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Der Minenmulti am Fuße des Corcovado

An Rohstoffen entzünden sich diplomatische Spannungen, Handelskriege - wenn nicht sogar reale Kriege. Ein mächtiger Global Player der Branche sitzt in Brasilien: das Bergbauunternehmen Vale.

Von Michael Laages | 30.07.2010
    Als am 30. Juni hoch über Rio de Janeiro die weltberühmte Christus-Statue fertig restauriert war, war einmal mehr auch Vale in aller Munde - die Weltzentrale des Minenmulti liegt quasi zu Füßen des Monuments -, und Vale war mit sieben Millionen Dollar Hauptsponsor für die Rundumerneuerung des Wahrzeichens. Ein Beitrag aus der Portokasse. Mit einer Marktkapitalisierung von 150 Milliarden US-Dollar zählt Vale zu den 30 größten Aktiengesellschaften weltweit und ist die größte in Lateinamerika; Vale liefert Eisenerz und Aluminium, Kohle und Kupfer, Nickel und Mangan für den Weltmarkt und betreibt außerhalb Brasiliens Minen und Erzabbau in fast allen anderen südamerikanischen Staaten, zudem in Kanada und den USA; in Südafrika, Guinea, Gabun, Mosambik, Sambia und der Republik Kongo; in Australien und China, Indien und Indonesien, Südkorea und Japan, in der Mongolei und in Kasachstan. Vale ist präsent in England, Frankreich und Norwegen. Mitte Juni kam zudem eine Kooperation mit ThyssenKrupp unter Dach und Fach.

    Eine halbe Million Anteilseigner sind mit im Spiel. Vale-Papiere werden an allen bedeutenden Börsen der Welt gehandelt, und es gab Zeiten, da lag das Rating der Firma höher als das des Staates, der sie gegründet hat. Denn Vale, ehemals "Vale do Rio Doce" - was so viel heißt wie "Tal des süßen Flusses" -, war bis 1997 ein reines Staatsunternehmen. Jetzt ist der brasilianische Staat noch mit gut fünf Prozent an Vale beteiligt. Im Werden und Wachsen von Vale spiegelt sich nichts weniger als Brasiliens neuere Geschichte selber.

    Die Vorgeschichte des Unternehmens beginnt weitab von Erz und Stahl. In Brasilien hatte sich ja nie ein nennenswertes Netz von Eisenbahnen entwickelt, weil bald nach der ersten Boom- und Gründerzeit des Schienenverkehrs weltweit Erdöl im eigenen Land gefunden und seit der Erfindung des Verbrennungsmotors fast nur noch auf das Auto als Verkehrsmittel gesetzt wurde. Brasilien ist darum heute - wie die USA - gut vernetzt mit Überlandbussen, aber praktisch ohne überregionalen Schienenverkehr. Zur Vorgeschichte von Vale gehören darum Eisenbahn-Gründungen; die erste 1901 im Bundesstaat Minas Gerais, der Bodenschatzkammer des Landes. Dort beginnt 1909 der Erzabbau, mit britischem Geld und unterstützt durch neue Bahnstrecken. An einer - sie führt von Itabira in Minas bis zum Seehafen Vitoria im Bundesstaat Espirito Santo - wurde bis 1943 weiter gebaut; da ist die Urzelle von Vale gerade gegründet worden.

    Getulio Vargas, Brasiliens Schicksalspräsident, diktatorischer Regent von 1930 bis 1945 und 1951 noch einmal frei gewählt, dessen Selbstmord 1954 fast direkt in die neue Diktatur führt, gründet Vale 1942 per Dekret; in enger Absprache mit der amerikanischen Regierung, die sich so, mitten im Weltkrieg, Einfluss und Zugriff bei den Rohstoffen sichert. 1949 liefert die neue Firma 80 Prozent aller brasilianischen Erzexporte.

    Der staatlich beförderte Wirtschaftsaufschwung der 50er-Jahre geht in Brasilien nicht einher mit der Entwicklung sozialer Sicherung der arbeitenden Bevölkerung; weite Teile der Bildungs-, Sozial- und Kulturaufgaben tritt der Staat mangels eigener Kraft an die Unternehmen ab - etwa an den Sozialservice des Handels, abgekürzt: SESC und heute der wichtigste Kulturproduzent und -förderer überhaupt in Brasilien. Vale kooperiert seit 1955 mit einer Versicherung, die medizinischen und zahnmedizinischen Service für die Mitarbeiter garantiert. Eine Mitarbeiterbeteiligung am Unternehmen existiert seit Ende der 80er-Jahre.

    Kontinuierlich entstehen in der Nachkriegsgründerzeit neue Minenprojekte: Vale betreibt den Ausbau des Hafens von Vitoria im Bundesstaat Espirito Santo, von wo aus die geförderten Erze verschifft werden. Die firmeneigene Stahlproduktion beginnt Anfang der 60er-Jahre, in Kooperation mit englischen und deutschen Stahlproduzenten; eine eigene Reederei kommt hinzu. Ende der 60er-Jahre werden von US-amerikanischen Forschern massive Erzvorkommen in Carajas im nordbrasilianischen Bundesstaat Pará entdeckt - hier liegt nun seit Mitte der 80er-Jahre - und bis heute noch immer massiv ausbaufähig - der größte Vale-Bodenschatz. Mit kanadischen Partnern entsteht das erste Bauxit- und Aluminium-Projekt. Und 1974 ist Vale weltgrößter Eisenerz Exporteur, mit einem Anteil von 16 Prozent am transatlantischen Markt. 1975 gibt die Dresdner Bank erstmals Schuldscheine von Vale aus, im Wert von 70 Millionen Mark.
    Wieder - und bis heute - werden Eisenbahnen gebaut, Ende der 70er-Jahre zwischen Carajas und dem Seehafen Sao Luis. Die Logistik bleibt generell eine der komplexesten Aufgaben in Brasilien; der wachsende internationale Ruf nach ökologischer Nachhaltigkeit ist eine weitere - Vale tut das, was jeder große Raubbauer an der Natur tut: holt sich ökologischen Rat ins Haus und formt eine Arbeitsgruppe von Wissenschaftlern brasilianischer Universitäten. Seit der Privatisierung der Staatsfirma vor 15 Jahren hat der Anteil der Forschung auf medizinischem, biologischem und ökologischem Terrain stark zugenommen - genauso wie die Investition in firmeneigene oder von Vale getragene Bildungsinitiativen. Bei kontinuierlich wachsenden Gewinnen kann Vale sich das leisten.

    Vale baut Wasserkraftwerke, eröffnet neue Kupferminen und sucht internationale Partner, in Japan wie in Bahrain, und hat den kanadischen Nickelproduzenten INCO übernommen. Vale investiert in Bildung und Kultur, fördert - natürlich! - Sambaschulen in Rio de Janeiro - und will bis Ende dieses Jahres 346 Millionen neue Bäume gepflanzt haben im Land.

    Seine Erz- und Kupfer-Eisenbahnen nutzt Vale mittlerweile übrigens auch für regelmäßigen Personenverkehr. Und als eine Art Museumsbahn wurde die Strecke zwischen den Erz- und Edelstein-Städtchen Ouro Preto und Mariana in Minas Gerais wieder eröffnet. Hier hatte ja alles begonnen, lange vor dem Erfolg auf den Rohstoffmärkten der Welt: mit der Eisenbahn.

    Serie: Die Herren der Rohstoffe:
    Teil 1: Der britisch-australische Konzern Rio Tinto
    Teil 2: BHP Billiton (Australien)