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Der schwierige Weg in die Demokratie

In Tansania befindet sich die Demokratisierung noch im Prozess, das zeigen Unruhen der letzten Monate. Auf einer Oppositionsveranstaltung wurde zum Beispiel ein Journalist von der Polizei erschossen. Grund für die Eskalation ist der Machtkampf zwischen der herrschenden Partei CMM und einer Opposition-Partei, die an Selbstbewusstsein gewinnt.

Von Benno Müchler | 20.04.2013
    Hamis Dondwe, ein muskulöser Mann Mitte 40, hat sich in einem Häuschen untergestellt. Es regnet in Strömen. Er ist spät dran. Vor ihm auf einer Hauptverkehrsstraße, die ins Stadtzentrum von Dar es Salaam führt, stauen sich schon seit Stunden wie an jedem Tag die Autos auf allen Spuren.

    "Ich stehe meistens um vier Uhr morgens auf und bin um etwa neun Uhr an meinem Arbeitsplatz. Dafür brauche ich jeden Morgen drei bis vier Stunden mit dem Bus. Du siehst ja, wie der Verkehr hier ist. Ich komme oft zu spät. Manchmal bekommst Du gar keinen Platz mehr im Bus.""

    Hamis Dondwe arbeitet als Tagelöhner auf einer Baustelle. Dort verdient er pro Tag umgerechnet 4,70 Euro. Davon zu leben sei sehr hart, sagt er. Er hat eine Frau, zwei Kinder. Deren Bus- und Schulgeld muss er zahlen sowie die 16,50 Euro Miete für die Wohnung. Die Regierung habe lange gute Arbeit geleistet. Doch heute habe er das Gefühl, dass sich die Machtelite nur noch bereichere und die Armen immer ärmer würden. Der Verkehrskollaps komme zu all dem Übel noch dazu. Deshalb findet er es gut, dass es jetzt die Oppositionspartei Chadema gibt. Der will er bei den nächsten Wahlen seine Stimme geben:

    "Ich liebe Chadema nicht, aber ich finde gut, dass sie die Regierung herausfordert. Sie decken Dinge auf, die wir vorher nicht wussten. Das weckt die Leute auf. Es ist jetzt alles offener und ich glaube, Chadema ist eine gute Partei."

    Für Nape Nnyaue sind die Staus kein Problem. Wenn er zur Arbeit muss, überholt er sie einfach mit einer Polizeieskorte. Nnyaue ist der Sprecher der Regierungspartei CCM, sein offizieller Titel lautet: Assistent für Werbung und Ideologie. Tansania sei ein aufstrebendes Land, beteuert Nnyaue im Restaurant eines der besten Hotels der Stadt, auch wenn es noch viele Hürden gebe:

    "Wenn Sie verschiedene Berichte lesen, dann sehen Sie, dass unsere Wirtschaft augenblicklich um sechs, sieben Prozent wächst. Die große Herausforderung aber, oder besser, die größte Herausforderung ist es, dieses Wachstum auf die Menschen zu übertragen. Die Statistik zeigt Wachstum, doch die Menschen sind nach wie vor arm."

    Wie alle Tansanier kannte Nnyaue bis vor ein paar Jahren nur eine einzige Partei: die Chama cha Mapinduzi, oder kurz CCM, für die er arbeitet. 1992 öffnete Tansania jedoch auf ausländischen Druck sein Einparteiensystem, was neben anderen Oppositionsparteien heute auch die Chadema entstehen ließ. Diese Partei gewann bei den letzten Parlamentswahlen deutlich dazu und hat heute 49 Mandate, ein Siebtel aller Sitze. Das ist für Tansania eine veritable Sensation, etwas bislang Einmaliges. Parteisprecher Nnyaue spielt das jedoch herunter:

    "Sie sind keine Bedrohung für uns. Ich sehe sie als eine von vielen politischen Parteien in unserem Land. Wir freuen uns, dass es sie gibt und sie uns kritisieren, wenn wir nicht gut arbeiten. Dann kommen wir dem Versäumnis nach. Das ist unsere Rolle, sie haben ihre. Wir sind seit jeher die Regierungspartei. Sie werden auf ewig die Opposition bleiben."

