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Der Mut der Jugend

Am 16. Juni 1976 boykottierten im südafrikanischen Soweto farbige Schüler den Unterricht und gingen auf die Straße. Die Demonstration wurde zu einem Massenprotest gegen die Apartheidspolitik. Die Polizei schlug die Unruhen blutig nieder und erschoss in den folgenden Tagen Hunderte Jugendliche. Der Aufstand wurde zu einem Symbol im Kampf gegen das rassistische Apartheidsregime.

Von Otto Langels | 16.06.2006
    Tausende von südafrikanischen Schülerinnen und Schülern demonstrierten am 16. Juni 1976 in Soweto, einem Wohnviertel für Schwarze am Rand von Johannesburg. Sie protestierten gegen die Anordnung der Regierung, den Unterricht in Afrikaans abzuhalten, der Sprache der Buren, der einst aus den Niederlanden eingewanderten Kolonialherren. Sam Nakedi war damals Lehrer in Soweto:

    "Wie aus dem Nichts kamen plötzlich Gruppen von den verschiedenen Schulen und riefen 'Nieder mit Afrikaans'. Und kurz darauf war alles voll mit Polizei, Tränengas und Steine flogen."

    Ein bekannt gewordenes Foto zeigt einen sterbenden Jungen in den Armen eines Mitschülers. Der 13-jährige Hektor Pietersen war das erste Opfer der Unruhen von Soweto.

    Die farbigen Jugendlichen probten den Aufstand und töteten zwei Weiße. Polizeikräfte verwandelten Soweto in ein blutiges Schlachtfeld. Die Unruhen griffen auf andere Städte über, Panzerwagen und Hubschrauber kamen zum Einsatz. Bis zum Jahresende wurden mindestens 500 Menschen getötet. Viele Kinder und Jugendliche landeten im Gefängnis. Die Mutter eines Schülers:

    "Soweto brannte. Und wir arbeiteten weiter, weil wir Angst hatten, eingelocht zu werden. Unsere Kinder aber standen mutig den Gewehren gegenüber, aus denen auf sie geschossen wurde. Es war eine Schande für uns. Lasst uns alleine, sagten sie. Sie haben uns, die Eltern, gelehrt, dass auch wir Macht haben."

    In Soweto hatten die schwarzen Jugendlichen ein neues Selbstbewusstsein demonstriert. Ende der 60er Jahre war in Kirchen und Schulen die so genannte Black-Consciousness-Bewegung entstanden. Die Schwarzen sahen die Kultur der Weißen nicht mehr als übermächtig an. Sie bekämpften das Apartheidssystem, das eine strikte Trennung der Bevölkerungsgruppen nach Hautfarben vorsah - in Banken und Postämtern, in Krankenhäusern und Toiletten, auf Parkbänken und an Stränden.

    Einer der bekanntesten Vertreter der jungen Bürgerrechtsbewegung war der Student Steven Biko:

    "Alle künftigen Veränderungen können nur von den Schwarzen kommen. Dazu müssen die Schwarzen selbst ein wichtiges Element in der Politik bekämpfen, nämlich das psychologische Gefühl, minderwertig zu sein."

    Steven Biko wurde mehrfach verhaftet, zuletzt im August 1977. Er starb an den Folgen einer schweren Kopfverletzung, die ihm Polizisten beim Verhör in einem Folterraum zugefügt hatten.

    Biko wurde wie Soweto zu einem Symbol des Widerstands gegen das Apartheidsregime. Hunderttausende von schwarzen Arbeitern unterstützten die Schüler und Studenten durch Streiks; militante Gruppen verübten Anschläge, internationale Organisationen riefen zum Boykott von südafrikanischen Waren auf. Die Regierung reagierte mit Repressionen und intensivierte zugleich krampfhaft ihre Bemühungen, dem Regime einen demokratischen Anstrich zu geben. So erklärte Ministerpräsident Vorster im Mai 1977:

    "Alle Schwarzen besitzen in Südafrika sämtliche politischen Rechte. Wenn die Weltöffentlichkeit sagt, in Südafrika müsse es volle politische Gleichberechtigung geben, dann sage ich mit allem Ernst: Sie ist bereits Realität in Südafrika."

    Doch die Opposition ließ sich mit Worten nicht mehr besänftigen. Der schwarze Widerstand wurde immer stärker, obwohl Anführer wie Nelson Mandela noch im Gefängnis saßen.

    1986 entstand das Musical "Sarafina", die Geschichte eines Schulmädchens aus Soweto, das an den Protesten im Jahr 1976 teilgenommen hatte. Das Musical, von jungen Laiendarstellern aus den schwarzen Vorstädten aufgeführt, war ein internationaler Erfolg - und ein Vorbote des allmählichen Verfalls der Apartheidspolitik.