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Der lange Weg der Versöhnung

Die Nominierung Erika Steinbachs für den Stiftungsrat des Zentrums gegen Vertreibungen stößt auf heftige Ablehnung. Die BdV-Präsidentin hatte 1991 im Bundestag gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie gestimmt - eine Belastung für das deutsch-polnische Verhältnis.

Von Otto Langels | 05.01.2010
    Auszug aus der Charta der Heimatvertriebenen:
    Wir Heimatvertriebenen verzichten auf Rache und Vergeltung. Dieser Entschluss ist uns ernst und heilig im Gedenken an das unendliche Leid, das im Besonderen das letzte Jahrzehnt über die Menschheit gebracht hat. Wir werden jedes Beginnen mit allen Kräften unterstützen, das auf die Schaffung eines geeinten Europa gerichtet ist, in dem die Völker ohne Zwang und Furcht leben können.
    Stuttgart, August 1950: Die Charta der Heimatvertriebenen, von Vertretern der Landsmannschaften und Vertriebenenverbände unterzeichnet, wird auf einer Massenkundgebung feierlich verkündet.
    Sechs Jahrzehnte später ist das geeinte Europa weitgehend Wirklichkeit geworden. Dagegen blieb das "Recht auf die Heimat", wie es die Charta für alle Flüchtlinge forderte, unerfüllt. Dennoch ist die Integration der Vertriebenen im Westen nach 1945 eine bemerkenswerte Erfolgsgeschichte, trotz immenser materieller Verluste und psychischer Leiden der Betroffenen, trotz der schwierigen Anfangsjahre in der Bundesrepublik und der Jahrzehnte des verordneten Schweigens in der DDR.
    An die Flucht und Vertreibung von 14 Millionen Deutschen, darüber hinaus aber auch an das Schicksal von Vertriebenen generell, will die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung erinnern. Im Dezember 2008 beschloss der Bundestag mit großer Mehrheit ein entsprechendes Gesetz.

    "Die Bundesregierung bekennt sich zur gesellschaftlichen und historischen Aufarbeitung von Zwangsmigration, Flucht und Vertreibung"," erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel.

    ""Dokumentation, Vernetzung und Versöhnung werden zentraler Aspekt dieses sichtbaren Zeichens sein, das an einem angemessenen Ort in Berlin gesetzt werden soll."
    Der angemessene Ort ist inzwischen gefunden, das sogenannte Deutschlandhaus am Anhalter Bahnhof unweit des Potsdamer Platzes, ein denkmalgeschütztes Bürogebäude aus den 20er-Jahren, in dem bisher zahlreiche Landsmannschaften und Vertriebenenverbände Räume gemietet haben.
    Die Gründung der Stiftung verdankt sich nicht zuletzt dem jahrelangen hartnäckigen Einsatz des Bundes der Vertriebenen für ein Zentrum gegen Vertreibungen. Insbesondere die Präsidentin des BdV, die CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach, hat es geschickt verstanden, das Thema immer wieder aufzugreifen und damit ihre Organisation vor zunehmender Bedeutungslosigkeit zu bewahren.

