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Der Mann hinter John Demjanjuk

In München ist der 90-jährige John Demjanjuk angeklagt als Helfer der Nazimörder im Vernichtungslager Sobibor, ein aufsehenerregender Prozess. Eine schwierige Rolle darin hat Ulrich Busch. Er ist der Verteidiger des Angeklagten.

Von Rainer Volk | 22.07.2010
    "Sie haben doch sicher eine Erklärung, Herr Dr. Busch?" Mit dieser Frage des Vorsitzenden Richters beginnt fast jeder Prozesstag vor dem Münchner Landgericht. Selten geht die Annahme fehl. Beginnt Ulrich Busch, einer der Verteidiger von John Demjanjuk mit dem Verlesen einer seiner Anträge, dann lehnen sich alle in ihren Sitzen zurück, wissend: Es vergeht nun eine halbe Stunde. Den schlaksigen, fast zwei Meter großen Mann mit dem Backenbart scheint es zu wundern, dass ihm das keine Sympathien einbringt:

    "Also aus meiner Sicht ist die Atmosphäre schlecht, sehr frostig, unangenehm. Manchmal empfinde ich es als an der Grenze zur Einschüchterung. Ich komme manchmal gar nicht zu Wort, sondern werde - auch innerhalb eines Satzes - obwohl noch gar nicht klar ist, welchen Satz ich ausspreche - schon wieder unterbrochen."

    Einschüchtern aber lässt sich der aus Ratingen am Niederrhein stammende Strafverteidiger nicht. Im Gegenteil. Den Einwand, seine Hinweise auf eine mögliche Fälschung von Beweismitteln könne man auch auf rechtsradikalen Internetseiten nachlesen, kontert der Jurist trocken: Notfalls akzeptiere er Entlastungsmaterial auch vom Teufel. Doch gehört Busch nicht zur "braunen Szene" der Anwaltschaft. Das Vertrauen seines Mandanten nährt sich vielmehr aus der Herkunft seiner Frau:

    "Die Eltern meiner Frau sind ukrainischen Ursprungs und dann nach dem Krieg in die USA ausgewandert. Sie ist dann nach Mainz gekommen, dort hab' ich sie kennengelernt. Und so habe ich, weil wir auch in Detroit geheiratet haben, die ganzen ukrainischen Exilkreise dort kennengelernt."

    Dem Einfluss der freundlichen blonden Ehefrau, die an fast jedem Verhandlungstag im Publikum sitzt, ist es sicher auch zuzuschreiben, dass der 90-jährige, mutmaßliche SS-Hilfsfreiwillige für Ulrich Busch kein 'normaler' Mandant ist. In den Verhandlungspausen sitzt er häufig am Bett von Demjanjuk und spricht mit ihm:

    "33 Jahre Justiz- und Prozesskrieg - das kann niemand aushalten. Er verdient unsere Anteilnahme. Er verdient die Hilfe und den Beistand. Und indem meine Frau da ist, freut sich Herr Demjanjuk. Er lässt ihr immer Grüße bestellt - und es richtet ihn auf."

    Zu Reportern ist Busch eher distanziert. Es dauert lange, bis er Privates erzählt - zum Beispiel vom Engagement des Ehepaars für die ukrainisch-katholische Kirche in Deutschland. Obwohl ihn die mangelnde Sympathie im Gerichtssaal ärgert, ist für Busch die Rolle des provokanten Einzelkämpfers nicht neu. Der Anwalt praktiziert seit über 30 Jahren alleine mit zwei Sekretärinnen, hat aber nicht nur "kleine Fische" vertreten:

    "Ich habe damals den Flugkapitän verteidigt, der wegen angeblichen Drogenschmuggels verurteilt worden war und dann offenbart hat, dass die WestLB mit der nordrhein-westfälischen, SPD-geführten Regierung Absprachen über Flugdienste und solche Sachen gemacht hat. Trotz "Einzelkämpfer" hatte ich immer wieder - ich muss sagen - Glück gehabt, dass ich solche spektakulären Fälle habe bearbeiten können."

    Die Pose des "Allein gegen alle" hat im Demjanjuk-Verfahren aber auch ihre Grenzen: Kinder, Verwandte und Anwälte des Angeklagten in den USA helfen per E-Mail und Telefon, wenn es darum geht, Zweifel an den Gutachtern zu säen. Mit Informationen gefüttert kann Busch die Experten so langatmig und zermürbend befragen. Die Nebenkläger, wie zum Beispiel der Kölner Strafrechtsprofessor Cornelius Nestler, verlieren immer öfter die Geduld:

    "Herr Doktor Busch vergeudet unsere Zeit. Wenn die Verteidigung auf diese unkonzentrierte Art und Weise immer wieder dieselben Themen zum falschen Zeitpunkt thematisiert, wie sie das in den letzten Monaten getan hat, wird dieses Verfahren solange dauern, bis Herr Demjanjuk wahrscheinlich nicht mehr leben wird. Das ist meine pessimistische Prognose im Augenblick."

    Diesen Vorwurf weist der End-50er natürlich zurück. Busch betont, er wolle Demjanjuk möglichst bald in Freiheit sehen und klagt: Dass das Verfahren sich zäh gestalte, liege vor allem an einem grundsätzlichen Problem:

    "Ich kann auch den Rechtsstaat im Grunde nicht mehr begreifen. Was man mit einem solchen am Ende seines Lebens stehenden Greises sühnen soll, was an Gerechtigkeit für die Opfer entstehen soll."

    Der ursprüngliche Zeitplan der Münchner Justiz sah bereits im Mai die Urteilverkündung vor. Inzwischen gab das Gericht Verhandlungstermine bis kurz vor Weihnachten bekannt. Busch kommentiert das trocken:

    "Ich habe ja als meine Prognose damals gesagt: Minimum ein Jahr, wahrscheinlich aber zwei Jahre. Das war meine Prognose 2009."