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Der Student als Investition

Ein Studium in der Schweiz zu finanzieren ist teuer. Im Kanton Luzern sollen nun wohlhabende Privatleute in einzelne Studenten investieren. Wenn der Student irgendwann selbst verdient, soll er das Geld zurückzahlen. Die Höhe der Zinsen kann dann zwischen 1,4 und neun 9 Prozent liegen - je nach Höhe des Gehalts.

Von Thomas Wagner | 02.10.2013
    Studieren in der Schweiz – das ist eine teure Angelegenheit: Auf der einen Seite die Studiengebühren, auf der anderen Seite Ausgaben für Wohnen, Essen, Trinken, die wegen des starken Frankenkurses deutlich über denen in Deutschland liegen:

    "Im Kanton (...) hat der Kanton selbst herausgegeben, dass Studierende minimale Lebenshaltungskosten von 1850 Franken haben."

    Was umgerechnet etwa 1540 Euro pro Monat sind, rechnet Julian Renninger vor. Renninger stammt ursprünglich aus Hessen, studiert an der Universität Zürich Volkswirtschaftslehre. Dort ist er auch Co-Präsident der Studierendenvertretung. Ein Modell aus dem benachbarten Schweizer Kanton Luzern erhebt nun den Anspruch, die Finanzierung eines Studiums erheblich zu erleichtern: Statt Aktien großer Unternehmen zu kaufen, sollen Finanzinvestoren zukünftig in Studierende investieren. Die geben dafür eigene "Studienaktien" aus. Die Kantonsverwaltung fungiert dabei als eine Art Börse.

    "Und dann wird aufgezeigt, wie es möglich ist, einen Darlehensgeber mit einem Studierenden zusammenzubringen, innerhalb welcher Rahmenbedingungen das geschehen kann, sodass für die Geldgeber und die Studierenden ein klarer Rahmen besteht. Wir möchten die finanziellen Ressourcen, die die Leute haben, nutzen, um mehr Bildung zu ermöglichen. Das ist die Hauptzielsetzung: Bildung möglich machen."

    erläutert Reto Wyss, Regierungsrat für Bildung im Schweizer Kanton Luzern. Statt das, was am Ende eines Monates übrigbleibt, auf dem Sparbuch anzulegen oder Aktien großer Unternehmen zu kaufen, sollen betuchte Mitbürgerinnen und Mitbürger lieber in Studierende investieren.

    Und das funktioniert so: Der Studierende bewirbt sich mit einer Art Business-Plan, in dem er sein zukünftiges Einkommen schätzen muss. Findet er einen Investor, erhält er von diesem einen vereinbarten Geldbetrag und gibt im Gegenzug Aktien aus. Der Studierende wird zur "Mini-AG." Nach dem Examen und dem Eintritt ins Berufsleben geht es ans Zurückzahlen. Das ist die Dividende für den Geldgeber. Und die fällt umso höher aus, je besser der Ex-Studierende verdient. Der Kanton Luzern stellt sich eine Verzinsung zwischen mindestens 1,25 Prozent und neun Prozent vor, je nach der späteren Einkommenshöhe des Studierenden. Der Geldgeber spekuliert nach diesem Modell mit seinem Darlehen also auf fleißige Studierende mit guten Noten, die einen gut bezahlten Job bekommen. Je besser das Einkommen, desto höher der Zinssatz, den der Studierende zusätzlich zum Darlehen zurückzahlen muss. Per Gesetz will der Kanton Luzern all dies einheitlich regeln und arbeitet dabei mit dem deutschen Verein "Studienaktie.org" zusammen.

    "Und unsere Aufgabe ist, das zu prüfen, das wir auf keinen Fall zu einer Ausbeutungssituation kommen. Das ist überhaupt nicht die Zielsetzung."

    Verspricht Reto Wyss, Kantonalrat für Bildung in Luzern. Dennoch stößt er mit seiner Gesetzesvorlage bei den Studierendenvertretern in der Schweiz auf Ablehnung. Franz Radke studiert an der Eidgenössisch-Technischen Hochschule Zürich Maschinenbau, gehörte bis vor Kurzem dem Vorstand im Verband der Studierenden der ETH an:

    "Die Studienfreiheit wird bedenklich eingeschränkt. Wenn das das Kriterium ist: Wie viel verdiene ich später? Dann ist das unglaublich schwer für diejenigen, die ein Fach studieren, bei dem man später nicht die großen Erfolgsaussichten hat."

    Konkret: Geistes- und Sozialwissenschaftler täten sich demnach erheblich schwerer, ihre Aktien an den Mann zu bringen als Ingenieure, Natur- und Wirtschaftswissenschaftler.

    "Manager, Ingenieure, Ärzte werden mit diesem System natürlich bevorteilt. Und alle anderen Studenten bleiben auf der Strecke."

    Und noch ein weiterer Punkt stößt Studierendenvertreter Franz Radke bitter auf: Durch das Modell der Studienaktie ziehe sich der Staat elegant aus seiner Verantwortung zurück, sich mit Stipendien und Beihilfen um Studierende mit finanziell schwächerer Herkunft zu kümmern.

    "Wir finden, dass der Bildungsträger, der Staat als Bildungsträger muss eher für die Ausbildungsfinanzierung aufkommen und diese verantworten. Und das was in Luzern passiert, das ist ein Zeichen dafür, dass diese Verantwortung outgesourct wird. Und das ist für uns sehr, sehr bedenklich."
    Der Luzerner Kantonsrat für Bildung, Reto Wyss, hält dennoch an seiner Vorlage fest. Von einer Abkehr des Staates aus der Studienfinanzierung könne keine Rede sein.

    "Die erste Stufe sind kantonale Stipendien. Die zweite Stufe sind kantonale Darlehen. Und wer möchte, kann zusätzlich dazu freiwillige private Darlehen beanspruchen."

    Die sich nach dem Modell der Studi-Aktien entsprechend verzinsen. Viele Studierende empfinden aber großes Unbehagen bei diesem Modell. Sie fühlen sich, wie Julian Renninger von der Studierendenvertretung der Uni Zürich, in eine Rolle hineingedrängt, in die sie einfach nicht hineinwollen.
    "Sie müssen sich ja verkaufen. Ich muss Investoren sagen, warum sie in mich investieren sollen. Ich möchte mich aber gar nicht auf diesen Markt stürzen, weil ich ja noch gar nicht weiß, wohin ich im Leben gehe. Und dass ich dann gezwungen werde, mich zu vermarkten, finde ich schon sehr bedenklich."