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Der"MännerschwarmSkript-Verlag"

Mit der Offenheit für "Anderes", "Fremdes" verhält es sich hierzuland und heutzutage doch immer wieder seltsam widersprüchlich: Theoretisch ist man ja offen, neugierig und tabufrei, nur praktisch ist davon oft wenig zu spüren. Man kann das auch im Buchhandel erleben. Joachim Bartholomae, Hans-Jürgen Köster und Detlef Grumbach, drei Verlags-und Buchladenbetreiber, konstatieren leicht ironisch: Bücher über Frauen in Namibia verkaufen sich hier im Zweifelsfalle eher als solche über Schwule in Deutschland.

Sabine Peters | 07.06.2001
    So entstand 1992 aus dem schwulen Buchladen "Männerschwarm" der Verlag "MännerschwarmSkript" in Hamburg. Der Buchladen selbst hat eine angenehme Atmosphäre, man kann in Ruhe stöbern, gelegentlich finden dort Lesungen statt. Im eigentlich unzumutbar düsteren, feuchten, überfüllten Keller darunter, der an ein Verließ denken lässt, werden die Verlagsprogramme konzipiert. Im Gespräch mit zweien der drei Verle-ger sagt Joachim Bartholomae:

    Unser Buchladen existiert seit 1981; damals war unser Angebot ein Bruchteil dessen, was man jetzt hier im Laden sieht, maximal vielleicht ein Zehntel. Und der Anteil von Büchern deutscher Autoren daran war mimmal. Das heißt, dass wir eigentlich von Übersetzungen aus anderen Sprachen gelebt haben. Aus diesem buchhändlerischen Alltag heraus haben wir uns deswegen geärgert, dass man zwar alles Mögliche über Schwule jetzt in NY und meinetwegen in Paris und Barcelona erfährt, aber nichts über Schwule aus Hamburg und Berlin.Und als wir dann die Möglichkeit hatten durch den Zufallstreffer des Ralf-König-Comics "Bullenklöten", selbst jetzt Bücher zu machen, war bei uns das Interesse, und auch das Engagement bei uns da, die deutschsprachige Literatur zu stärken, weil sich zu diesem Zeitpunkt die bürgerlichen Verlage in Deutschland darum noch nicht gekümmert haben.

    Schwule Literatur - bei diesem Thema kann man die oft beinahe reflex-haft ausgestoßene Frage gleich mit formulieren: Was ist das, und, braucht "die" Leserschaft so etwas? Provokativ könnte man zurückfragen: Was ist heterosexuelle Literatur, und: Braucht die Leserschaft noch mehr davon? Hier soll nicht weiter polemisiert werden; die Rezensentin will nach der Lektüre diverser Titel allerdings entschlossen sagen: Wir brauchen selbstverständlich auch Literatur, die von Leuten geschrie-ben wird, die schwul sind. Denn wo sie gelingt, leistet sie, was Literatur überhaupt erreichen kann: Sie bestätigt und provoziert, sie erkennt und stellt infrage, sie verfremdet "Vertrautes" und eröffnet Zugänge zu "Fremdem", kurz, sie bearbeitet Wirklichkeit und setzt ihr Möglichkeiten entgegen.

