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"Der Künstler ist ein fortdauernder Untergeher"

Künstlergespräche sind im Kunstbetrieb derzeit en vogue. Nicht selten sollen sie eine fundierte Kunstkritik ersetzen. Klaus Dermutz, der die Gespräche mit Anselm Kiefer geführt hat, sieht sich jedoch nicht als Vermittler, sondern eher als "Hebamme".

Von Marie Luise Knott | 11.03.2011
    Schnee, Feuer, Asche. Mystik, Meistersinger, Hermannschlacht. -- Die Gespräche, die der Berliner Autor Klaus Dermutz mit dem Maler Anselm Kiefer geführt hat, kreisen um Worte, Bilder und Ideen, wie sie Kiefers kleine Gouachen, aber auch seine riesigen Leinwände bevölkern. Kiefer verwendet gerne Gedichtzeilen von Ingeborg Bachmann und Paul Celan, aber auch Porträts realer Personen wie Bismarck oder Heine erscheinen auf seinen Bildern und geraten dort bei aller deutschen Nachkriegs-Schwermut mitunter ins heitere Zwielicht.

    Kiefer, der seit zwei Jahrzehnten in Frankreich lebt, ist international einer der bekanntesten Gegenwartsmaler. Derzeit lehrt er als erster bildender Künstler am Pariser Collège de France; seine Bilder hängen in zahllosen Museen der Welt und für seine hartnäckige Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte wurde er bereits vielfach ausgezeichnet und geehrt. In dem Gesprächsband mit Dermutz geht es auch um seine Arbeit: Ein Schock gehe jedem Werk voraus, erzählt er, ein Zusammenprall. Anselm Kiefer:

    "Das Kunstwerk entsteht nicht aus dem Nichts. Es ist keine creatio ex nihilo, sondern ein Kunstwerk entsteht, wenn es ab und zu einen Kreuzungspunkt verschiedener Linien gibt. Das kann vieles sein, Erlebnisse, Gedichte, wissenschaftliche Untersuchungen, die man entdeckt. Und dieses Zusammenspiel, diese verschiedenen Linien, die sich irgendwie kreuzen, das ergibt dann ein Kunstwerk. Selbst ist man daran am wenigsten eigentlich beteiligt. Da sind ganz viele verschiedene Strömungen, die sich zusammenfinden."

    Ein Durchlauferhitzer sei er, sagt er an anderer Stelle. Oft erzählt er von Lektüreerlebnissen; und da auch hierzulande der Dialog seiner Kunst mit Gedichten, Mythen und Sagen wahrgenommen wird, wundert nicht, dass Kiefer 2008 als erster bildender Künstler mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde. Doch die bundesdeutsche Öffentlichkeit ist bekanntlich gespalten über seine Mythen- und Ruinenwelt. Was die einen als - "Überdosis des Teutschen"- ansehen, verstehen die anderen als ein eindrückliches Beharren auf dem Versuch, auch als Nachgeborener die eigene Geschichte anzunehmen, dem Tabu zu entreißen, die Grenzen des Darstellbaren spürbar zu machen und zu erweitern.

    Kiefer, im März 1945 in Donaueschingen geboren, wuchs in den Trümmern des Nationalsozialismus auf. Jahrzehntelang trieb ihn wie viele Künstler seiner Generation die existenzielle Frage um: Wie kann man heute in der Sprache und in den Bildern arbeiten, die auch die Schlächter verwandt haben? Wie kann man in der Kunst an die großen Traditionen rühren, von denen man zwar tief berührt wird und die doch durch den Nationalsozialismus besetzt und verheert sind. Kiefer weiß: es gibt keine Großen Erzählungen mehr. Deshalb finden sich auf seinen Bildern und Installationen Geschichten und Gegenstände gleichermaßen als Fragmente abgelagert: Man sieht Feldherrenhügel, Heilige Hallen, aber auch reale Schlangenhäute oder Dornengebüsch. Kollisionen entstehen. Ein düsteres Bild aus dem Jahr 1975 etwa trägt den heiteren Titel "Siegfried vergisst Brünhilde". Überhaupt: Kiefer gilt ganz zu unrecht allgemein als schwermütig. Viele seiner Titel haben neben der tragischen eine urkomische Seite. Sie laden einen düsteren Farb-Eindruck ironisch auf oder behaupten das Gegenteil von dem, was die Leinwand zeigt. Das gilt auch für seine "Meistersinger". Ein riesiges abstrakt-gestisches Gemälde mit ein paar eingestreuten Zahlen drauf. Erst der Titel - "Meistersinger" - lässt im Kopf des Betrachters das ganze symbolüberladene Setting aufleben: Wagner, Hitler, die Verherrlichung der heiligen deutschen Kunst und vieles andere. Aber warum schreibt Kiefer das hier hin? Was genau hat das alles mit dem dicken Farbauftrag zu tun? Anselm Kiefer:

