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"Der Stürmer"
Geschichte eines Hass-Organs

Zwei Jahrzehnte lang war die Wochenzeitung "Der Stürmer" Inbegriff eines primitiven Judenhasses. Der Historiker Daniel Roos beschäftigt sich in einer umfangreichen Darstellung mit dem Lebensweg Julius Streichers - dem geistigen Vater des Hetzblattes.

Von Otto Langels | 07.07.2014
    Adolf Hitler (M.) und Julius Streicher (r.) auf dem "Deutschen Tag" am 2. September 1923 in Nürnberg während des Vorbeimarsches von 6000 uniformierten Nationalsozialisten.
    Adolf Hitler (M.) und Julius Streicher (r.) auf dem "Deutschen Tag" am 2. September 1923 in Nürnberg während des Vorbeimarsches von 6000 uniformierten Nationalsozialisten. (picture-alliance / dpa - Ullstein )
    "Wenn man den Nationalsozialismus will, muss man Streicher gutheißen", bemerkte Adolf Hitler einst über seinen alten Kampfgefährten Julius Streicher. Der aus der Nähe von Augsburg stammende Volksschullehrer schloss sich früh der nationalsozialistischen Bewegung an, nahm 1923 am Hitler-Putsch in München teil und war ab 1925 als NSDAP-Gauleiter in Franken aktiv.
    Mit aggressiven antisemitischen Tiraden erwarb Streicher sich den zweifelhaften Ruf eines grobschlächtigen Schreihalses. Dies brachte ihm zwar zahlreiche Verleumdungsklagen ein, erregte zugleich aber das erhoffte Aufsehen.
    "Wenn ihr wieder frei werden wollt, wie eure Väter es waren, dann macht euch frei vom Juden, weil der Himmel es will, dass der Jude stirbt. Und er wird sterben in jedem Fall."
    Streicher, in der Öffentlichkeit häufig mit einer Reitpeitsche unterwegs, gehörte zwar nicht zum innersten Führungszirkel der Partei, genoss aber dank seines Wochenblatts "Der Stürmer" enorme, wenngleich fragwürdige Popularität.
    "Ohne sein Hetzblatt hätte der fränkische Gauleiter niemals seine weit über Deutschlands Grenzen hinausreichende Bekanntheit erreichen können und wäre nicht zum Tode verurteilt worden. Der "Stürmer" wiederum verdankte seine Existenz der Persönlichkeit und dem politischen Lebensweg seines Herausgebers",
    schreibt der Historiker Daniel Roos in seinem umfangreichen Buch über Julius Streicher und "Der Stürmer", die erste grundlegende und detailreiche, manchmal freilich redundante Darstellung zu diesem Thema. Die sich wiederholenden Zitate und Beschreibungen antisemitischer Hetze wirken auf Dauer ermüdend. Gleich in der ersten Ausgabe vom April 1923 formulierte Julius Streicher die programmatische Zielrichtung des Blattes:
    "Der Jude muss hinaus!" Was in den kommenden zwei Jahrzehnten folgte, waren nur mehr Variationen eines radikalen und vulgären Antisemitismus. Einige Schlagzeilen aus den Jahren 1923 bis '32:
    "Jüdische Blutschande; Bastardrasse; Auspeitschung und Schändung deutscher Mädchen und Frauen durch Juden; Aus Judenhänden fressen; Jüdische Mädchenhändler in Nürnberg; Verjudung der Hochschulen; Jüdischer Mordplan gegen die nichtjüdische Menschheit; der 1. Fußballclub Nürnberg geht am Juden zu Grunde."
    Sadistische Gräuelpropaganda
    Der Autor Daniel Roos stellt seine Leser auf eine harte Probe, denn er zitiert nicht nur Überschriften, sondern geht auch ausführlich auf die Inhalte ein: eine krude Mischung aus absurden Weltverschwörungsfantasien, sadistischer und pornografischer Gräuelpropaganda, wüsten Beschimpfungen und dreisten Lügen; illustriert mit stereotypen Karikaturen von unschuldigen blonden Mädchen in den Händen lüsterner Juden.
    "Der Stürmer" schürte Ängste, appellierte an niedrigste Instinkte, provozierte Neid und Hass, forderte zur Denunziation auf und stellte Menschen an den Pranger. Versuche, das Blatt dauerhaft zu verbieten, blieben erfolglos. Daniel Roos widerspricht aber dem gängigen Bild des "Stürmer" als einer primitiven antisemitischen Hetzschrift.
