Freitag, 29. März 2024

Archiv


Der pflanzliche Mega-Emittent

Isopren. Ein Molekül, das viele von uns entweder gar nicht kennen. Oder maßlos unterschätzen. Auch wenn es uns praktisch überall umschwirrt. Draußen an der frischen Luft jedenfalls. Landpflanzen dünsten die flüchtige organische Verbindung aus, und das in rauen Mengen.

Von Volker Mrasek | 16.03.2011
    "Wir gehen jetzt in eine Pflanzenkammer. Und in der werde ich die Lichtintensität ändern. Weil wir dadurch die Emissionen ändern."

    Ein großer Container in einer noch größeren Technikumshalle im Forschungszentrum Jülich. Darin: ein Glaskolben vom Ausmaß einer Waschtrommel.

    "Im Moment steht eine Pappel drin. Die fühlt sich gar nicht gut, nein."

    Jürgen Wildt hat keine Skrupel, sich als kleinen Folterknecht zu outen. Der Physiker aus dem Institut für Pflanzenwissenschaften setzt den sechs Wochen alten Zögling bewusst unter Stress. Er wurde mit Ozon eingenebelt. Das Sommersmog-Gas schadet auch Pflanzen.

    "Unter Stress emittieren die Pflanzen sehr stark verschiedene Kohlenwasserstoffe. Unter anderem auch Isopren. Und wenn wir dann Ozon zugeben, stellen wir sehr schnell fest: Das gefällt der Pflanze gar nicht."

    Dem Forscher aber schon. Denn durch die Experimente lässt sich mehr darüber erfahren, was Pflanzen so in die Atmosphäre abgeben. Sie sind regelrechte Fabriken für VOCs, für flüchtige organische Substanzen. Das leicht muffig riechende Isopren ist dabei eine ganz große Nummer:

    "Weil es in den größten Mengen von der Vegetation abgegeben wird - etwa 500 Millionen Tonnen pro Jahr."

    Laut Wildt gibt es nur einen Stoff, der noch höhere Ausdünstungsraten in der Pflanzenwelt erreicht. Und das ist Wasser. Kein Wunder also, wenn er über Isopren sagt:

    "Das hat einen erheblichen Einfluss auf die Atmosphärenchemie."

    Um nur ein Beispiel zu nennen:

    "Es kann zum Abbau des Hydroxyl-Radikals beitragen ..."

    Das ist das sogenannte Waschmittel der Luft.

    "... und damit die Oxidationskapazität der Atmosphäre

    Also ihre Selbstreinigungskraft.

    " ... zurücksetzen."

    Erstaunlich auch dieser Befund aus den zurückliegenden Jahren:

    "Man kann aus dem Isopren-Abbau in Gegenwart von Stickoxiden Ozon machen."

    Das heißt: Auch Pflanzen tragen zum Sommersmog bei. Allerdings nur dort, wo auch Verkehrsabgase in der Luft liegen, samt der genannten, ebenfalls erforderlichen Stickoxide, wie Jürgen Wildt betont.

    Andererseits gibt Isopren den Wissenschaftlern immer noch große Rätsel auf. Einen kleinen Teil Kohlendioxid wandeln Pflanzen sofort in Isopren um.

    "Warum, wieso, weshalb weiß kein Mensch."

    Pappeln und Eichen produzieren große Mengen Isopren, Buchen dagegen so gut wie gar keine.

    "Warum, wieso, weshalb weiß bis jetzt kein Mensch."

    Ackergräser wiederum scheinen den Kohlenwasserstoff überhaupt nicht zu kennen.

    "Warum, wieso, weshalb weiß wirklich noch kein Mensch."

    Isopren ist ein Grundbaustein vieler anderer Pflanzeninhaltsstoffe, so etwa auch von Naturkautschuk. Doch warum geben Eichen, Pappeln & Co. ihn so freizügig ab wie kein anderes Gas?

    Ein letztes Mal zuckt der Experte für den Stoffaustausch zwischen Bio- und Atmosphäre mit den Achseln:

    "Die Frage nach dem Warum hat noch keiner so richtig beantworten können."

    Wir sehen also: Auch heute noch gibt es Moleküle, die in gewaltigen Mengen in unserer Umwelt vorkommen. Und über die wir gleichwohl vieles noch immer nicht wissen

    "Das gefällt der Pflanze gar nicht."

    Links zum Thema

    Pressemeldung des Forschungszentrums Jülich, 17.09.09
    WDR-Wissen, Dossier
    Animation: wie aus vier Isopren-Einheiten Retionol wird
    Youtube-Video "Isopren vulkanisieren
    Technology Review, 08.04.10: Autoreifen aus Isopren

    Weitere Beiträge der Reihe: Molekül der Woche
    Deutschlandfunk-Reihe zum UN-Jahr der Chemie 2011