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Der König der Katzen und Kinder

Balthus' Porträts von minderjährigen Mädchen in neckischen Posen sind so gekonnt wie verfänglich. Ob diese Anrüchigkeit nur hineininterpretiert ist, bleibt jedem selbst überlassen. Nun werden seine Werke in New York gezeigt.

Von Sacha Verna | 28.09.2013
    Mitsou hiess die erste Katze in Balthus’ Künstlerleben und Thérèse Blanchard das erste Mädchen. Mitsou fand Balthus, damals noch Balthasar Klossowski und elf Jahre alt in den Strassen von Paris. Der Streuner brach ihm das Herz, indem er bald wieder weglief, was Klein-Balthus dazu brachte, den Verlust in zwanzig berühmt gewordenen Tuschzeichnungen zu verarbeiten.

    1935 war Balthus siebenundzwanzig Jahre alt und Thérèse Blanchard elf, als sie dem Künstler zum ersten Mal Modell sass. Bis 1939 malte Balthus zehn Porträts von diesem Mädchen aus seiner Nachbarschaft und begründete damit seinen Ruf als Humbert Humbert der Kunstgeschichte. Lolitas in neckischen Posen entwickelten sich zu einem seiner Hauptmotive. Doch hält Sabine Rewald vieles von dem für reine Projektion, was an Anrüchigkeit nach wie vor in die Bilder dieses französischen Malers hineininterpretiert wird, der 2001 in der Schweiz starb:

    "Er war glücklich verheiratet, hatte zwei Kinder, aber liebte es, diese Stadien zu malen, dieses Stadium der Kindheit, zwischen Kindheit und Erwachsensein."

    Sabine Rewald hat die Ausstellung zu Balthus’ Katzen und Mädchen im Metropolitan Museum kuratiert.

    "Ich glaube, er fühlte sich sein ganzes Leben lang selber noch als ein Kind. Er schrieb mal in einem Brief, als er vierzehn war: "Ich wünschte, ich könnt ein Kind für immer bleiben." Und ich glaube, er hat die Welt nie mit anderen Augen gesehen, als die Welt seiner Kindheit, die ihn so sehr beeindruckt hat."

    Unverfänglicher als die Nymphchen auf den vierunddreissig versammelten Bildern sind die Katzen:

    "Das erste Selbstporträt von ihm zeigt ihn mit einer Riesenkatze, die ihn immer durch die Dachluke besuchte hat. Und Balthus war ein Katzennarr. Er hat viele Bilder gemalt, in denen die Katze eine Art Selbstporträt ist."

    "Der König der Katzen" lautet der Titel dieses Selbstporträts von 1935, das Balthus stehend im schwarzen Jackett zeigt, eine Hand an der Hüfte, und eine Katze, die ihren Kopf an seinem Knie reibt.

    Die Originale der vierzig Mitsou-Zeichnungen sind in dieser Ausstellung zum ersten Mal zu sehen. Man glaubte sie verschollen, nachdem Rainer Maria Rilke sie 1921 in einem Buch veröffentlicht hatte. Der deutsche Dichter war ein Freund der Familie und vorübergehend der Liebhaber von Balthus’ Mutter und verfasste selber das Vorwort zu dem Buch. Die schwarz-weiße Katzenidylle, die zum Katzendrama wird, ist in saubere Quadrate auf zwölf mal fünfzehn Zentimeter grossen Blättern gedrängt und wirkt wie eine Mischung aus Comicstrip und Holzschnitten von Félix Vallotton.

    Balthus war ein Wunderkind und blieb eine Ausnahmeerscheinung:

    "Er war nicht beeinflusst von der Abstraktion. Er war beeinflusst von der Renaissance, Piero della Francesca, Poussin und Courbet. Jemand der entgegen seiner Zeit, ein Aussenseiter, ein wirklicher Aussenseiter."

    In ihrer Altmeisterhaftigkeit und formalen Strenge zeugen besonders Balthus’ frühe Werke von der Könnerschaft eines Malers, der in einer Raum- und Zeitkapsel zu arbeiten schien. Die Oberflächen der Bilder sind so straff wie Babyhaut und die Kompositionen so sorgfältig inszeniert wie Kammerstücke. Sei es Thérèse, die sich selbstvergessen auf einer Bank reckt, oder eine junge Kartenspielerin mit wissendem Lächeln.

    Mit den Jahren verschwimmt Balthus’ Realismus. Das Abgebildete verflacht und die Leinwände werden grösser. Die Ausstellung endet mit Akten von Mädchen vorm Spiegel und Mädchen am Fenster aus den späten 1950er Jahren - mal mit, mal ohne Katzen. Die Spannung zwischen Pinselstrich und sexueller Suggestion ist da einer pastelligen Plumpheit gewichen, als hätte sich Balthus als Kaugummiblasen-Botero versucht.

    Es wäre freilich verfehlt, Balthus als Palettenschwinger mit schlüpfrigen Fantasien abzutun oder als Phänomen ohne künstlerische Gültigkeit. Diese konzentrierte Ausstellung beweist, dass es auf Balthus’ gelungensten Werken viel anzuschauen gibt - und zwar nicht nur Katzen und Mädchen.
    Besucher des Kölner Museum Ludwig stehen 2007 vor "Therese, träumend".
    Besucher des Kölner Museum Ludwig stehen 2007 vor "Therese, träumend". (picture alliance / dpa / Oliver Berg)