    Der Würzburger Historiker Matthias Stickler:
    "Hier kommt dann dieses Konzept eines Zentrums gegen Vertreibungen, das dann entwickelt wird und das den BdV verweist auf eine neue Funktion im Rahmen historischer Erinnerung an Flucht und Vertreibung, aber auch aktualisiert Auftreten gegen neue Vertreibungen. Das ist dann ein neues Thema, das im Wesentlichen mit Erika Steinbach kommt."
    Noch vor Beginn der inhaltlichen Arbeit für die Dokumentationsstätte im Deutschlandhaus war allerdings bereits eine heftige Debatte um die Besetzung des Stiftungsrates entbrannt, genauer gesagt um einen Sitz. Neben Bundestag, Bundesregierung, Religionsgemeinschaften und Museen entsendet der Bund der Vertriebenen nach derzeitiger Regelung drei Vertreter in das 13köpfige Gremium. Ob neben den BdV-Vizepräsidenten Christian Knauer und Albrecht Schläger auch Erika Steinbach dem Stiftungsrat angehören sollte, war in den vergangenen Monaten äußerst umstritten.
    Erika Steinbachs Nominierung für den Beirat stieß vor allem in Polen, aber auch hierzulande auf Ablehnung, weil sie 1991 im Bundestag gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als Grenze zwischen Deutschland und Polen gestimmt hatte. Eine Präsenz Erika Steinbachs im Stiftungsbeirat würde daher das deutsch-polnische Verhältnis belasten, argumentierten die Gegner ihrer Nominierung – allen voran Bundesaußenminister Guido Westerwelle. Doch die BdV-Präsidentin blieb unnachgiebig – bis sich gestern Abend Informationen verdichteten, Steinbach sei unter bestimmten Bedingungen zum Verzicht bereit – Bedingungen, die sie selbst heute im ARD-Morgenmagazin präzisierte:
    "Die deutschen Heimatvertriebenen hatten ihre Heimat in ganz Mittel- und Südosteuropa. Wir haben 21 Landsmannschaften, da sind die drei Sitze, die wir zurzeit besetzen dürfen, wesentlich zu gering von der Zahl her und deshalb muss das deutlich aufgestockt werden. Auf eine Zahl möchte ich mich im Moment auf keinen Fall festlegen. Auf jeden Fall muss die Passage gestrichen werden, die unseren Verband jetzt die ganzen Monate unter Kuratel gestellt haben, und wenn das gestrichen wird und die anderen Punkte auch erfüllt werden, dann ist es nicht mehr nötig, dass ich den Verband im Stiftungsrat vertrete, denn dann ist eine ausreichende Präsenz durch den BdV ja sicher gestellt."
    Die von Erika Steinbach monierte "Kuratel" ist nach ihrem Verständnis die "Zweistufigkeit von Benennung und Bestellung der Stiftungsratmitglieder", die der Bundesregierung derzeit die Möglichkeit gibt, gegen bestimmte nominierte Stiftungsratsmitglieder zu votieren. Die BdV-Präsidentin fordert in einer heute morgen veröffentlichten Erklärung stattdessen ein "Entsendeverfahren", um – Zitat – "zukünftige politische Bevormundung auszuschließen". Hinzu kommen weitere Forderungen wie zum Beispiel die Loslösung der Stiftung aus der Trägerschaft des Deutschen Historischen Museums und die Umwandlung in eine rechtsfähige Stiftung öffentlichen Rechts, um "deutlich zu machen, dass es sich um eine Menschenrechtsstiftung" handele. Im "Morgenmagazin" ließ Erika Steinbach allerdings auch keinen Zweifel daran, was geschähe, wenn diese Vorschläge nicht akzeptiert würden:

    "Wenn das nicht möglich sein sollte, dann wird unser Verband natürlich sein Benennungsrecht umsetzen, das heißt ich werde benannt werden."
    Während Erika Steinbach also weiterhin im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht, führt der Bund der Vertriebenen geradezu ein Schattendasein. Von der Arbeit des BdV, von aktuellen Entwicklungen und internen Diskussionen an der Basis ist kaum etwas zu hören.

    Welche Ziele verfolgt der Verband? Wie haben sich Organisation und Mitgliederstruktur im Lauf von sechs Jahrzehnten verändert? Ist der BdV heute überhaupt noch eine ernst zu nehmende politische Größe?

    "Wir wussten, es geht nach Bayern, das war aber auch alles"," erinnert sich Werner Sepp, ein aus dem Sudentenland vertriebener Deutscher. Er kam 1946 nach Geretsried, ein südlich von München gelegenes Barackenlager eines ehemaligen Rüstungsbetriebs.
    ""Und es war also dieses Barackenlager, hatte doppelten Stacheldraht drum herum, die Baracken waren - zum Teil die Fenster rausgerissen, die Türen rausgerissen – in einem absolut desolaten Zustand."