    An deutschsprachiger Literatur wäre im Männerschwarmskript-Verlag beispielsweise die "Biographie der Bestürzung" des kürzlich verstorbenen Detlev Meyer zu nennen: Federleichte Sprache plus Frechheit plus Selbstironie werden zu einer Schönheit, die man nicht schnell vergisst. Oder, ganz anders, der schweizerische Autor Christoph Geiser, dessen Schreibweise so etwas wie ein kontrollierter Rausch ist, eine Obsession, die rituelle Elemente verwendet, um nicht aus der Balance zu fallen; es handelt sich hier um den gewagten und wagemutigen Ansatz, in Grenzbereiche von Wahrnehmungen und Empfindungen vorzudringen. Das Vorurteil gegenüber der Literatur von "Randgruppen" besagt, hier handele es sich meist um Texte, die rein anekdotisch seien, abgeschriebenes Tagebuch, Veröffentlichung von ganz Privatem - und daher werden die Texte auch schnell abgestempelt als bloßes Outing, als Bekenntnis oder Lebensbeichte. Wie unsinnig solche Verallgemeinerungen sind, zeigt zum Beispiel die Arbeit des israelischen Autors Jossi Avni. Sein Roman "der Garten der toten Bäume" ist eine äußerst präzise Studie der Einsamkeit, der Differenz zwischen Wunsch und Wirklichkeit; und wie haarfein der Autor die gruseligen Seiten einer Mutter-Sohn-Beziehung nachzeichnet, ist bei allem Schrecken dann auch sehr komisch. Oder der Roman "Spätsommer" des Amerikaners Larry Ebmeier, bei dem man sich fragen kann, warum das Buch kein Filmstoff wurde: Hier wird den Lesern geradezu exemplarisch vorgeführt, welche Verrenkungen einer macht, weil er meint, mit einem Makel behaftet zu sein. Ohne die besondere Situation des Helden zu nivellieren, kann man vielleicht sagen: Dieser überanstrengte, bemühte Corey, der von seinem Autor liebevoll und spöttisch auf den Weg zu seinen eigenen Gefühlen gebracht wird, zeigt einem eine ganze Menge über verinnerlichte gesellschaftliche Normen und Zwänge. Dazu Bartholomae:

    Die Bücher haben uns vor allem auch deshalb überzeugt, weil wir selbst etwas Neues daraus erfahren haben. Wir haben nicht nur unsere eigenen Hobbies bedient, und wir haben auch die besten Besprechungen bekom-men von Leuten, denen es offenbar genauso ging, die sagten, ich hab das erst mit spitzen Fingern angefaßt und war überrascht, was ich alles daraus lernen konnte. Ich denke, das trifft sicherlich auf unsern gesamten Bereich der schwulen Belletristik zu, dass es auch für den heterosexuellen Leser so etwas gibt wie die Kontrollgruppe. Das heißt, es gibt da einen Teil der Bevölkerung, der unter ansonsten gleichen Bedingungen auf eine nur etwas andere Weise lebt und der zunehmend in der Lage ist, das darzustellen. Und wenn man selbst nicht schwul ist, wird einem in vielen Fällen zumindest das eigene Verhalten deutlicher werden, oder man stößt auf andere Verhaltensmöglichkeiten.

    Was die Verbreitung von Büchern mit schwulen Themen anlangt, kam besonders anfangs immer wieder von Buchhändlern, Journalisten und Redakteuren das Argument: Solche Bücher interessierten die Leser nicht, die Bücher fänden keine Käufer. Es wurde nicht gesehen, dass Homosexualität wohl noch anderes ausmacht als die Sexualität, dass es um eine andere Lebensweise geht, um eine andere Ästhetik, um einen anderen Blick auf die Welt. Die Situation hat sich allerdings in den letzten Jahren verändert, und die Bücher des MännerschwarmSkript-Verlags werden jetzt auch häufiger in den großen Feuilletons vorgestellt. Mit der Förderung von Projekten, sei es im literarischen Bereich oder im Bereich Sachbuch, ist es allerdings so eine Sache, erklärt Detlef Grumbach:

