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Der "Krimi" um das bundesweite Programm

Am 1. April 1963, also vor knapp 50 Jahren, nahm das ZDF seinen Sendebetrieb auf. Der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer hätte sich am liebsten einen regierungsnahen Kanal aufgebaut - aber es kam anders.

Von Vera Linß | 30.03.2013
    "Guten Abend, meine Damen und Herren! Ohne eine feierliche Eröffnung, vielmehr mitten aus dem Alltag der Arbeit, begrüße ich Sie als Zuschauer des Zweiten Deutschen Fernsehens, dessen Zeichen mit den zwei Antennenmasten und den beiden Augen Sie schon kennen, und gebe den Bildschirm für unser erstes Programm frei."

    Karl Holzamer, der Gründungsintendant des Zweiten Deutschen Fernsehens am 1. April 1963. Ganz so selbstverständlich, wie seine Begrüßungsworte klingen, war der Start des ZDF allerdings nicht. Erst das Bundesverfassungsgericht hatte den Weg freigemacht – gegen die politischen Bestrebungen von Bundeskanzler Konrad Adenauer. Dem war schon das allzu unabhängige Gemeinschaftsprogramm der ARD ein Dorn im Auge, wie er unverhohlen auf einem CDU-Parteitag im April 1960 erklärte. Dabei zitierte er aus der britischen Presse, die über die Bundesrepublik geschrieben hätte ...

    "... dass sich eine ganz eigenartige Schicht von Menschen entwickelt hätte in Rundfunk und Fernsehen, die sei nicht etwa linksradikal, sie sei auch nicht rechtsradikal, sondern sie seien in einer eigenartigen, besonderen Geistesverfassung. Und nun meine Damen und Herren, Leute, die in einer besonderen, eigenartigen Geistesverfassung sind, die liegen mir nicht. Das sage ich Ihnen ganz offen."

    Eigenartig aus Sicht der Bundesländer war dann aber auch die Art und Weise, wie Adenauer das Problem zu lösen versuchte – nämlich mit der Schaffung eines Regierungsfernsehens. Rechtzeitig zur Bundestagswahl im Herbst '61 sollte es auf Sendung gehen. Dafür holte sich Adenauer vom Postministerium die Erlaubnis für die nötigen Sendeanlagen und gründete eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung – die privatrechtlich organisierte Deutschland Fernsehen GmbH. Werbefinanziert, sollte sie das zweite Fernsehen betreiben. Doch das Bundesverfassungsgericht machte dem mit seinem Urteil 28. Februar 1961 einen Strich durch die Rechnung.
    "Im Namen des Volkes. Der Grund hat durch die Gründung der Deutschland Fernsehen GmbH gegen Artikel 30 in Verbindung mit dem 8. Abschnitt des Grundgesetzes sowie gegen den Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens und gegen Artikel 5 des GG verstoßen."

    Ganze 14 Tage später beschlossen die Ministerpräsidenten der Länder, das Zweite Deutsche Fernsehen zu gründen, als staatsferne öffentlich-rechtliche Anstalt. Allzu viel wurde am ersten Sendetag noch nicht geboten. Gerade mal zwei Stunden und 15 Minuten dauerte das Programm – mit Ansprachen, Musik und den ersten heute-Nachrichten.

    Nicht nur das Programm war in den Anfangstagen überschaubar. Auch die Zuschauerzahl hielt sich in Grenzen. Im Postnetz des Zweiten Kanals gab es Übertragungslücken und gerade mal drei Millionen Westdeutsche besaßen einen Fernseher, für den man außerdem ein teures Zusatzgerät kaufen musste, um das ZDF überhaupt empfangen zu können.

    Auch die Produktionsbedingungen sind mit heutigen Verhältnissen kaum zu vergleichen. Die ersten Sendungen kamen aus provisorischen Studios in Eschborn. So auch das Aktuelle Sportstudio, das am 24. August 1963 Premiere hatte. Wim Toelke, der erste Moderator der Sendung, erinnert sich.

    "Ja, ja, es war fürchterlich, wenigstens äußerlich fürchterlich. Das ZDF hatte damals als provisorische Sendezentrale in dem kleinen Taunus-Ort Eschborn einen alten, sehr vergammelten Bauernhof und in der Scheune war das Studio, im Schweinestall, glaube ich, war die Regie und im Kuhstall war die MAZ, also die elektronische Aufzeichnung, untergebracht."