    Als nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Millionen Flüchtlinge im Westen ankamen, mussten sie nicht nur zum Teil jahrelang in provisorischen Unterkünften wohnen, ihnen schlugen auch Abwehr und Verachtung entgegen. In den Augen ihrer Landsleute zwischen Rhein und Oder waren sie "dahergelaufenes Pack", "Gesockse aus dem Osten", "Polacken".
    In einem Buch mit dem programmatischen Titel "Kalte Heimat" hat der Historiker Andreas Kossert beschrieben, wie Flüchtlinge nach 1945 von der Bevölkerung, aber auch von Politikern feindselig aufgenommen wurden, zum Beispiel in Schleswig-Holstein:

    "Wo einheimische Parteien zum Teil wirklich gesagt haben: Die ostpreußischen Flüchtlinge sind eine Mulattenzucht, sie gehören nicht zu unserer germanischen blonden Rasse und gefährden unsere schleswig-holsteinische Eigenart. Und es gibt aber auch ähnliche Beispiele in Süddeutschland, wo sich auf Karnevalsumzügen über Vertriebene lustig gemacht wurde."
    Zunächst konnten die Flüchtlinge sich nicht in Interessenverbänden zusammenschließen, da die Alliierten keine entsprechenden Organisationen zuließen. Die ersten Vertriebenenverbände entstanden 1948/49, berichtet der Historiker Matthias Stickler:
    "Die Gründung eines Dachverbandes ist den Vertriebenen erst zehn Jahre später gelungen, also 1958. Bis dahin hatte es zwei Verbände gegeben, einen für die Landsmannschaften, einen für die sogenannten Landesverbände. Die schlossen sich dann 1958 zum heute noch existierenden BdV zusammen. Der BdV war in den 50er, 60er-Jahren eine wichtige pressure group, der BdV war damals in beiden großen Volksparteien, Union und SPD, stark verankert. Man kann sagen, in den ersten Jahren stand natürlich die soziale Frage im Vordergrund, also die Integration der Vertriebenen, also alles das, was dann später in das Lastenausgleichsgesetz eingemündet ist 1952."
    Knapp 150 Milliarden DM erhielten die Vertriebenen in den folgenden 50 Jahren als Kompensation für die materiellen Verluste sowie als Eingliederungs- und Aufbauhilfen. Die Vertriebenenverbände konnten ihre Interessen mit großem Nachdruck vertreten, da sie über eine breite Massenbasis verfügten.
    "In den 50er-Jahren waren das noch bis zu vier Millionen, dann hat sich das reduziert auf etwa zwei Millionen. Gemessen an etwa neun Millionen Vertriebenen, die es in der Bundesrepublik Deutschland gab, war das immer schon noch eine bedeutsame Zahl."

    Sichtbarer Ausdruck des großen Rückhalts waren die jährlichen Treffen der Landsmannschaften, zu denen Zehntausende Teilnehmer kamen, häufig folkloristisch untermalt durch Trachtengruppen, Volkstänze und feierliche Gelöbnisse - wie 1956.

    Gelöbnis: "Millionen unserer Landsleute verloren mehr als die Heimat. Sie wurden hingemordet oder starben, gejagt, vor Erschöpfung."

    Die Vertriebenentreffen waren den Repräsentanten von BdV und Landsmannschaften ein willkommener Rahmen, um den Verzicht auf die verlorenen Gebiete im Osten als Verrat anzuprangern. Der langjährige BdV-Präsident Herbert Czaja:

    "Nichts ist endgültig geregelt, es sei denn einigermaßen gerecht geregelt. Unser Ziel bleibt die freie Heimat im freien Europa."

    Die neue Ostpolitik Ende der 60er-Jahre stellte für die Vertriebenen eine einschneidende Veränderung dar. Die sozialliberale Bundesregierung unter Willy Brandt schloss Verträge mit Polen, der Tschechoslowakei und der Sowjetunion, worin die Unverletzlichkeit der bestehenden Grenzen zugesichert wurde. Faktisch verzichtete die Bundesrepublik damit auf die deutschen Ostgebiete.
    Trotz massiver und zum Teil aggressiver Propaganda konnten die Vertriebenenverbände die neue Ostpolitik nicht verhindern, was letztlich zu einem Bedeutungsverlust führte. Die Mitgliederzahl des BdV ging von vier Millionen in den 50er-Jahren auf zwei Millionen in den 70ern zurück. Der Verband habe auch nach dem Regierungswechsel von 1982 in der nachfolgenden Ära des CDU-Kanzlers Helmut Kohl weiter an Einfluss verloren, meint der Historiker Matthias Stickler.
    "Das zeigt sich eben dann auch bei der Wiedervereinigung 1990, dass es dem BdV nicht gelungen ist, in der Frage der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze durch das vereinigte Deutschland in irgendeiner Form Einfluss zu nehmen auf die Politik der Bundesrepublik."