    "Die Wahrnehmung ist meistens sehr vereinfacht, eingleisig. Bei mir meinen die Menschen immer, ich mache riesen Bilder und die sind schwer und die sind aufgeladen mit sehr viel Bedeutung. Ich bin nicht nur vom Schicksal der Welt bestimmt, sondern ich amüsiere mich auch. Ich mache ja auch sehr komische Dinge. Nur: Das wird natürlich heute - vielleicht wird es später einmal mehr wahrgenommen. Im Moment meinen die Kritiker und die es betrachten, dass man das so sehen müsste. Die Tragik und die Komik gehören ja zusammen. Die Tragik wird ja tragischer, wenn sie komisch wird. Es geht an sich nur mit der Komik und der Ironie und auch mit dem Zynismus manchmal. Zur Kunst gehört der Zynismus, sonst ist sie nicht wahr. Der Zynismus sagt ja, dass die Welt völlig absurd konstruiert ist. Und ein Künstler muss das ja wahrnehmen. Sonst ist das Kunstwerk ja nicht wahr. Die meisten meinen, man dürfe nicht lachen."

    Kiefers ureigenstes Ausdrucksmittel ist nicht die Literatur, sondern die bildende Kunst, also die Formung des Materials ebenso wie die eigene, kräftige Bildsprache. Verbrennen, verholzen, versenken, versanden, nannte der Künstler seinen Beitrag auf der Biennale in Venedig. Das war 1980. Dreißig Jahre später liest man in einem der Gespräche: Anselm Kiefer:

    "Ohne Feuer kann ich mir überhaupt nicht vorstellen irgendetwas herzustellen."

    Tatsächlich taucht das Feuer in dem Gesprächsband an mehreren Stellen auf: als Glut-Bild, als Kraftspender ebenso wie als Material im Arbeitsprozess. Kiefer erzählt, wie er Lehm auf eine große Leinwand schmeißt und diesen dann mit einer starken Flamme so lange trocknet, bis der Lehm Risse zeigt und so der farbige Untergrund durchscheinen kann. Nicht nur dem Feuer, auch Sturm, Sonne und Regen werden seine Werke ausgesetzt, manche geraten in unfertigem Zustand für Jahre in einem Schuppen in Vergessenheit, bis Kiefer sie irgendwann hervorkramt. Anselm Kiefer:

    "Ja, es fängt an mit einem mehr unbewussten Prozess, ein Drängen, ein Wollen, das noch nicht auf ein Ziel zugeht. Und das sehr stark zunächst im Material verhaftet ist - ich bin quasi mit dem Kopf in der Farbe. ... Dadurch entsteht dann etwas, was in mir zuunterst ist, als Gegenüber. Dann sehe ich, was entstanden ist, das spricht dann zu mir. Dann setzt eine bestimmte Gesetzmäßigkeit ein, es gibt dann einen Krieg im Kopf, einen Krieg der verschiedenen Einstellungen, Meinungen dessen, was man noch als Kunst bezeichnet. In diesem Krieg gibt es dann irgendwann eine Entscheidung. Und dann entsteht etwas, was den Anschein eines Kunstwerkes hat, und das bleibt dann eine Weile so. Aber dies wiederum kann dann wieder aufgelöst werden, weil es immer noch nicht genügt. Eigentlich ist es so, dass selten gelingt, dass ich irgendwann sage, jetzt ist mal Schluss. Meist fängt das Kunstwerk immer zu einer späteren Zeit noch einmal an, mich etwas zu fragen. Das ist ein dauernder Prozess."

    Kiefer weiß, dass jedes Werk, wenn es sein Atelier verlässt, einer neuen Gewalt ausgesetzt ist, den Lesarten der Betrachter. Anselm Kiefer:

    "Das Kunstwerk verändert sich andauernd. Es verändert sich mit dem Betrachter, und in meinem Fall verändern sich die Bilder selbst, indem sich die Farben verändern oder etwas herunterfällt. Das ist dann die Hysterie mancher Sammler, die denken das darf sich nicht verändern, das muss so bleiben, wie es einmal war."

    Ein Kunstwerk ist nie vollendet, nur "aufgegeben" - formulierte es einmal der argentinische Schriftsteller Borges. Der Nachwelt aufgegeben. Kiefer fügt hinzu:

    "Das Wort aufgegeben sagt ja auch, dass man viele andere Gedichte aufgegeben hat, weil in jedem Moment des Entstehens eines Kunstwerkes gibt es immer diese Entscheidung, ob man so oder anders weitermacht. In dem Moment, wo man sich zu einem Weg entschlossen hat, gibt man hundert andere auf. Das hat er vielleicht auch gemeint, der Borges."