    Ein Jahr später sendete man dann aus einem Studiokomplex in Wiesbaden. Erst 1984 zog das ZDF nach Mainz in ein eigenes Sendezentrum.

    Unterhaltung wurde von Anfang an groß geschrieben im Zweiten. Nicht nur beim Aktuellen Sportstudio versuchten die Moderatoren, die Themen lockerer und bunter zu präsentieren als die Konkurrenz. Der Medienwissenschaftler Bernd Gäbler.

    "Zunächst mal ist das ZDF gegründet worden als konservativer Gegenpol zu der damals als Rotfunk verschrienen ARD. Zweitens ist das ZDF gegründet worden als der große bunte idyllische Unterhaltungsdampfer."

    Schwarzwaldklinik, Traumschiff, Volksmusik – damit ist das ZDF bis heute in den Köpfen der Zuschauer präsent. Die alles überragende Show aber war – natürlich – "Wetten, dass ..? ", eines der wenigen Formate, das von Deutschland aus in die Welt exportiert worden ist; erfunden von Frank Elstner, der damit 1981 auf Sendung ging.

    "Ich sage nur: Top die Wette gilt."

    Das ZDF als Unterhaltungsdampfer – bei diesem Konzept war durchaus politisches Kalkül im Spiel. Zwar ist das Zweite – wie die ARD – verfassungsgemäß eine staatsferne Sendeanstalt. Doch von Anfang war sie von der Politik umklammert. Im 77-köpfigen Fernsehrat, der die Programmrichtlinien aufstellt, sind fast alle Mitglieder einem schwarzen oder roten Freundeskreis zugehörig. Im Verwaltungsrat, der vor allem den Haushalt überwacht, sitzen allein fünf Vertreter von Landesregierungen. Auch die wichtigsten Posten im Programm werden nach politischem Proporz verteilt. Davon bleiben die Sendungen natürlich nicht unberührt – auch im Unterhaltungsbereich, wie der Medienwissenschaftler Bernd Gäbler mit Blick auf eine Zäsur im Jahr 1976 erklärt.

    "Es gab nämlich da den Verwaltungsratschef des ZDF, der hieß Helmut Kohl, der Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz war, und der hat angeregt, dass nicht mehr der Chefredakteur CDU-Mann sein soll, das dürfe ruhig die SPD machen, sondern der Programmdirektor. Weil die Idee war, dass die eigentliche Beeinflussung der Menschen nicht von den Informationssendungen ausgeht, sondern von der großen Unterhaltung. Das würde die Werterhaltung, der Lebensstil des Mainstream prägen. Darum eben die Traumschiffe, die Schwarzwaldklinik, die Pilcher-Verfilmungen später. Das passt zusammen: Konservative Orientierung plus Unterhaltungsdampfer."

    Auch wenn es auf den ersten Blick nicht dazu passen mag: Einen fortschrittlichen Geist bewies das ZDF, wenn es um die Gleichheit der Geschlechter ging. Nicht nur, dass 1973 mit Carmen Thomas erstmals eine Moderatorin die Aktuelle Sportschau präsentierte. Bereits vorher, am 12. Mai 1971, durfte Wiebke Bruhns als erste Frau die Nachrichten lesen – eine Premiere im westdeutschen Fernsehen. Auch wenn dies nur auf sportlichen Ehrgeiz zurückzuführen war, wie Bruns später einräumte.

    "Wir hatten uns das ausgedacht beim ZDF, als wir gehört hatten, dass die ARD sich jemanden ausgekuckt hatte für die Tagesschau neben Köpcke. Und dann haben wir gesagt, das können wir schneller. Denen stehlen wir die Show."

    Was dem ZDF auch – zumindest ein bisschen – mit der Art und Weise gelang, wie es seine Politiksendungen wie heute oder heute journal präsentiert. Die Fernsehkritikerin Klaudia Wick:

    "Das ZDF mit der Hausfarbe orange war schon auch immer in diesem Punkt etwas lässiger und etwas schmiegiger vielleicht auch darin, das zu machen. Aber das sind solche kleinen Nuancen, ich tu mich ein bisschen schwer, das so zu unterscheiden. Weil, beide haben große Auslands-korrespondentensysteme und haben sehr klare Selbstverpflichtungen, wie die Nachrichten auszusehen haben. Und daran hat sich jetzt auch über lange Zeit nichts geändert. Gott sei Dank."

