Donnerstag, 25. April 2024

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Der Schriftsteller Thomas Stearns Eliot starb vor 40 Jahren

Hier bin ich denn, in der Mitte des Wegs, nach zwanzig Jahren.

Von Christian Linder | 04.01.2005
    Zwanzig meist vertanen Jahren, den Jahren von l’entre deux guerres.
    Und versuche, den Umgang mit Wörtern zu erlernen, und jeder Versuch
    ist ein gänzlich neuer Anfang, und eine andere Art von Fehlschlag,
    Weil man nur gelernt hat, mit Wörtern fertig zu werden ...

    "East Coker" heißt das Gedicht T. S. Eliots, benannt nach einem englischen Dorf in der Grafschaft Somerset, von wo der Urahn Andrew Eliot 1670 nach Amerika ausgewandert war, nach Missouri.

    Es gibt noch andere Orte, schrieb Eliot,
    … die auch das Ende der Welt sind,
    manche an den Wellen des Meeres,
    oder bei einem dunklen See, in einer Wüste oder einer
    Stadt – aber dies ist der nächste in Raum und Zeit,
    jetzt und in England.


    In England, der Landschaft seiner Vorfahren, war der am 26. September 1888 im amerikanischen St. Louis geborene Thomas Stearns Eliot im Alter von knapp 20 Jahren angekommen, und nach einem Studium der Philosophie, europäischer und asiatischer Sprachen wie auch der Mathematik in Harvard und an der Pariser Sorbonne blieb er in Europa, arbeitete zunächst als Lehrer, dann bei der Lloyds-Bank in London und wurde 1926 Mitarbeiter, später Direktor des angesehenen Londoner Verlags Faber & Faber. Zu dem Zeitpunkt war T. S. Eliot als Schriftsteller selber eine europäische Berühmtheit geworden, der einen neuen Ton in die Lyrik gebracht hatte mit seinem 1910 in München entstandenen und 1917 veröffentlichten Gedicht "The Love Song of I. Alfred Prufrock". Eliot hatte darin zum ersten Mal seine Stimme ausprobiert:

    Gehen wir also, du und ich,
    wenn der Abend ausgestreckt am Himmel liegt,
    wie ein Patient im Ätherrausch auf einem Tisch;
    gehen wir durch gewisse halb-verlaßne Straßen,
    Raunende Schlupfwinkel
    Ruheloser Nächte in Hotels für eine Nacht,
    Sägemehlbestreuter Restaurants mit Austernschalen:
    Straßen wie ein schleppendes Gespräch,
    das sich tückisch immer weiter windet,
    auf eine Frage zielt, die überwältigt ...
    Ach, frage nicht: "Worauf denn?"


    Dieser freie lyrische Erzählton, der nicht wie bei Walt Whitmann pathetisch aufgeladen ist, sondern nüchtern, gebrochen, reflektiert daherkommt, hat T. S. Eliots Schreiben die Prägung gegeben. Das Leben des "unbehausten Menschen", wie ein in den 50er Jahren gerade im Hinblick auf Eliots Werk geprägtes Schlagwort hieß, wurde sein Thema. In seinem 1922 erschienenen Lyrikband "The waste Land, Das wüste Land", bis heute sein berühmtestes Oeuvre, hat er diesen "unbehausten Menschen" in einer "wüsten" Welt mit großem Atem besungen, das Buch ist eine Verbeugung vor Dantes Inferno und auch Baudelaires Paris. Der Zyklus spielt in einer verfremdeten Außenwelt genauso wie im Bewusstsein der Personen. Diese Personen sind in eine Krise ihres Selbstverständnisses geraten, ein inneres Erdbeben hat sie aus ihren festen Orientierungen heraus getrieben und zwingt sie nun, die Welt für sich neu zu erschaffen. Die Verstörungen, die Eliot aufzeigt, nutzt er als Sprengmaterial, indem eine künstlerische Absicht das Kommando übernimmt, die Inhalte instrumentalisiert und ins Extreme treibt. Insofern sind Eliots Bücher als moderne Großstadtlyrik zugleich intellektuelle Spielbücher, die alte Fragen aufwerfen wie "Woher kommen und wohin gehen wir"; auch theoretisch hat er diese Fragen in zahlreichen Essaybänden und der von ihm herausgegebenen Zeitschrift "Criterion" zu beantworten versucht. T. S. Eliots Versuche waren christlich grundiert, und als konservativ-klassisch-christlicher Ideenlieferant, seit 1927 englischer Staatsbürger und bekennendes Mitglied der anglikanischen Kirche, wurde er nach Ende des 2. Weltkriegs mit seinen Theaterstücken "Mord im Dom" oder "Coctailparty" ein auf europäischen Bühnen vielgespielter Autor. Eliots Ruhm - 1948 erhielt er den Literaturnobelpreis - war in den 50er Jahren auch hierzulande nicht zuletzt aufgrund einiger Theaterinszenierungen Gustav Gründgens fast schon legendär. 1955 erhielt Eliot den Hansischen Goethe-Preis und fand in Albert Kolb seinen Laudator:

    In dem Zyklus »East Coker« hatte Eliot bekannt:
    In meinem Anfang ist mein Ende ...
    Was wir Anfang nennen, ist oft das Ende, und ein Ende machen heißt etwas beginnen ...
    Jeder Satz, jede Wendung ist Ende und Anfang
    – alle Dichtung ein Grabspruch, jedes Tun ein Schritt auf den Richtblock hin oder mitten ins Feuer oder tief ins Meer.


    Gegen Ende seines Lebens erinnerte sich Eliot an den Anfang:

    Ich verstehe nicht viel von Göttern; aber ich glaube der Fluß
    ist ein starker brauner Gott – mürrisch, ungezähmt und unverträglich ...
    Sein Rhythmus war da im Kinderschlafzimmer,
    im üppigen Ailanthus des Torwegs im April,
    im Geruch der Trauben auf dem herbstlichen Tisch,
    Am Abend im Kreis des Gaslichts im Winter.


    Gestorben ist Thomas Stearns Eliot am 4. Januar 1965 in London und begraben in dem Dorf, dessen Name eines seiner schönsten Gedichte aufbewahrt, eben "East Coker".