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Der Staat als Werkzeug Gottes

Er war der Chefideologe der preußischen Monarchie. König Friedrich Wilhelm IV. wollte mit ihm ein Zeichen gegen die Unruhen der "Vormärz"-Zeit setzen. Nach 1848 erlangte der "Philosoph der Gegenrevolution" auch politische Macht.

Von Peter Hölzle | 10.08.2011
    "Meine Herren, ich bin hier, um zu lehren, Sie um zu hören, urteilen mögen sie zu Hause, hier aber stören Sie nicht die Ordnung und Ruhe!"

    Klare Worte, gesprochen in einen Tumult hinein, den der Redner bei seiner Antrittsvorlesung am 26. November 1840 an der Berliner Universität auslöste, als er kundtat, dass er, ausgerechnet an der Wirkstätte Hegels, den "rationalistischen" Hegelianismus bekämpfen wolle. Friedrich Julius Stahl, der neue Professor für Rechtsphilosophie, Staats- und Kirchenrecht, war der Wunschkandidat des Preußenkönigs. Friedrich Wilhelm IV. wollte mit dieser Berufung ein Zeichen setzen gegen die Unruhen der "Vormärz"-Zeit. Schließlich erschütterten seit dem "Hambacher Fest" liberale, republikanische und revolutionäre Ideen das monarchische Gottesgnadentum und lösten massive "Demagogenverfolgungen" aus. In dieser Situation sollte Stahl dem König helfen, den sich überall regenden "Lindwurm der Revolution" zu besiegen. Der 1802 in Würzburg oder München geborene Gelehrte brachte dazu auch die Voraussetzungen mit. Welche das waren, kann man bei Rudolf Schay in dessen Studie über "Juden in der deutschen Politik" nachlesen.

    "Im Pogromjahr 1819 ... ließ sich der ... Sohn einer streng orthodoxen jüdischen Familie in München taufen: ... Stahl trat zum lutherischen Glauben über. ... Nun studierte er Jurisprudenz, und als Fünfundzwanzigjähriger konnte er sich bereits in München habilitieren. ... 1829 ... erschien schon der erste Teil seines Hauptwerkes, die 'Geschichte der Rechtsphilosophie'. ... der zweite Teil ... , seine christliche Rechts- und Staatslehre folgte 1838."

    Mit ihr lieferte er eine Doktrin des "christlichen Staates", die ganz nach dem Geschmack des Königs war.

    "So ist der Staat der Leiter der göttlichen Einflüsse auf den äußern Zustand der Menschen. Er soll ihn an Gottes Statt ordnen, fördern, Verletzung der Ordnung strafen, eben damit aber auch den sittlich vernünftigen Willen der menschlichen Gemeinschaft bewähren ... ."

    Der Staat als Werkzeug Gottes, so die These, ist das Gegenbild zum demokratischen Staat, der sich - von der Französischen Revolution inspiriert - auf Volkssouveränität gründet. Stahls Staat hingegen beruht auf Monarchensouveränität.
    Der Monarch regiert allein, aber nicht absolut, weil er Diener des Staates ist und die Verfassung achten muss. Freilich verfügt er allein über das Recht, Gesetze zu machen und die Volksvertretung zusammenzurufen. Für Anhänger der Demokratie und der parlamentarischen Monarchie war Stahls christliche Staatslehre allein schon deshalb kein wirkliches Angebot, weil die Untertanen Untertanen blieben. Für die konstitutionelle Monarchie spezifisch preußisch-deutschen Zuschnitts hingegen war sie prägend.
    Als "Philosoph der Gegenrevolution" gewann Stahl deshalb bereits vor der Revolution von 1848 und erst recht nach ihrem Scheitern großen Einfluss, den er politisch nutzte. Er gehörte 1849 zu den Gründern der Konservativen Partei in Preußen und entwarf ihr erstes Programm:

    "... Wir bekämpfen die permanente Revolution. ... Wir wollen den König kraft seines heiligen Thronrechtes ... als die höchste Obrigkeit, als den Souverän des Landes ... ."

    So viel Königstreue machte sich bezahlt. Noch im selben Jahr ernannte Friedrich Wilhelm IV. Stahl zum lebenslänglichen Mitglied der Ersten Kammer, dem späteren Preußischen Herrenhaus. Wie er als Abgeordneter wirkte, beschreibt Rudolf Schay.

    "Dort saß er unter den Landbaronen, von denen er sich seltsam abhob in seiner würdigen schwarzen Tracht ... ; ein kleines, zartes Männchen von unverkennbarem jüdischem Typ inmitten der teutonischen Adligen – ein groteskes Bild! Er war der geistige Heros dieser Fraktion, er hielt ihre Reden, er focht ihre Schlachten, er war der Führer."

    Mit dem Rücktritt des Königs 1858 verlor der streitbare Konservative Macht und Einfluss. Als er am 10. August 1861 im Alter von nur 59 Jahren starb, hinterließ er eine christliche Staatslehre, die mit dem Untergang der Monarchie 1918 Makulatur wurde. Und doch ist er auf einem anderen Feld aktuell geblieben. Sein Begriff vom Rechtsstaat ist bis heute gültig.