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Der Strompreis und die Mathematik

Energie.- Für Stromanbieter und -abnehmer ist es gleichermaßen von großem Interesse zu wissen, wie sich der Energiepreis in der Zukunft entwickelt. Die mathematischen Modelle für die Preisentwicklung bei Aktien sind tief erforscht, beim Strom allerdings beginnen die Untersuchungen gerade erst.

Von Maximilian Schönherr | 07.06.2011
    "Es gibt eine Besonderheit bei Elektrizität, die es für andere Märkte überhaupt nicht gibt, nämlich, dass man Elektrizität nicht speichern kann."

    Jedenfalls nicht in großen Mengen. Die Flüchtigkeit von Strom war der Ausgangspunkt für Peter Heppergers Doktorarbeit, die er gerade fertiggestellt hat: Die statistische Modellierung der Strompreis-Entwicklung.

    Strompreise schwanken saisonal. Zum Beispiel ist der Strom in Deutschland im Sommer billiger, weil nicht geheizt wird, in Spanien aber teuerer, wegen der vielen Klimaanlagen. Dieses Muster wiederholt sich, aber es weist auch sogenannte 'Peaks' auf, also kurze, heftige Preisbewegungen an der Strombörse, Spitzen und Senken.

    "Tatsächlich gab es letztes Jahr sogar eine Periode, wo der Strompreis negativ war. Das heißt, es wurde so viel produziert, dass man noch dafür bezahlt hat, dass jemand den Strom abnahm."

    Auf der Strombörse werden jährlich über 1000 Terawattstunden umgesetzt. Manche Kunden kaufen kurzfristig, andere buchen für ihren Betrieb heute schon den Strom für den Dezember 2012. Ohne Computermodelle, die die Preisentwicklung einigermaßen verlässlich, auch mit verlässlichen Schwankungsbreiten, voraussagen, wäre das extrem riskant.

    Strompreismodelle beziehen keine Umweltdaten der Wetterdienste und auch keine Windvorhersagen mit ein, sie beruhen ausschließlich auf den Zahlen des Strommarkts, also: Wie viel kostete die Kilowattstunde wann. Sie ähneln deswegen denen der Finanzmathematik, die ja auch nicht auf Unternehmensbilanzen oder die politische Großwetterlage blickt, sondern nur auf den Kursverlauf. Peter Hepperger hat die finanzmathematischen Modelle für seine Vorhersagen stark modifiziert, nicht nur weil Strom flüchtiger ist als Aktien, sondern auch, weil die Datenlage eine völlig andere ist.

    "Am Aktienmarkt haben Sie Hunderttausende Trades pro Tag, das heißt, Sie haben eine sehr gute Datenlage. Dagegen gibt es bei der Elektrizität ja nur wenige Big Player, die teilnehmen, und das bedeutet: wenige Preise und Preisbewegungen, die notiert sind."

    Außerdem kann man den Strom nicht – wie ein Portfolio an Aktien – einfach so abzählen: 615 Stück. Strom fließt kontinuierlich – Kilowatt-Stundenweise.

    Mit diesen Beschränkungen entwickelte Peter Hepperger zunächst ein Computermodell, das die Realität zwar hinlänglich präzise abbildete, sich aber nicht praktisch nutzen ließ: Es enthielt nämlich zu viele Variablen, zu viele 'Dimensionen', wie die Mathematiker sagen. Also versuchte er,

    "die Anzahl der Variablen, die da eine Rolle spielen, zu reduzieren, ohne aber dabei Informationen zu verlieren. Das heißt, ich will am Ende ein Ergebnis, das sehr gut ist, beweisbar gut."

    Und dabei nicht Großrechner wochenlang beschäftigt. Der normale PC präsentiert innerhalb weniger Sekunden die Vorschau auf dem Bildschirm. Diese besagt dann: Die Wahrscheinlichkeit, dass der Strompreis im Laufe des nächsten Monats mindestens einmal über soundsoviel Euro steigt, ist soundso groß. Das klingt diffus, ist aber eine wertvolle Einschätzung, auf die sich zum Beispiel jemand stützt, der sich heute an der Strombörse Strom für nächsten Dienstag sichern will. Im Börsengeschäft heißt das: Option.

    Energiekonzerne investieren viel Geld in ihre Mathematiker. Aber, so Hepperger, die heute in der Industrie gängigen Modelle laufen oft in eine Sackgasse.

    "Denn mein Eindruck ist, dass, gerade wenn das Problem in der Praxis komplex wird, das heißt, wenn ich viele Kraftwerke gleichzeitig managen will, wird oft auf sehr einfache Modelle zurückgegriffen, um überhaupt noch etwas rechnen zu können, um die Komplexität in den Griff zu bekommen. Da werden also Modelle verwendet, von denen man eigentlich weiß, dass sie die Realität nicht genau abbilden, aber sie sind eben einfach genug, um die Rechnung durchzuführen."

    Mit seinem Computerprogramm bedient der Mathematiker am Stochastik-Lehrstuhl der TU München nun jedenfalls auch Kraftwerksbetreiber, die sich nicht nur für den Preis, den sie verlangen können, interessieren, sondern auch für das Kraftwerks-Management. Die könnten viel einsparen, wenn sie wüssten, wann sie welche Kraftwerke herunterfahren, weil dann mit hoher Wahrscheinlichkeit kaum Strom gebraucht wird.