Samstag, 20. April 2024

Archiv


Der Stand der Gleichberechtigung

Unter dem Thema "40 Jahre feministische Debatten" debattierten Wissenschaftler an der Universität Paderborn über das, was in der Geschlechterfrage beantwortet ist - und was nicht.

Von Ingeborg Breuer | 08.11.2012
    "Gesellschaftlich sind wir da, wo wir sagen können, Frauen sind inzwischen gleich gebildet wie die Männer. Wir können nicht mehr von einem Bildungsdefizit reden, Frauen sind annähernd gleich berufsmotiviert wie die Männer, Frauen wollen Kinder haben. Aber nicht um den Preis, dass sie auf den Beruf verzichten wollen."

    Es hat sich viel getan in den letzten Jahrzehnten in puncto Gleichheit von Mann und Frau, so die Sozialpsychologin und emeritierte Professorin Sigrid Metz-Göckel. Mittlerweile machen mehr Frauen als Männer Abitur. Auch bei den Studienabschlüssen haben sie die Nase vorn. Und unsere Bundeskanzlerin zeugt doch wohl davon, dass Frauen, wenn sie nur wollen, bis ganz oben kommen können. Professorin Barbara Rendtorff, Mitveranstalterin der Tagung:

    "Es gibt bei den jungen Studentinnen etwas, was ich sehr gut nachvollziehen kann. Wenn sie sich mit dem Feminismus auseinandersetzen, dass sie sehr schnell Angst haben, dass sie in die Ecke geschoben werden, dass sie Opfer sind, also Opfer der Verhältnisse und sie sich selber als Aktive sehen."

    Für viele - vor allem - junge Frauen ist Feminismus etwas Vorgestriges. Die Rechte, die ihre Mütter für sie erstritten, sind ihnen selbstverständlich. Sie tun, was sie tun wollen. Kein Mann, keine "patriarchale Gesellschaftsstruktur" hindert sie daran. Ist Feminismus also überflüssig geworden? Birgit Riedgraf, Professorin für Soziologie und Mitveranstalterin der Tagung:

    "Also, wenn sie so wollen, sind wir heute mit den Erfolgen der eigenen Bewegung konfrontiert. Es ist was erreicht worden. Und das war das Anliegen, was ist geblieben, was hat sich geändert, wo sind auch Erfolge und was bedeuten diese Erfolge nun für die weitere Diskussion?"

    "40 Jahre feministische Debatten" hieß die Tagung, die vergangene Woche an der Universität Paderborn stattfand. Welche Themen wurden damals verhandelt – und welche sind heute noch aktuell? Wie haben Fragestellungen sich verändert? Konsens bestand darüber, dass die Frauenbewegung der 70er-, 80er-Jahre sehr erfolgreich war. Der Paragraf 218 wurde reformiert. Ein uneheliches Kind ist keine Schande mehr. Ehemänner, die ihre Frauen und Kinder schlagen, müssen die Wohnung verlassen. Vergewaltigung ist auch in der Ehe strafbar. Frauen sind rechtlich in allen Bereichen den Männern gleichgestellt.

    "Die Rechtslage hat sich geändert. Die öffentliche Wahrnehmung von häuslicher Gewalt hat sich vollständig verändert. Also, da sieht man auch einen Einfluss, den die frühen Debatten gehabt haben, also zum Beispiel, dass das heute gesellschaftlich völlig selbstverständlich ist, dass häusliche Gewalt geächtet ist. Das will man nicht, das war vor 30, 40 Jahren absolut nicht der Fall."

    Und die intellektuellen Debatten, die damals geführt wurden? Über den "Phallogozentrismus" des abendländischen Denkens, über die Frage, ob es eine "weibliche Ästhetik" gibt, was "weibliches Sprechen" sein könnte? In universitären Gender-Seminaren werden solche Debatten fortgeführt. Doch vor allem waren sie Ausdruck jener Aufbruchsstimmung, von der die Frauenbewegung der 70er-Jahre erfasst war.