    In die sowjetische Besatzungszone kamen nach 1945 mehr als vier Millionen Vertriebene. Bis 1989 war das Thema Flucht und Vertreibung in Ostdeutschland jedoch tabu, denn es widersprach aus Sicht der DDR-Führung den freundschaftlichen Beziehungen zu den sogenannten sozialistischen Bruderstaaten. Der Historiker Andreas Kossert spricht von einer radikalen Zwangsassimilation.

    "In der DDR wurde das Problem ideologisch relativ bald gelöst. Man hat einfach das Wort Vertreibung gemieden, man hat dafür den Begriff Umsiedler gewählt; und auch dieses Problem der Umsiedler 1950 offiziell per Dekret für erledigt erklärt. Und fortan waren die 4,3 Millionen Vertriebenen in der DDR zum Schweigen verpflichtet."

    Nach 1990 konnten die Vertriebenenverbände in bescheidenem Umfang von der deutschen Einheit profitieren. Sie bekamen Zulauf aus den neuen Bundesländern. Außerdem schlossen sich Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion ihren Organisationen an.
    Zugleich entstanden in den 90er-Jahren an der Basis vielfältige Initiativen zwischen Deutschen und Polen bzw. Tschechen. Vertriebene organisierten Treffen in Ost- und Westpreußen oder dem Sudetenland, sie schlossen Partnerschaften mit ihren früheren Heimatorten oder halfen beim Wiederaufbau zerstörter Kulturgüter.

    Sibylle Dreher, Bundesvorsitzende der Landsmannschaft Westpreußen:
    "Gerade die Landsmannschaft Westpreußen hat über die Arbeit in ihrem Museum, das in Münster ist, Kontakte geknüpft zu den Museen im heutigen Polen, also im Land Westpreußen, da gibt es jetzt schon sehr viel Zusammenarbeit. Da passiert ganz viel an Gemeinsamkeit, an Verständigung, auch an Verständigungsbereitschaft, und wenn Sie so wollen, auch an Versöhnung."
    Gertraud Engelskircher war 16 Jahre alt, als sie 1945 in das Lager Potulice kam. Potulice, zwischen Stettin und Danzig gelegen, war bis 1945 ein Außenlager des KZs Stutthof für polnische Gefangene gewesen. Dann nutzten es die Polen fünf Jahre lang, um 35.000 Deutsche zu internieren. 5.000 kamen ums Leben. Viereinhalb Jahre war Gertraud Engelskircher dort eingesperrt. Seit zehn Jahren fährt sie mit einem kleinen Kreis deutscher Vertriebener regelmäßig nach Potulice, um dort eine Gruppe von Polen zu treffen, die vor 1945 in dem Lager saßen.

    "Wir haben Aussöhnung gemacht, und das ist eine ganz tolle Sache. Wir haben viel erreicht in den zehnren auch, sehr viel, zusammen gesessen, erzählt, alles an den Kopf geschmissen, die uns, und wir ihnen. Die zu deutscher Zeit da drin gesessen haben, die waren ja auch so alt wie wir. Und wir sind gute Freunde jetzt."
    Die Zahl derjenigen, die ihre alte Heimat besuchen, geht allerdings immer weiter zurück. Denn die "Erlebnisgeneration", wie die von Flucht und Vertreibung direkt Betroffenen genannt werden, stirbt langsam aus. Und die Kinder und Enkelkinder zeigen wenig Interesse. Rüdiger Jakesch, Vorsitzender des Berliner Landesverbandes der Vertriebenen:

    "Die Vertriebenen haben es nicht geschafft, ihre Kinder über die Jahrzehnte so stark zu integrieren in den Landsmannschaften, dass sie da mitmachen. Aber das ist ein Trend, den sie überall in den Vereinen finden, dass junge Leute im Vereinswesen kaum noch zu erkennen sind. Die jungen Menschen haben keine Beziehung mehr zu dem, was mal die Heimat ihrer Eltern war, ist ganz normal und natürlich."
    Fragt man Erika Steinbach, wie viele Mitglieder der Bund der Vertriebenen als Dachorganisation heute noch vertritt, erhält man eine ausweichende Antwort.