    Künstlergespräche sind im Kunstbetrieb derzeit en vogue. Meist suchen die Interviewer nach biografischen Zugängen zum Werk, und nicht selten sollen derartige Gespräche eine fundierte Kunstkritik ersetzen. Klaus Dermutz, der die Gespräche mit Anselm Kiefer geführt hat, hat sich für diese Mode nicht interessiert und auch die Kontroversen um Kiefers Kunst kommen im Buch nicht vor. Dermutz versteht sich nicht als Vermittler, sondern er agiert als "Hebamme". Seine Fragen und Assoziationen schaffen einen verlässlichen Gesprächsraum, in dem Kiefer uns Spuren und Wege in seinem Werk offenlegen kann. Anselm Kiefer:

    "Der Künstler ist ein fortdauernder Untergeher. Er erreicht nie das, was er möchte. Er kann immer nur um den Krater herumgehen, und wenn er ihm zu nahe kommt, dann fällt er hinein wie Empedokles."

    Die Gespräche wurden zu verschiedenen Gelegenheiten geführt und im Band nur zusammengestellt. Deshalb kommen viele Themen mehrfach vor. Etwa: Warum gibt es auf seinen Bildern so häufig Schlangen? Was haben seine Werke mit Brueghel gemeinsam? Was hat es mit den Engeln auf sich? Und: Was bedeutet das kabbalistische Bild vom Zimzum, also die Geschichte, dass Gott sich zurückzieht aus der Welt, damit der Mensch Platz in ihr findet?

    Durch die Wiederholungen entsteht zunächst der Eindruck von Redundanz, doch beim Weiterlesen werden immer neue Facetten sichtbar. Letztlich schärft das Buch, und das ist sein großes Verdienst, unsere Wahrnehmung für die spezifische Energie von Kiefers Bildwelten. Außerdem sind die Gespräche offensichtlich Teil seiner Kunst-Werkstatt. Kiefer:

    "Die Gespräche sind für mich sehr wichtig, weil das den Entscheidungsprozess erleichtert. Ich rede ja auch mit mir selbst, ich frage mich, was ich jetzt denke bei der und der Empfindung, oder wie ich jetzt weiter machen will. Man schafft ja nicht allein. Wenn ich im Atelier bin, habe ich immer viele Gesprächsgenossen, Kollegen, egal, ob sie jetzt tot sind oder leben, denen ich das, was ich mache, vorlege ...und dann auf ihre Reaktion warte. Wenn ich jetzt zum Beispiel mit der Ingeborg Bachmann rede. Ihre Auffassung von der Kunst ist natürlich eine sehr harte Kritik an meinem Werk. Meistens erfahre ich dann, dass ich wieder einmal Unsinn gemacht habe."

    Bei Gedichten hingegen ist es anders. Da werfen sich manchmal einzelne Zeilen ins Herz. Dort bleiben sie.

    "Die Gedichte die ich mal gelernt habe, habe ich ja zu Teilen wieder vergessen. Aber einzelne Zeilen bleiben stehen. Die sind dann so wie die Spuren von etwas, das stattgefunden hat. Von Spuren im Schnee, oder wie man es nennen will. Diese Spuren, die bringen mich wieder auf etwas anderes, oder die setzen sich wieder zusammen zu einem ganz neuen Ganzen. Es ist das alles ein ungeheuer großer Vorrat von Möglichkeiten, diese Spuren in Form dieser Gedichtzeilen oder von Erlebnissen oder von Stimmungseindrücken in der Landschaft. Oder von Farben. Und das alles zusammen ist ein ungeheurer Vorrat, ein Steinbruch kann man auch sagen, aus dem wieder etwas zusammengefügt wird, ein neuer Zusammenhang hergestellt wird."

    Die Dimension des Gesprächs in Kiefers Kunst entfaltet zu haben, darin liegt das besondere Verdienst des Bandes. Kiefer misstraut der Kunst und doch ist sie die einzige Wirklichkeit für ihn.

    ""Die Kunst geht knapp nicht unter","

    sagt er, den Titel eines Aquarells zitierend. Damit die Kunst tatsächlich nicht untergeht, braucht sie etwas von außerhalb. Sie braucht das Leben und die Geschichten, um sich immer wieder am eigenen Schopf aus dem Sumpf des reinen Kunst-Wollens herauszuziehen. Von diesem Knapp-nicht-Untergehen kann keiner so offen erzählen wie der Künstler selbst, und so zeigen die Gespräche eindrücklich, auf welche Weise Kiefer die Gedanken der Zeit ergreift und sein künstlerisches Material durchdringt. So gelangt er zu höchster Zeitgenossenschaft. Das macht seine Größe aus.

    Die Kunst geht knapp nicht unter. Anselm Kiefer im Gespräch mit Klaus Dermutz, Suhrkamp Verlag, 2010, 265 Seiten, 24, 90 Euro