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Der Lockruf des Fliegendrecks
Warum eine Essigfliege nicht lange alleine bleibt

Die Essigfliege Drosophila melanogaster kann in der Küche zu einer wahren Plage werden. Vor allem, wenn sie im Sommer dort reifes Obst findet. Einen Grund, warum nach einer Fliege bald ganz viele kommen, haben Forscher aus Jena jetzt gefunden. Es ist der Kot der Essigfliege, den sie auf dem Obst ablegt.

Von Lucian Haas | 11.10.2016
    Einige Fruchtfliegen sitzen auf einer Organgenscheibe
    Fruchtfliegen auf einer Organgenscheibe: Ein bekanntes Bild in deutschen Küchen. (imago stock&people)
    Essigfliegen sind lästige Tiere. Kaum lässt man im Sommer reifes Obst offen herumliegen, kommen sie geflogen. Und wenn die erste Essigfliege da ist, dauert es nicht lange, bis Dutzende davon über die Früchte krabbeln. Es ist das Aroma überreifer Früchte, das die Fliegen anlockt, so die allgemeine Lehrmeinung. Der Geruchsforscher Markus Knaden vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena hat allerdings noch einen weiteren Zusammenhang gefunden.
    "Was wir jetzt entdeckt haben ist, dass die Fliege diese überreifen Früchte, die selber schon attraktiv für sie sind, dass die Fliege diese Früchte noch einmal attraktiver macht. Wenn die einmal so verrottende Früchte gefunden haben, auf denen sie sich wohlfühlen, auf denen sie fressen können, wo sie auch Eier legen können, dann fangen die an, darauf Kot abzusetzen."
    Je mehr Fliegenkot auf den Früchten landet, desto stärker werden weitere Essigfliegen davon angelockt.
    "In dem Kot der Fliegen ist unter anderem eine hohe Konzentration von dem Sexuallockstoff der Fliege enthalten. Und das scheint einfach der Reiz zu sein, der nötig ist, um noch mehr Fliegen zu dem verrottenden Obst hinzulocken - damit die dorthin fliegen, damit sich die Fliegen dann auch untereinander paaren können. Die finden sich dort, und die können dann da ihre Eier ablegen."
    Bis vor einem Jahr war noch gar nicht bekannt, dass Essigfliegen überhaupt einen Sexuallockstoff besitzen. Es waren Markus Knaden und Kollegen, die diesen Lockstoff der Fliegen fanden und seine Wirkung nachweisen konnten. Allerdings ist die Konzentration des Stoffes direkt auf dem Körper der Fliegen sehr gering.
    "Der reicht vielleicht für eine Kommunikation über ein paar Zentimeter, vielleicht einen halben Meter. Aber weiter können die den nicht riechen, weil die nicht so viel davon herumtragen."
    Beim Fliegenkot ist das anders. Markus Knaden fand heraus, dass dort erstaunlich große Mengen des Sexuallockstoffes enthalten sind. Auf die Spur brachten ihn Experimente mit einer selbst gebauten Apparatur namens "Flywalk".
    "Das sind so kleine Windkanäle, in denen einzelne Fliegen sitzen. Die sind so 20 cm lang. Die Fliege ist ja etwa einen halben Zentimeter oder einen Zentimeter lang. Die sind dort einem kontinuierlichen Wind ausgesetzt. Und alle 90 Sekunden wird so ein Duft dem Wind zugemischt. Und wenn die Fliege den Duft gut findet, dann will die gegen den Wind gehen, um halt zur Duftquelle zu kommen, weil der Wind ja den Duft zu ihr hingetragen hat. Wann immer wir jetzt also Duft aus diesem Kot in den Wind reingemischt haben, sind die Fliegen alle losgelaufen, um dort hin zu kommen. Und so haben wir gemerkt: Das ist ein Reiz, so etwas Attraktives haben wir vorher eigentlich noch nicht getestet."
    Die neuen Erkenntnisse könnten helfen, wirksamere Fallen für Essigfliegen im Haushalt zu entwickeln – indem in solche Fallen einfach die passenden Sexuallockstoffe freigesetzt werden. Markus Knaden hofft allerdings, in Zukunft auch Lösungen für ein wirtschaftlich viel drängenderes Problem bieten zu können. Es gibt eine nahe Verwandte der Essigfliege – die Kirschessigfliege, auch als Drosophila suzuki bekannt. Sie ist erst vor einigen Jahren nach Europa gelangt, entwickelt sich aber immer mehr zu einem großen Schädling im Obstbau.
    "Die legt ihre Eier in reifende Kirschen, in reifende rote Beeren, auch in roten Wein, und sorgt für riesige, immense Schäden. Und wir haben also auch geguckt: Auch die hat diese Stoffe im Kot. Und da haben wir schon die Hoffnung, dass wir dort vielleicht wirklich landwirtschaftliche Fallen entwickeln können, die dann helfen können, dieses Problem zu bekämpfen."