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Der Mythos von der Ewigen Stadt

Über Jahrhunderte blieb die Stadt Rom unbesiegt, am 24. August 410 nach Christus aber nahm ein gotisches Heer unter dem Führer Alarich die Ewige Stadt ein. Kurz darauf zogen die Eroberer wieder ab. Was selbst nur von kurzer Dauer war, wirkte noch Jahrhunderte nach.

Von Helge Buttkereit | 24.08.2010
    "Es war Nacht, als die Goten durch das Salarische Tor eingelassen wurden. Kaum waren ihre ersten Scharen eingedrungen, als sie Feuer auf die Häuser in der Nähe dieses Tores warfen; indem sich der Brand in den dortigen engen Straßen weiterwälzte, ergriff er auch die Anlagen des Sallust. Die schönen Paläste des Geschichtsschreibers, in denen einst der Kaiser Nerva gestorben war, dienten der Plünderung Roms als erste Fackel."

    So beginnt der Historiker Ferdinand Gregorovius im Jahr 1859 seine Beschreibung des Falls der Stadt Rom am 24. August 410 und klärt wenig später auf: Was sich wie ein Augenzeugenbericht liest, dem fehlen die Quellen. Was genau in und um Rom in diesen Tagen geschah, ist nicht bekannt. Der Mythos des Ereignisses strahlt hingegen bis in die Gegenwart. Der Tübinger Historiker Steffen Patzold hat über die Wirkungsmacht der Eroberung Roms gemeinsam mit seinem Kollegen Mischa Meier ein Buch geschrieben.

    "Wir können sagen, dass im Hochsommer des Jahres 410 eine Armee unter Führung eines Mannes mit Namen Alarich Rom erobert hat. So viel steht fest, das können wir ganz sicher aus den Reaktionen der Zeitgenossen auch außerhalb Roms erschließen, und wir sehen, dass es ein dramatisches Ereignis gewesen sein muss, dass es mit großer Gewalt einhergegangen sein muss und dass es die politische Elite Roms erschüttert hat."


    Die Eroberung Roms fällt in die Zeit der Auflösung des römischen Imperiums. 395 nach Christus war das Reich in Ost und West geteilt worden. Im Osten war Konstantinopel, das heutige Istanbul, zur Metropole geworden, im Westen residierte Kaiser Honorius zeitweise im befestigten Ravenna, wo er sich besseren Schutz vor den Goten unter Alarich erhoffte als in Rom. Die Goten waren einst vor den Hunnen aus dem Osten geflüchtet. Sie hatten in Griechenland und Italien gegen die Römer gekämpft, sich andererseits auch immer wieder als Beschützer des Reiches verpflichtet.

    Im Jahr 408 fiel Alarich auf der Suche nach sicherem Siedlungsland für sein Volk mit einem Heer von etwa 30.000 Mann vom Balkan aus wieder in Italien ein. Die drängenden Versorgungsprobleme der großen Armee führten ihn zwei Mal vor die Tore Roms, wo sich die Römer mit Gold und Lebensmitteln freikauften. Das erhoffte Siedlungsland erhielten die Goten jedoch nicht. Beim dritten Mal stürmte und plünderte die Armee am 24. August 410 die Stadt, zog aber wohl nach wenigen Tagen wieder ab. Alarich starb kurz darauf. Die Goten zogen nach Frankreich weiter, wo sie sich für einige Jahre niederlassen konnten. Die Eroberung Roms wirkte auf viele Zeitgenossen, etwa den heiligen Hieronymus, wie ein Schock. Der Kirchenvater fragte:

    "Wenn Rom untergehen kann, was kann da noch sicher sein?"

    Der heilige Augustinus antwortete mit seinem berühmten Buch "Der Gottesstaat". Darin verteidigte er das Christentum gegen die Zweifler innerhalb der Kirche ebenso wie gegen die Heiden. Die einen waren von der Brutalität gegen die Christen in der Stadt erschüttert, die anderen sahen den Fall Roms als Beweis dafür, dass das Christentum nur Unheil bringe. Augustinus sah Gottes Wirken in der Gnade, die die Goten trotz aller Brutalität geübt hätten.

    "Was sich also bei der jüngst erfolgten Vernichtung Roms zutrug an Verwüstung, Mord, Raub, Brand und Not, das hat der Kriegsbrauch verschuldet; was aber dabei Neues vorkam, die ganz ungewohnte Erscheinung, wonach sich rohe Barbaren so milde zeigten, dass man, um des Volkes zu schonen, die weiträumigsten Kirchen auswählte und zu Sammelplätzen bestimmte, an denen niemand getötet, niemand der Freiheit beraubt werden sollte, das muss man dem Namen Christi und dem christlichen Zeitalter zuschreiben."

    Warum aber hat der Fall Roms 410 solch eine Bedeutung im Geschichtsbild nicht nur der Zeitgenossen gehabt? Steffen Patzold:

    "Das hängt an zweierlei. Einmal an der ereignisgeschichtlichen Tatsache, dass Rom seit Jahrhunderten nicht mehr eingenommen worden war und zum anderen an der Vorstellung, die sich an diese ereignisgeschichtliche Tatsache schon zeitgenössisch in der Zeit selber geknüpft hat, nämlich dass man sich vorgestellt hat, Rom sei ewig. Und wenn sie dann erleben, dass eine Armee Rom einnimmt, dann erschüttert das das ganze Weltbild."

    Mit dem Fall Roms beschleunigte sich der Niedergang des Weströmischen Reiches, das 476 endgültig unterging. Der Mythos der Ewigen Stadt wirkt indes bis heute.