    "Vorhin hat jemand in der Diskussion gesagt, Bewegungen müssen auch überbordend sein und müssen im Grunde auch selbstüberschätzend sein, sonst lösen sie nichts aus. Alles soll sich ändern. Und dann flacht sich das so ein bisschen ab und sortiert sich. Also insofern kann man sagen, dass sicherlich Debatten geführt wurden, da kann man sagen, die muss man nicht wieder aufnehmen. Aber wenn die nicht gewesen wären, wäre man auf manche Aspekte nicht so wahrscheinlich gekommen."

    1977 wurde das Gesetz abgeschafft, dem zufolge die Ehefrau nur berufstätig sein durfte, wenn sie ihre "familiären Verpflichtungen nicht vernachlässigt" und ihr Ehemann es gestattet. Seither ist es selbstverständlich geworden, dass Frauen arbeiten. Heute geht es eher um ihren Anteil an Macht, Einfluss und Geld.

    "Die neuesten Daten sagen, dass Frauen bei gleichen Tätigkeiten ein Viertel weniger verdienen. Sie können sich die oberen Führungsebenen der großen Unternehmen angucken. Wir haben nicht umsonst eine Diskussion darüber, ob die Dax-Unternehmen die oberen Positionen quotieren sollen. Auch bei anderen Fragen, bei Erwerbsarbeit, zum Beispiel, wer verdient eigentlich was bei welchen gesicherten Arbeitsverhältnissen?"

    Den größten Rückschritt erlebt die Gleichberechtigung allerdings nach wie vor, wenn aus Männern und Frauen Eltern werden. Zwar wünschen sich über 60 Prozent der Eltern, dass beide berufstätig sind und sich die Kindererziehung teilen. Doch während Aufgaben wie Kochen, Aufräumen und Einkaufen vor der Geburt annähernd gerecht geteilt wurden, fallen sie nach der Geburt vor allem in den Verantwortungsbereich der Frau. Und ebenso sind Frauen vorrangig für Betreuung und Versorgung des Kindes zuständig. Viele von ihnen arbeiten deshalb nur Teilzeit. Während Männer nach der Geburt eines Kindes noch mehr arbeiten.

    "Es ist wichtig, dass die Väter einen anderen Stellenwert im Berufsleben bekommen und es ist wichtig, dass die Versorgung der Kinder nicht mehr nur Aufgabe der Frauen oder des einen Elternpaares ist. Und das sind strukturelle Veränderungen. Und das ist eine feministische Perspektive. Umverteilen, gleichmachen, was ungleich war. Frauen müssen deshalb nicht Männer werden oder Männer Frauen. Sondern es geht um Geld und Macht und Lebensplanung."

    Die – feministischen - Forderungen sind klar. Politisch: mehr Kinderkrippen, Kindergartenplätze, Ganztagsbetreuung, Ganztagsschulen, familienfreundliche Arbeitsplätze. Und privat: mehr Männer ran an Windeln, Wäsche, Wischmob!

    "Die neuesten Studien zeigen ja, die Männer sind bereit, bestimmte Arbeiten zu übernehmen. Also, wenn man sie fragt, dann sagen sie, sie spielen gern mit ihren Kindern. Aber niemand sagt, ich würde gern den Haushalt machen, ich würde gern die Toiletten putzen."

    Aber – wer putzt schon gerne Klos? Im Zweifel wird es machen, wer mehr zu Hause ist. Und mehr zu Hause bleibt, wer weniger Geld verdient. Und weniger Geld verdienen nach wie vor meistens Frauen. Und deshalb arbeiten sie Teilzeit. Eine Studie der OECD stellte aber fest, dass Männer in Ländern, in denen viele Frauen vollbeschäftigt sind, auch mehr unbezahlte Arbeiten im Haushalt übernehmen. Also: Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie muss weiterhin verbessert werden. Aber leider wirken auch Frauen immer noch an dem klassischen Rollenmodell mit, weil sie Karriere nicht so wichtig finden. Nicht als "Rabenmütter" da stehen wollen. Und normal finden, wenn der Mann der Hauptverdiener ist.