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Der Mann von La Mancha
Spurensuche in der Heimat des Dichters Cervantes    

Mit seiner bekanntesten Romanfigur dem Ritter Don Quijote hat Miguel Cervantes mit dem höfischen Ideal gebrochen. Aus dem immer siegreichen Helden hat er das Bild eines Anti-Helden kreiert. Ein Mann, der sich nicht in irgendwelche Muster pressen lässt - ganz nach dem Vorbild Miguel Cervantes selbst.

Von Franz Lerchenmüller | 04.12.2016
    Ein Bild von Miguel Cervantes, dem Erfinder von Don Quijote
    Ein Bild von Miguel Cervantes, dem Erfinder von Don Quijote (dpa)
    "An einem Ort in der Mancha, ich will mich nicht an den Namen erinnern..."
    So beginnt einer der berühmtesten Romane der Welt: Don Quijote de la Mancha". Geschrieben hat ihn der spanische Dichter Miguel de Cervantes. Und der starb vor 400 Jahren in Madrid, am 22. April 1616. Seine Biografie, findet Cervantes-Liebhaberin Susana Moya aus Esquivias, ist viel zu wenig bekannt.
    "Was mich fasziniert ist das Leben von Cervantes. Er hat den Quijote geschaffen, deshalb weiß man mehr über Quijote als über seinen Autor. Aber Cervantes hatte selbst ein abenteuerliches Leben. Kriege, Kerker, immer unterwegs, immer zu wenig Geld – ein Leben wie im Film. Ich glaube, wir müssen uns mehr für Cervantes interessieren, nicht nur für den Quijote."
    Es gibt kein einziges, verbürgtes Bild des Dichters, weiß die Historikerin Isabel Campo. Stattdessen hat er eine genaue Beschreibung seiner selbst hinterlassen.
    "Von braunem Haar, die glatte Stirn ziemlich freiliegend, von fröhlichen Augen, krummer Nase, mit dem Bart in Silber, das vor 20 Jahren in Gold war – also war er blond. Der Schnurrbart groß, der Mund klein. Die Zähne weder klein noch groß, aber in diesem Mund gibts nur noch sechs. Die Hautfarbe lebendig, mehr weiß als braun – so hat er sich selbst beschrieben."
    Geboren wurde Miguel de Cervantes am 29. September 1547 in Alcalá de Henares in der Mancha. Jener Region, die flach und karg und fast so groß wie Österreich einen erheblichen Teil von Zentralspanien ausmacht.
    "Am Sonntag, den 9. Oktober im Jahr des Herrn 1547, wurde hier Miguel getauft, Sohn des Rodrigo Cervantes und seiner Frau Dona Leonor..."
    Vor seinem – nachgebauten – Geburtshaus in der Calle Mayor sitzen Don Quijote und sein Knappe Sancho Pansa in Bronze, und die Besucher stehen Schlange, um sich mit dem groben Bauernburschen und dem hageren Ritter fotografieren zu lassen, dem die Verwirrung ins gequälte Gesicht geschrieben steht. Und dazu klappert immer von einem der Kirchtürme einer der 250 Störche.
    Fast jeder Ort in der Mancha müht sich, seine ganz besondere Verbindung zu Cervantes herauszustellen. Aus Esquivias etwa stammt seine Frau Catalina. Ihr Onkel hat mit seinem Faible für zeitgenössische Literatur Cervantes erst richtig inspiriert – davon ist Museumsleiterin Susana Moya überzeugt.
    Figuren des Romans stamen aus der Mancha
    "Alonso Quijada liebte Ritterromane. Am liebsten las er sie mit dem Pfarrer zusammen, Pero Perez. Darum hieß auch der Pfarrer, der in Don Quijote vorkommt, Pero Perez."
    Auch viele Dorfbewohner, die Cervantes während seiner Zeit in Esquivias kennenlernte, gingen später in den Roman ein.
    "Die alten Pfarrbücher beweisen, dass eine ganze Menge von Leuten, die im Buch vorkommen, hier gelebt haben: Mariscos Ricote etwa; dann der Mann aus der Biskaya; Teresa, die Frau von Sancho Pansa, sowie Pedro Alonso, ein Freund der beiden."
    Rundherum breitet sich die Mancha aus, ein Patchwork aus Grün und Ocker. In schnurgeraden Reihen erstrecken sich die knorrigen Knüppel der Reben bis zum Horizont. Olivenbäume krallen sich in steinigen Grund und darüber spannt sich ein weiter Himmel in Blau-Weiß.
    Eingesperrt im Bürgermeister-Keller
    In Argamasilla de Alba war der Schriftsteller zwischen 1600 und 1603 in einem Keller eingesperrt. In den geweißten Katakomben für Öl und Wein hat er angeblich begonnen, an seinem großen Roman zu feilen. Erzählt Fernando Ruiz, der sich in der Mancha um den Tourismus kümmert.
    "Es war das befestigte Haus des Bürgermeisters. Cervantes hatte Ärger mit ihm – entweder wegen Liebeshändel, oder weil es um Geld ging – ein romantischer oder ein mehr praktischer Grund. Jedenfalls war er hier im Keller eingesperrt."
    Nach und nach kristallisiert sich im Lauf der Tage das Bild eines Mannes heraus, den man so noch nicht kannte: Ein Möchtegern-Emporkömmling, der so gern zur höheren Gesellschaft gehört hätte, war Cervantes. Ein Soldat, dem in der Seeschlacht von Lepanto die linke Hand zerschossen wurde. Ein Abenteurer, der fünf Jahre Kerkerhaft in Algerien überlebte.
