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Der schützende Himmel über der Wüste

1999 publizierte Jens Rosteck - in Paris lebender Musikologe - bei Propyläen eine Doppelbiographie zu der Schauspielerin Lotte Lenya und dem Komponisten Kurt Weill. Und nun - als Empathiker gewissermaßen promoviert - hat er eine neue Doppelbiographie geschrieben: zu dem amerikanischen Schriftstellerpaar "Jane und Paul Bowles" - aufgelegt bei Goldmann, wo das gesamte auf Deutsch vorliegende Werk von Paul Bowles betreut wird.

Von Thomas Palzer | 15.02.2006
    Doppelbiographien sind in Mode - vielleicht, weil sie auf die notorische Krise der Paarbeziehungen und die Demontage ihrer Modelle mit Idolisierungen reagieren. Sie zeigen, wie - und vor allem: dass es geht. Oder sie antworten einfach nur auf das Bedürfnis nach sozialem Kitt, nach jenen Lebens- und Klatschgeschichten, die zum Betrieb einer Gesellschaft notwendig sind. Jedenfalls gibt die Kulturgeschichte eine ganze Reihe von Doppelbiographien her: über schreibende Geschwister wie Klaus und Erika Mann, Philosophenpaare wie Sartre und Beauvoir, oder über Künstlerlieben wie die zwischen Diego Rivera und Frida Kahlo - um nur die berühmtesten Doppelgestirne des 20. Jahrhunderts zu nennen.

    1999 publizierte Jens Rosteck - in Paris lebender Musikologe - bei Propyläen eine Doppelbiographie zu der Schauspielerin Lotte Lenya und dem Komponisten Kurt Weill. Und nun - als Empathiker gewissermaßen promoviert - hat er eine neue Doppelbiographie geschrieben: zu dem amerikanischen Schriftstellerpaar "Jane und Paul Bowles" - aufgelegt bei Goldmann, wo das gesamte auf Deutsch vorliegende Werk von Paul Bowles betreut wird.


    1947. Der Amerikaner Paul Bowles - Schriftsteller und Komponist -, beschließt, New York zu verlassen und in das für Homosexuelle freizügige Tanger zu gehen. Schon in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts ist die Küstenstadt am Rande des Maghreb - des arabischen Westens - Wallfahrtsort für alle diejenigen, die davon träumen, aus den Zwängen und Verpflichtungen des Alltags auszubrechen, der eigenen Kultur zu entfliehen und ein neues Leben zu beginnen - mit neuen Beziehungen, neuer Tätigkeit, anderer Sexualität. In Tanger will der 37jährige auch seinen ersten Roman schreiben. Auf der Überfahrt von den Vereinigten Staaten nach Nordafrika entsteht die Kurzgeschichte "Pages from Cold Point". Diese Story wird die Beat-Bewegung als Initiation begreifen. Sie stellt die amerikanische Antwort auf den französischen Existentialismus dar.


    42 Jahre später. Im Herbst 1989 kommt der italienische Regisseur Bernado Bertolucci mit einer Filmcrew nach Tanger. Er möchte eine Filmversion von "Himmel über der Wüste" drehen. Der Autor des Buchs, der inzwischen 79jährige Paul Bowles, lebt im vierten Stock der Itesa-Buildings - einem Apartmenthaus vor den Toren der Hafenstadt. Das Buch, das im Original "Sheltering Sky" heißt - 1949 in New York und London erschienen - hat seinen Autor weltberühmt gemacht. In Bertoluccis Film wird Bowles einen kleinen Auftritt haben.

    "Himmel über der Wüste" - mit Debra Winger und John Malkovich in den Hauptrollen - wird ein internationaler Erfolg - mit dem für Bowles unangenehmen Nebeneffekt, dass Scharen europäischer Kulturjournalisten in die marokkanische Metropole pilgern, um dem Exponenten des amerikanischen Existentialismus, der kein Telefon besitzt, einen unangemeldeten Besuch abzustatten.
    In der französischen Literatursendung Apostrophes antwortet Bowles auf die Frage, warum er denn all die Leute in seine Wohnung lasse, lakonisch:

    " Weil sie eben reinkommen."

    In den Itesa-Buildings lebt Bowles seit 1957 - seit jenem Jahr, in dem seine Lebensgefährtin Jane einen Schlaganfall erleidet, von dem sie sich nicht mehr erholt. Bis zu ihrem Tod 1973 wird sie ein Pflegefall bleiben.

    In Paris fing für beide alles an. Während Paul Bowles Ende der 20er Jahre den Kreis um Gertrude Stein bereichert, wird Jane Auer - ein paar Jahre später - auf den Straßen des Marais von Henry Miller angesprochen und zu einem Quickie eingeladen (was sie ablehnt) und von Anais Nin für ihre ersten literarischen Gehversuche harsch kritisiert. Auf der Rückfahrt nach New York liest sie mit Begeisterung Reise ans Ende der Nacht - und wird auf dem Dampfer von einem Herrn angesprochen, der sich als Verfasser des Buchs zu erkennen gibt: Céline.
    Und endlich, im Vorkriegs-New-York der späten Dreißiger, lernen die beiden sich kennen: Er, Paul, ein eleganter Dandy, sie, Jane, eine spitzzüngige Rebellin. Zwei mondäne Nomaden, die schnell Kultstatus erlangen. Abenteuerreisen führen die beiden nach Mittelamerika, nach Sri Lanka (wo sie eine winzige Insel kaufen) und wiederholt nach Paris,. Doch schließlich - Ende der Vierziger - strandet das von allen Konventionen emanzipierte Dichter-Tandem, beide mehr oder weniger homosexuell, in Tanger.
    " Dort, im Grenzland zwischen Europa, Afrika und Atlantik, im ästhetischen, gesellschaftlichen wie erotischen Freiraum der ‚Internationalen Zone', kamen sie Hippies, Drogenabhängigen und Aussteigern zuvor, hielten bereits ab den frühen Fünfzigern Hof, standen im Zentrum mondäner Partys,"

