Dienstag, 16. April 2024


Der Liebe zu Deutschland nicht schämen

Ich bin gerne Deutscher - Jubel und Jammer der Menschen in diesem Land gehen mich sehr wohl etwas an. Wenn ein Deutscher gelobt oder ausgezeichnet wird, freue ich mich, als hätte es Gold in der Mannschaftswertung gegeben.

Von Feridun Zaimoglu | 28.09.2006
    In diesen Momenten, da ich glaube, unschlagbar zu sein, zupft mich aber fast immer ein Spötter am Ärmel. Es sei keine Schande, sagt er, sich dem Wir-
    Gefühl zu entziehen, und geradezu wahnhaft, Volk und Fahne hochzuhalten. Die Geschichte der Deutschen erlaube es nicht, ein großes Theater um eine kleine Empfindung zu machen. Aus der Ferne und der Fremde beschaut, gleiche das eigene Volk doch eher einem Haufen von armen Teufeln. Ein Mann, der sonst nichts zu melden habe, würde von einer krisenfesten und strapazenresistenten Idee träumen. Der Spötter vermiest mir selten die gute Laune, ich habe gelernt, mit diesen Anwürfen zu leben - nichts scheint schlimmer zu sein, als dass der Sohn von Gastarbeitern seine Liebe zu seinem neuen Land bekennt.

    Manchmal sitze ich auf Podien, spreche auf Nachfrage von eben dieser schönen Liebe, und werde von den meisten Menschen im Publikum angestarrt, als
    würde mir ein Fisch aus dem Munde hängen. Eine kluge Frau riet mir in ihrem Brief, es mit meiner Deutschlandliebe nicht zu übertreiben – sie kenne das Drama des fremden Kindes, das in seinem Eifer, Hochdeutsch zu erlernen, weit übers Ziel hinausschießt. Früher habe ich mich über diese Ermahnungen gewundert. Es geschah sogar, dass man mir Verrat vorwarf und mich einen deutschvölkischen Multikulturalisten schimpfte. Ich war verblüfft, und nahm den Ratschlag, mir Gedanken über meine geistige Verfassung zu machen, dann doch lieber nicht an.

    Neuerdings sieht man tatsächlich viele Menschen, die das Fähnchen in den Wind halten - das ist gut, und ganz sicher nicht schlecht. Die Berufspatrioten haben es immer gewusst – riefen sie die Bürger denn nicht immer dazu auf, sich als Reservesoldaten einer Schicksalsgemeinschaft zu verstehen?

    och der Patriotismus, wie er diesen Medienkriegern vorschwebt, klingt zu sehr nach dem Amen der Geläuterten, denen früher die Rolle zufiel, auf das Schlechte und Erstarrte hinzuweisen. Wer gelernt hat, aus der Menge heraus zu
    operieren, will nun Volkes Zorn und Stimme ernst nehmen. Der maßlose Patriot bringt irgendwann das Nationalgefühl ins Spiel: Der Ruhm der Toten wehe uns Nachgeborene aus der Tiefe der Geschichte an, und wir sollten im Schatten der Riesen unsere Zwergengröße begreifen. Kleine Menschen aber sind von Scham und Rachsucht angetrieben, sie blasen sich auf, und werden doch nur dick statt groß.

    Es ist soviel schöner Sinn und Klang, wenn man Deutschland sagt, und Deutschland meint, und man sollte sich dieser Liebe nicht schämen. Ich lasse mich ungern einschüchtern: Aus der Geschichte kann ich lernen, die Gegenwart muss ich meistern. Ich freue mich viel mehr über die Lebenden, ich lebe mit ihnen, und sie nähren in mir das Gefühl, im richtigen Land zur richtigen Zeit zu leben. Deutschland ist zunächst einmal das Pflaster vor der eigenen Haustür, es ist der Zeitungskiosk, die Bäckerei, der Supermarkt, das Café, die Stadtmitte und der Bahnhof, es ist die Zeitung, die ich aufschlage, und der Leitartikel und der Text im Feuilleton, die ich lese. Deutschland wird zum bloßen Wort, wenn man es zur großen dunklen Wolke verklärt, die den erhofften Regen spenden soll.

    Noch einmal: Der Tölpel braucht Erhabenheit, um nicht über die eigenen Füße zu stolpern. Er tut es trotzdem, denn er achtet selten auf seinen Schritt. So verhält es sich auch mit dem maßlosen Patrioten, der die Menschen nur als Volksmasse erkennen kann. Ich aber bin gerne Deutscher, weil mir die Menschen ans Herz gewachsen sind - ich liebe den Boden, auf dem ich gehe, und betrachte diese Liebe als eine selbstverständliche Sache.

    Das Land meiner Eltern, die Türkei, ist für mich das vertraute Ausland: Die waschechten Türken sehen in mir einen Deutschen, und sie sagen, die Vorsehung habe es eben so eingerichtet, wie könne man in einem Land aufwachsen, sein ganzes Leben verbringen, und trotzdem Ausländer bleiben wollen? Diese Einstellung der einfachen Menschen aus dem Volk bringt mich der Wahrheit näher als die Glaubensparolen der Spötter und der Patrioten. Das Deutsche
    ist mir eben nicht einfach so zugestoßen, ich habe es erlebt, ich habe
    es übernommen, und es hat mich bereichert. Wunderland Deutschland: Es ist wunderbar einfach, und wunderbar direkt; es ist wunderbar schöngeistig und wunderbar barbarisch. Ich liebe es.


    Feridun Zaimoglu, 1964 in der Türkei geboren, ist ein deutscher Schriftsteller. Er wuchs als Gastarbeiterkind in München, Bonn und Berlin auf. 1995 veröffentlichte er "Kanak Sprak" - ein Buch über junge, türkischstämmige Männer in Deutschland. 2003 erhielt Zaimoglu, der sich selbst als "educated kanakster" bezeichnet, beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb den Preis der Jury. Zuletzt hat er den Roman "Leyla" veröffentlicht.

    Als Musik zu seinem Essay hat sich Feridun Zaimoglu Wolfgang Amadeus Mozarts Requiem gewünscht.