichtbar zum Schicksal von Michael Jackson, wo eben Erfolg und Tragik ganz dicht beieinander sind, wo jemand so viel Erfolg hat, dass er dann auf einmal in einer Welt lebt, die mit dem Rest der Welt, mit der Realität nicht mehr viel zu tun hat.

    Wenn man die Karriere von Elvis Presley dann betrachtet nach seiner Rückkehr aus Deutschland 1960 und sieht, wie er immer einsamer eigentlich wird, was ja seine Frau, von der er sich hat später scheiden lassen, auch noch mal deutlich gesagt hat - er war berühmt und bekannt und ein großer Entertainer, aber er war einsam als Mensch. Daran kann man eben auch sehen, wie schwierig es offensichtlich für Menschen manchmal ist, mit Erfolg umzugehen. Seine Medikamentenabhängigkeit, die ihm letztendlich den Tod auch eingebracht hat, zeigt das ja auch. Auch hier Vergleiche zu Michael Jackson.

    Herter: Sie haben es angesprochen. Er hat in Deutschland seinen Wehrdienst abgeleistet. Dabei hat er einen, so weit ich weiß, ziemlich illegalen Auftritt außerhalb der USA hinter sich gebracht. Ansonsten interessant, dass er eigentlich nur in den USA aufgetreten ist.

    Kleff: Ja, mit einer Ausnahme - wahrscheinlich. Mir war das eigentlich auch gar nicht so bewusst. Erst als ich mich damit beschäftigt habe, wurde mir das auch noch mal klar, dass dieser Weltstar nie eine Welttournee gemacht hat. Er ist nur in Kanada einmal aufgetreten, in Ottawa, Toronto und noch einer Stadt, und er hat 1958 in Deutschland ein inoffizielles Konzert gegeben in einem kleinen Ort, im oberpfälzischen Grafenwöhr, in der Micky Bar, so soll sie geheißen haben.

    Das musste aber inoffiziell stattfinden, weil Presley laut Vertrag während seiner Zeit bei der Armee nicht auftreten durfte. Es gibt sogar noch Leute, die dabei waren. Die werden sicherlich auch irgendwo zu Wort kommen und darüber erzählen.

    Herter: In Grafenwöhr sind ja immer noch amerikanische Soldaten stationiert. Sie haben sein Ende angesprochen. Am 16. August 1977 ist Elvis Presley gestorben. Zu seiner Beerdigung kamen 80.000 Menschen und seitdem hält der Rummel, wenn ich es mal so ausdrücken darf, an, auch abseits von Geburtstagen, oder?

    Kleff: Ja, das kann man so sagen. Es gibt viele Bundesstaaten, über ein Dutzend, die sogar einen offiziellen Elvis-Presley-Tag haben, am Geburtstag von ihm, und es gibt eine Lobby von über 150 Fanklubs, die darum werben, dass alle anderen US-Staaten das auch noch einführen. Und wenn man den Wirbel in Memphis um Graceland betrachtet, das ist schon so eine Art Disneyland. Sie haben es eingangs erwähnt, wie viele Menschen dort jährlich hinkommen.

    Es ist ein richtiger Wallfahrtsort geworden und nach dem Weißen Haus, sagt die Statistik, sei Graceland das am zweithäufigsten besuchte Anwesen in den USA. Dann ist auch noch interessant, dass sieben Prozent aller Amerikaner - das sind etwa über 20 Millionen - glauben, Elvis lebt eigentlich noch. Das zeigt auch so ein bisschen etwas von diesem Mythos, den diese Person, diesen Menschen umgibt.

    Herter: Was macht den Mythos Elvis Presley sonst noch aus?

    Kleff: Ich glaube, der Mythos ist sehr eng verbunden mit dem uramerikanischen Traum, mit dem Traum, dass alle Menschen gleich sind, das was Thomas Jefferson in der Unabhängigkeitserklärung so schön festgehalten hat, und dass sie alle das Recht nach dem Glück als ihr Gottes gegebenes Menschenrecht haben.

    Das alles personifiziert sich irgendwie in der Geschichte auch von Elvis Presley, wenn man seinen Aufstieg von der Armut in den Reichtum sieht, und das macht vielleicht auch die Faszination aus, dieses Bewusstsein gerade in der amerikanischen Bevölkerung, dass jeder glaubt, egal wie arm er ist, er könnte es vielleicht doch vom Tellerwäscher zum Millionär bringen, auch wenn man das mit etwas Abstand betrachtet genau weiß, dass das natürlich nicht klappen wird. Aber dieser Glaube ist fest verwurzelt hier und das erklärt, glaube ich, auch ein bisschen die Begeisterung und Hysterie um solche Stars wie Elvis Presley.

    Herter: Das schlägt sich nieder in einem Titel, den Sie herausgesucht haben für uns?

    Kleff: Ja. Das Lied heißt "An American Trilogy" und ich habe an dieses Lied gedacht, weil all die vielen anderen Erfolge, ob "Hound Dog" oder "Heartbreak Hotel", die werden wahrscheinlich rund um die Uhr gespielt. Aber dies ist ein Lied, das Elvis Presley 1972 als Single veröffentlicht hat, und es ist eine Art Medley. Drei verschiedene Stücke verbindet Elvis Presley hier, ein Dixie, das ist so der Countryblues der Südstaaten, dann die Melodie von "The Battle Hymn of the Republic", das war ein Marsch aus dem amerikanischen Bürgerkrieg, und "All my Trials", ein Sklaven- und Wiegenlied.

    Und hier beschwört Presley auf diese Art und Weise in gewisser Weise die Einheit von Nord- und Südstaaten, von Weißen und Schwarzen, von Arm und Reich, und letztendlich ist das ganze aber eine Illusion, auf die auch viele Rockkritiker wie der bekannte Greil Marcus mal hingewiesen hat, dass eben diese Grenzen tatsächlich aber bestehen und dass Elvis Presley versucht, die einfach durch seine Musik zu übertünchen, weil er selbst eben auch keine Haltung einnimmt, weil: Er hat sich ja politisch auch nie geäußert.

    Herter: Vielen Dank! - Michael Kleff, Musikjournalist in New York, über Elvis