    schreibt Jens Rosteck in seiner Doppelbiographie Jane und Paul Bowles - Leben ohne anzuhalten. Der Titel des voluminösen Werks spielt auf die 1990 ins Deutsche übersetzte Autobiographie des inzwischen zum Klassiker der modernen amerikanischer Literatur gekürten Paul Bowles an: "Without Stopping - Rastlos".

    Rasch gerinnt das Leben des Dichter-Paars zur Legende - zu einer Legende, die typischerweise größer ist als die konkret zu bewältigende Existenz. Jane Bowles quält sich mit Selbstzweifeln und kommt schreibend nur äußerst mühsam voran, ist hin und her gerissen zwischen Nichtstun und Obsession - ihr Gesamtwerk wird später in einen einzigen Band passen -, während Paul Frederik, seinem Mythos zum Trotz, einen eher asketischen, zurückgezogenen Lebensstil pflegt, skeptisch gegenüber den physischen Lebensfreuden, areligiös und einzelgängerisch.

    " Ich leugne nicht, dass die Sexualität manche Leute glücklich machen kann. Aber in meinem Werk kommt sie tatsächlich kaum vor. Ich habe schon immer gefunden, dass das alles in Büchern nichts zu suchen hat."

    Dennoch: Magische Anziehungskraft übt das Paar auf Truman Capote aus, auf Erika Mann, auf die Beat-Poeten Brion Gysin und Jack Kerouac, auf William Burroughs und Allen Ginsberg, auf Jean Genet und Tennessee Williams. Ende der 50er Jahre schreibt Norman Mailer in "Advertisements for Myself":

    " Paul Bowles öffnete die Welt des Hippen. Er ließ Morde, Drogen, Inzest, den Tod des Spießers ... den Ruf der Orgie, das Ende der Zivilisation herein."
    Detailliert und materialreich zeichnet der Biograph Jens Rosteck das Leben der nach Bruce Chatwin vielleicht berühmtesten Aussteiger der Welt nach. Ihm gelingt es, den ganzen Wahnsinn plastisch darzustellen, den zwei Menschen bei ihrem verlorenen Gang über die Erde auszuhalten haben, gelingt eine plausible Innenschau der beiden extremen und extrem gegensätzlichen Charaktere. Und auch hier gilt: Les extrèmes se touchent.

    " Mit einem Aperitif in der Hand blickten sie vom Rande der Sahara auf den unendlich weiten "Himmel über der Wüste". Grenzerfahrungen von einem sicheren Posten aus, der alle Annehmlichkeiten eines westlichen Eldorados bot. Von dürftigen Vorschüssen noch zu schreibender Bücher zwar nur mühsam über Wasser gehalten, hielt man sich hier an reichlich vorhandenem, billigem Dienstpersonal schadlos, profitierte vom starken Dollar und den Diensten der zur Prostitution gezwungenen Jünglinge aus den Armenvierteln. Ohne den geringsten Zynismus nahm allabendlich eine kleine, aber feine High Society aus Geldadel und Literaten raffinierte Cocktails ein - vor der Kulisse eines der damals ärmsten Länder der Erde in unangreifbarer Entfernung von den Dachterrassen der expatriates überschaubar. Ungeniert und selbstbewusst betrieben Jane und Paul die Stilisierung ihrer bewusst kinderlosen, so anarchistischen wie hedonistischen Existenz, posierten vor Dünen und am Ozean, in Kaftanen, mit Krawatte und Maßanzug, Perlenkette und Abendkleid, in schicken Sportwagen, einen schneidigen Chauffeur an der Seite, Kakteen und Kamele dekorativ im Hintergrund."

    Am 4. Mai 1973 stirbt Jane Bowles. Damit geht für Paul der Roman ihres gemeinsamen Lebens zu Ende. Der schützende Himmel über der Wüste hat sich als trügerisch erwiesen. Er ist gezwungen, noch weitere 25 Jahre allein in Tanger zu leben. 1986 verfasst er einen knappen biographischen Text, in dem es heißt:

    " Danach schien es ihm, als ereigne sich nichts mehr.
    Er lebte weiter in Tanger, übersetzte aus dem Arabischen, Französischen und Spanischen.
    Er schrieb viele Short Storys, doch keine Romane. Es gab mehr und mehr Menschen auf der Welt.
    Und es gab nichts, was er dagegen tun konnte."

    "Jane und Paul Bowles.
    Leben ohne anzuhalten"
    Von Jens Rosteck
    (Goldmann Verlag)