    Das ist ein ganz schwieriges Thema, mit dem ich auch leidvolle Erfah-rungen gesammelt habe. Wir haben ja vor 2, 3 Jahren ein wirkliches Riesen-Projekt realisiert, ein biographisches Lexikon zur Geschichte der mannmännlichen Sexualität und Freundesliebe im deutschen Sprachraum, vom Mittelalter bis in die Gegenwart, über 1000 Seiten, über 1000 Persönlichkeiten werden dort mit Lexikonartikeln gewürdigt. Das war ein Projekt, das ein kleiner Verlag wie wir aus eigenen Mitteln über-haupt gar nicht realisieren konnte, da hat der Satz ja schon 15.000 Mark gekostet. Da habe ich mich bemüht, bei Stiftungen, ob nun Heinrich-Böll-Stiftung, Friedrich-Naumann-Stiftung, oder im öffentlichen Bereich, von der Kulturbehörde, von der Wissenschaftsbehörde, Gelder zu bekom-men. Da habe ich keine müde Mark für so ein Projekt bekommen. Alle haben gesagt, hochinteressant, sehr spannend - aber wir fördern so viel, das nicht. Das haben wir nur machen können, weil es dann diese sehr verdienstvolle Hannchen-Mehrzweckstiftung gibt, die hat uns dann einen erheblichen Betrag zugeschossen. Und ein paar kleinere schwule Einrichtungen auch noch. Nur deshalb konnten wir das realisieren. Aus dem anderen Bereich, wie gesagt: Keine müde Mark.

    Es wird vermutlich dauern, bis die Schwellenangst oder, schärfer gesagt, auch die ignorante Arroganz gegenüber der schwulen Bevölkerung abgebaut ist. Das Programm des MännerschwarmSkript-Verlags selbst vermittelt einerseits durchaus den Eindruck, dass hier auch ein heterosexueller Leser Stoff zur Auseinandersetzung findet, wenn er Interesse an anderen Lebensformen hat. Andererseits ist hier, übrigens auch durch den Sachbuchbereich, ein Umfeld entstanden, ein Raum, in dem die Bücher sozusagen miteinander kommunizieren und diskutieren. Bei entspre-chenden Titeln geht es beispielsweise um die nach wie vor virulente Fra-ge, ob die vollständige Integration der "Randgruppe" der Schwulen in die Gesellschaft eigentlich wünschenswert ist und welche Aufgaben "die" Schwulenbewegung heute hat. Die Schwierigkeiten, die etwa in dem Band "Was heißt hier schwul" debattiert werden, dürften auch diejenigen Leser interessieren, die die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahre begreifen wollen: Es ist ja nicht aus-schließlich die junge Generation, es sind nicht ausschließlich die jungen Schwulen, die, um es mit einem Schlagwort zu sagen, inzwischen lieber Party statt Politik wollen; es ist ja nicht so, als gäbe es niemanden mehr über dreißig.

    Auch wenn einzelne Titel aus dem literarischen oder dem Sachbuchpro-gramm über die schwule Szene hinaus bekannt werden, besteht nicht die Gefahr, dass man sich im MännerschwarmSkript- Verlag selbst ghettoisiert? Detlev Grumbach:

    Die Gefahr der Ghettoisierung besteht natürlich immer, aber zuallererst ist das ja ein Stempel, dem einen die anderen aufdrücken. Wir stehen dazu, wir machen Nischenliteratur, aber eben nicht Literatur für die Nische, sondern Literatur aus der Nische, für Leserinnen und Leser. Wir müssen es machen, weil andere Verlage heute auch noch nicht so etwas eigenständig entwickeln, sondern eben auch "mal" so einen einzelnen Titel machen, "mal" eine Übersetzung. Wenn die anderen das lernen, dass das auch interessant ist und sie das irgendwann vielleicht besser können als wir, dann haben wir unsere Schuldigkeit getan, dann werden wir vielleicht sogar überflüssig. Oder andersrum, vielleicht haben w i r dann die Chance, mit unseren Erfahrungen und unserem Background, auch uns zu öffnen und vielleicht ganz andere Literatur zu machen.

    Einstweilen lohnt es sich, das MännerschwarmSkript-Programm wahrzunehmen; eine Vorstellung davon übermittelt übrigens auch die ausgesprochen leserfreundlich gestaltete Webseite im Internet.

    Link: www.maennerschwarm.de