    1605 veröffentlichte er den ersten Teil des Don Quijote. Die Geschichte eines kleinen Adligen, den die übermäßige Lektüre von Ritterromanen zum selbst ernannten Kämpfer wider das vermeintlich Böse werden ließ. Ein Meilenstein der Weltliteratur, findet die Hispanistin Brita Schleinitz.
    "Der Roman Don Quijote" stellt quasi einen Bruch in der Literatur dar, weil er mit dem höfischen Ideal, mit dem Ritterroman bricht. Dem immer siegreichen Helden wird entgegengesetzt ein Bild von einem quasi Anti-Helden, jemandem, der scheitert, der angesichts der Realität scheitert, mit seinem Idealismus, aber nicht vollkommen scheitert. Er heißt auch der sinnreiche Junker, der viel nachdenkt über die Welt, zu seinen eigenen Schlüssen kommt und sich nicht in irgendwelche Muster pressen lässt, sondern seine eigenen Vorstellungen lebt und dann von seiner Umgebung enttäuscht wird."
    2002 wurde "Don Quijote" von 100 Schriftstellern aus vielen Ländern zum "besten Buch der Welt" gewählt. Es gibt unzählige Theaterstücke, Opern und Filme darüber. Und auch ein erfolgreiches Musical
    Der Roman Don Quijote wird von Anfang an ein Erfolg. Was kein Wunder ist, meint Isabel Campo.
    "In der damaligen Zeit, 1605, war das ein Buch, was völlig anders war als die übrigen Bücher. Weil, es war ein Buch, das lachte über die Ritter, was lachte über das, was andere Schriftsteller zur gleichen Zeit machten. Es war ein ganz anderes Buch, wo die Leute auch sich selbst gesehen haben, in den kleinen Darstellern."
    Quijotesk ein Wort im Spanischen
    Hergestellt wurde das Buch in der Druckerei Juan de la Cuesta in Madrid. Sie liegt im heutigen Literatenviertel, in dem Zitate wichtiger spanischer Autoren in die Straßen eingelassen sind. Der Historiker José Francisco Castro hat den Betrieb samt Bleisatz und Presse rekonstruiert. Don Quijote, meint er, bleibt immer aktuell.
    "Wir haben in Spanien den Ausdruck "quijotesk" für einen Menschen, der einen scheinbar unmöglichen Kampf aufnimmt - eine integere Person, die ihre Ideale aufrechterhält. Das Kino, die Literatur, die Kunst greifen immer wieder auf diese Idee zurück, dass ein Individuum, das ganz allein dasteht, gegen etwas Übermächtiges kämpft und sich gegen alle Widerstände behauptet."
    Der Kampf gegen die Windmühlen ist zweifellos die bekannteste Episode des Romans:
    "Da sahen sie 30 oder 40 Windmühlen auf dem Feld vor ihnen..."
    Und da stehen sie, in Consuegra, aufgereiht wie steinerne Wächter der Zeit, und überblicken von ihrem Hügelkamm das weite Land. Spitze, schiefergraue Hauben bedecken die weißen Zylinder, die filigran durchbrochenen Flügel aus Holz stehen heute still.
    Um die 500 drehten sich damals, wenn "Matacabras", der "ziegentötende", eisige Wind wehte. 30 davon sind noch erhalten. Und stets werden sie von Touristen umlagert, denn wo sie in den Himmel ragen, verdichten sich Landschaft, Dichter, Held und Roman zum mythologischen Ort.
    In den Bars und Restaurants von Consuegra müht man sich, die Erinnerung an den Dichter kulinarisch wachzuhalten.
    "Cervantes trank den Wein, den wir gerade trinken. Er aß den Weizen, der hier in den Mühlen gemahlen wurde. Er hatte Linsen, Schweinebraten, Rührei, Eintopf. Auch eine Pastete gab es damals in der Mancha, die ihm sicher zusagte. Einiges, was hier auf dem Tisch steht, kannte er allerdings noch nicht – Kartoffeln zum Beispiel."
    Eine der Ideen, sich in das 16. Jahrhundert zurückzuversetzen, sind die Tapas Medievales. José Perulero, einer der Honoratioren des Ortes, hat sich das Ganze mit ein paar Köchen ausgedacht.
    "Mittelalterliche Tapas dürfen mit allen Lebensmitteln zubereitet werden, die es in Spanien vor der Entdeckung Amerikas gab. Sie können aus Europa stammen, oder von den Arabern importiert sein – es darf nur nichts Amerikanisches dabei sein. Lamm, eingelegter Fisch, mariniertes Schweinefleisch, der Gemüseeintopf – es gibt eine große Auswahl. Aber die besten Rezepte findet man in den Klöstern – dort war damals die Hochküche zuhause"
    Am 22. April 1516 starb Miguel de Cervantes in Madrid und wurde im Kloster der Trinitarier beigesetzt. 2015 entdeckte man in der Krypta die Überreste mehrerer Männer. Mediziner und Historiker vermaßen, untersuchten, diskutierten – und waren sich am Ende sicher: Des Dichters Gebeine sind dabei. Jetzt ruht er mit ein paar anderen hinter einer Gedenkplatte in der Kirche. Sein Geist aber, aufgehoben in seinem Werk, ist lebendig wie eh und je – nicht nur für Isabel Campo.
    "Ich liebe Cervantes, weil ich den Mann entdeckt habe durch das, was er schrieb. Weil er aus erster Hand berichtet, wie die normalen Leute lebten, die Nöte, die sie hatten, in dem Spanien des 16., Anfang des 17. Jahrhunderts, in dem der Hof mit Geld über alle Maßen lebte. Also er berichtet nicht über die hohe Gesellschaft. Es ist ein hervorragendes Dokument über das wirkliche Spanien, das populäre Spanien."