    Kontinuität beweist das ZDF allerdings auch in seiner seit Jahren umstrittenen Zusammensetzung der Kontrollgremien. Hier hat sich in den letzten 50 Jahren nichts geändert. Der Konflikt um die Verlängerung des Vertrags mit dem damaligen Chefredakteur Nikolas Brender rückte 2009 die politischen Kräfteverhältnisse schlagzeilenträchtig in den Fokus der Öffentlichkeit. Gegen den Vorschlag von ZDF-Intendant Markus Schächter wurde Brender nicht weiterbeschäftigt, wie Verwaltungsratspräsident Kurt Beck am 27. November 2009 den wartenden Journalisten mitteilte.

    "Nach einer sehr intensiven und langen Debatte ist die Entscheidung in geheimer Abstimmung sieben zu sieben ausgegangen. Sie wissen, dass damit der Vorschlag des Intendanten keine Zustimmung gefunden hat. Denn es hätte neun Ja-Stimmen bedurft, also einer Drei-Fünftel-Mehrheit der Mitglieder des Verwaltungsrates."

    Diese Entscheidung stieß auf Proteste, denn für die Kritiker war klar, dass die Weiterbeschäftigung Brenders aus parteipolitischen Gründen von CDU-Politikern blockiert worden war. Die Fernsehkritikerin Klaudia Wick.

    "Das ganze Verfahren hat einfach gezeigt, dass es zu große politische Nähe meiner Meinung nach gibt, eine Besitzstandswahrung der Politik für diesen Sender. Das ist hochgefährlich. Was meiner Meinung nach in einer pluralistischen Gesellschaft am meisten dagegen spricht, dass man jedem eine Gebühr abverlangt, wenn man es dann gleichzeitig politisch ausrichtet. Ich finde, dass das im Programm relativ wenig deutlich wird, aber im Fall von Brender, der nicht weiter machen durfte , aber ein über alle Zweifel erhabener Journalist war meiner Meinung nach, ist es im Programm deutlich geworden. Er ist jetzt einfach nicht mehr da. Da ist es wirklich sichtbar geworden, dass hinter den Kulissen etwas nicht in Ordnung ist."

    Im Rahmen einer Normenkontrollklage soll nun das Bundesverfassungsgericht darüber befinden, ob die Zahl der Politiker in den ZDF-Gremien zu reduzieren ist – im Interesse der Rundfunkfreiheit. Dem modernen Image des ZDF könnte das gut zu Gesicht stehen. Längst ist aus dem langjährigen Einkanalsender eine multimediale Programmfamilie geworden, die sich mit ihrer Orientierung auf das Internet für die Zukunft gerüstet hat.

    "Das ZDF hat ja jetzt auch so eine Art ZDF zwei und drei sich gegeben. ZDFkultur wurde jetzt gerade wieder abgeschafft, aber ZDF neo ist natürlich eine Experimentierbühne gewesen und will es auch weiter sein. Da gibt es ein paar interessante Ansätze für. So eine Retro-Show wie Roche und Böhmermann war so ein Versuch. Joko und Klaas, die jetzt bei Pro Sieben gelandet sind, waren sicherlich auch so ein Versuch, mal was anderes zu machen. Da sehe ich auf jeden Fall eine große Beweglichkeit."

    "Hallo und herzlich Willkommen bei der Kommunionsausgabe unserer Missionarssendung Roche und Böhmermann. Sollte Ihnen die Sendung gefallen, so spenden Sie bitte im Anschluss einen Euro an den heiligen Camillos."

    Humor jedenfalls hat das ZDF in seinem 50. Jahr bewiesen, auch wenn nicht alles Bestand hat – wie zum Beispiel Roche und Böhmermann. Dafür hat man es zumindest mit einem Format wie der heute show geschafft, sogar wieder die Jugend vor den ZDF-Bildschirm zu bekommen.
    Wibke Bruhns
    Wiebke Bruhns (privat)