    "Kann ich Ihnen nicht sagen, weil das in den Händen meiner Landsmannschaften und Landesverbände liegt, und die hüten ihre Daten ziemlich intensiv, aus gutem Grund."
    Der BdV ist föderalistisch organisiert, die Landesverbände bzw. Landsmannschaften verfügen über die Finanzhoheit. Aber auch Nachfragen dort ergeben kein genaueres Bild. Sibylle Dreher ist nicht nur Bundesvorsitzende der Landsmannschaft Westpreußen, sondern auch des Frauenverbandes im BdV.

    "Das weiß ich gar nicht genau. Wir können eigentlich nur die Abonnenten zählen, aber an den Abonnenten hängen ja Familien, zum Teil Nachbarschaften. Die Mitgliederentwicklung ist natürlich zurückgegangen aus Altersgründen."
    Der Verdacht liegt nahe, dass der BdV den Eindruck aufrecht erhalten will, er repräsentiere nach wie vor Millionen von Vertriebenen. Tatsächlich aber belegen interne Aufstellungen, dass nur noch gut 100.000 Personen Beiträge an den BdV entrichten. Der Bund der Vertriebenen ist längst nicht mehr die starke politische Kraft wie noch vor Jahrzehnten.
    Damals musste sich der Verband gegen den Vorwurf wehren, er sei ein Hort des Revanchismus und Revisionismus. Doch trotz einiger rechtslastiger Tendenzen hat sich der BdV immer von rechtsextremen oder neonazistischen Strömungen abgegrenzt. Auch haben sich in der erweiterten EU die Befürchtungen der osteuropäischen Nachbarn als haltlos erwiesen, die Heimatvertriebenen wollten nach dem Wegfall der Grenzen in Scharen in ihre alte Heimat zurückkehren. Der BdV hat sich zum Beispiel von Bestrebungen distanziert, auf juristischem Wege Ansprüche auf das frühere Eigentum im Osten geltend zu machen. Stattdessen bemühen sich die Landsmannschaften, die Erinnerung an die deutsche Kultur im Osten wachzuhalten. Dabei vertreten sie ein Geschichtsbild, in dem die nationale Perspektive dominiert und der Horizont sich auf die Jahre der Flucht und Vertreibung verengt. Eine Vorgeschichte gibt es nicht. Historische Darstellungen beginnen entweder 1945, oder sie schildern ausführlich die kulturelle Entwicklung Schlesiens oder Ostpreußens über Jahrhunderte hinweg und streifen die Zeit des Nationalsozialismus, wenn überhaupt, nur am Rande.

    Den Vorwurf der Geschichtsklitterung weist Erika Steinbach jedoch zurück.
    "Die Polen haben Schreckliches erlitten, die Russen haben den höchsten Blutzoll in diesem Zweiten Weltkrieg überhaupt gezahlt, das gehört alles dazu: Aber eines muss ich auch sagen, was ich in Deutschland hier feststelle, das wird einfach als Entschuldigung hergenommen, als Rechtfertigung für die Vertreibung, und das hat natürlich eher was mit Blutrache als mit Gerechtigkeit zu tun. Unser Ziel muss am Ende sein, die Geschichte insgesamt auszuleuchten, aber nicht ein Verbrechen mit einem anderen rechtfertigen und alles daran zu setzen, dass sich so etwas nicht mehr wiederholen kann."
    Doch geht es Historikern, wenn sie die Vertreibungen der Deutschen nach 1945 mit den vorhergehenden Ereignissen zu erklären versuchen, nicht eher um Zusammenhänge und Hintergründe und weniger um Rechtfertigung?

    1997 erklärte der damalige Bundespräsident Roman Herzog in einer Rede vor dem tschechischen Parlament:
    "Während der Historiker darum bemüht ist, die Wahrheit zu erkennen und bei historischen Abläufen Ursachen und Folgen voneinander zu trennen, sehen die betroffenen Menschen die Geschichte stärker aus der Perspektive ihrer persönlichen Erfahrung, und diese Perspektive ist auf beiden Seiten häufig die des Opfers. Wir müssen aber über die subjektiven Wahrheiten hinaus zu objektiven Wahrheiten kommen."