    Was aber, wenn CCM bei den nächsten Wahlen eine Regierungskoalition eingehen muss? Nnyaue gerät aus der Fassung:

    Tagträume seien so etwas. Und dann wörtlich: "Dazu wird es nicht kommen, Bruder."

    Die Regierung hat auf den wachsenden Widerstand im Land jüngst allerdings schon mit Gewalt reagiert. Pasience Mlowe arbeitet am nationalen Zentrum für Bürger- und Menschenrechte:

    "In den vergangenen Jahren nahm die Zahl der durch die die Sicherheitskräfte getöteten Menschen zu. Allein 2012 sind nach unseren Erkenntnissen und Aussagen der Polizei zufolge 31 Menschen von deren Beamten getötet worden. Das passierte bei öffentlichen Versammlungen, bei politischen Konferenzen. Ein Mann ist von der Polizei sogar in seinem Haus erschossen worden."

    Die Liste lässt sich fortsetzen: Ein Journalist ist kaltblütig ermordet worden, ein Gewerkschaftsführer wurde fast erschlagen, Oppositionsveranstaltungen wurden auseinandergejagt. Auch wenn nicht bewiesen ist, dass dies auf Befehl der Regierung geschah, habe die Regierung es versäumt und unterlassen, die Polizisten zur Verantwortung zu ziehen, die nicht selten Anhänger der Regierungspartei seien, sagt Pasience Mlowe.

    Für Tundu Lissu beweisen die Ereignisse, dass die Regierung sehr wohl Angst hat, ihre Macht zu verlieren. Lissu ist der Fraktionsvorsitzende von Chadema im "Bunge, dem tansanischen Parlament.

    "Die Ereignisse zeigen uns, dass das Ende von CCM naht. Glauben Sie das wirklich? Absolut, die Dinge, die heute geschehen, zeigen, dass ihre Dominanz über das politische und gesellschaftliche Leben zu Ende geht. Sie greifen auf Gewalt zurück. Ganz einfach, weil sie keine politischen Antworten auf die Fragen der Bevölkerung haben."

    Die sich als "sozial-demokratisch" bezeichnende Chadema tritt etwa für eine grundlegende Reform des Bildungssystems ein. Die für Bildungsausgaben vorgesehenen Mittel, sechs Prozent des Staatshaushalts, seien offenbar spurlos versickert, sagt Lissu. Außerdem dürften Tansanias Bodenschätze wie etwa die Goldvorkommen nicht weiter an internationale Firmen ausverkauft werden. Auch sei nicht einzusehen, weshalb große Agrarflächen in Tansania trotz ihrer Fruchtbarkeit brachlägen.

    Augenblicklich wird in Tansania die 50 Jahre alte Verfassung novelliert. Unter anderem soll das Wahlsystem fairer gestaltet, das tatsächliche Gewicht der Stimmen künftig wirksamer berücksichtigt werden. Lissu, der für seine Partei den Reformprozess beobachtet, ist alarmiert. Die Regierungspartei versuche dies zu unterminieren, moniert er. Neunzig Prozent der kommunalen Verfassungsgremien unterstünden der Führung von CCM, die Bevölkerung würde anders als ursprünglich vorgesehen, in die Arbeit kaum miteinbezogen. Lissu warnt: Eine missglückte Verfassungsreform würde seine Partei nicht hinnehmen. Chadema sei bereit dann zu Demonstrationen und öffentlichen Protesten aufzurufen. Seine Prognose klingt ziemlich pessimistisch:

    "Die Wahrscheinlichkeit, dass es dazu kommen wird, ist größer, als umgekehrt. Ich glaube dass, weil ich den Verfassungsprozess in Gefahr sehe. Wird die Verfassungsreform von der CCM sabotiert, um sich 2015 an der Macht zu halten, dann könnte sich in zwei Jahren viel politischer Sprengstoff anhäufen. Eine gefälschte Wahl werden wir nicht tatenlos akzeptieren. 2015 könnte es zu einem furchtbaren Chaos kommen."