    "Die Schlichtheit in der Sprache und die Brutalität im Ausdruck waren eine spezifische Methode Streichers und seiner Mitarbeiter, ein bewusst eingesetztes stilistisches Mittel, um die Massen zu erreichen und eine breite Leserschaft auf einer emotionalen Ebene anzusprechen. Wenn sich das Blatt Streichers auf den ersten Blick auch simpel und ordinär ausnahm, so arbeitete es doch mit zum Teil subtilen und effektiven Mitteln, um seinen grenzenlosen Hass zu verbreiten."
    Der "Stürmer" machte Streicher zum Millionär
    Die subtilen Mittel des "Stürmer" erschließen sich dem Leser jedoch nicht angesichts der massiven antisemitischen Hetze. Roos bleibt entsprechende Belege schuldig. Sein Fazit, dass das Blatt polarisiert habe und entweder geliebt oder gehasst wurde, spricht nicht für ein differenziertes Vorgehen.
    Der "Stürmer" erwies sich als lukrative Einnahmequelle. Er fand Verbreitung im ganzen Reichsgebiet, insbesondere durch die überall im Land aufgestellten Schaukästen, und machte den Eigentümer Julius Streicher zum mehrfachen Millionär. Die Auflage stieg von wenigen tausend Exemplaren auf zeitweise eine halbe Million. Triumphierend konnte Streicher in seinem Blatt feststellen:
    "Es gibt keine Zeitung, die von den Juden so gehasst wird wie der "Stürmer". Der "Stürmer" unterscheidet sich von anderen völkischen Blättern dadurch, dass er an Hand von Beispielen, die er aus dem täglichen Leben hat, die jüdische Gefahr unablässig aufzeigt. Der "Stürmer" kennt kein langes Hin und Her. Er geht aufs Ganze."
    Der aggressive Antisemitismus Streichers war der NS-Führung willkommen, solange die Nazis damit Aufsehen erregen und auf Zuspruch in der Bevölkerung hoffen konnten. Es lag daher nahe, ihn mit der Durchführung des Judenboykotts am 1. April 1933 zu betrauen.
    "Für diesen Anti-Boykotttag glaubte Adolf Hitler, dass es vielleicht gut wäre, sich meines Namens zu bedienen. Ich übernahm also die Leitung des Anti-Boykotts und gab eine Anordnung hinaus, die man von mir vielleicht gar nicht erwartet hatte. Fest steht, der Anti-Boykotttag ist bis auf Nebensächlichkeiten tadellos abgelaufen",
    erklärte Streicher nach dem Krieg vor dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal. Doch als das NS-Regime die jüdischen Mitbürger mit einschlägigen Gesetzen und Verordnungen immer stärker diskriminierte, begann Streichers Stern zu sinken. Der "Stürmer", der den Boden für die Verfolgung und Ermordung der Juden bereitet hatte, wurde zusehends überflüssig. 1935 notierte Joseph Goebbels in sein Tagebuch zu Streicher:
    "Die ganze Welt weiß, dass er die schmutzigste und widerwärtigste Erscheinung des Nationalsozialismus ist; ein Erpresser, ein Pervertierter, ein sadistischer Pornograph, dessen Politik nichts als die Summe seiner verbrecherischen Neigungen ist."
    Zunächst hielt Hitler trotz diverser Korruptionsvorwürfe noch seine schützende Hand über den alten Kampfgefährten, bis die eigenmächtige Enteignung jüdischen Besitzes nach den Novemberpogromen 1938 den "Frankenführer" endgültig zu Fall brachte.
    Ein NSDAP-Parteigericht enthob Streicher 1940 aller Ämter, er blieb jedoch bis zum Kriegsende Herausgeber und Eigentümer des "Stürmer". Am 1. Oktober 1946 verurteilte ihn das Internationale Militärtribunal in Nürnberg zum Tode, am 16. Oktober wurde er hingerichtet.
    Daniel Roos zeichnet den Lebensweg Streichers und die Entwicklung des "Stürmer" akribisch nach. Allerdings hätte der Verzicht auf manche Einzelheiten zugunsten einer stärkeren Analyse dem Buch gut getan. Gleichwohl legt Roos eine fundierte Regionalstudie vor. Ihm gelingt es, anschaulich zu beschreiben, wie in Franken Justiz und Politik, Staat und Öffentlichkeit vor einem rücksichtslos auftretenden Nazi zurückwichen. Der Aufstieg Streichers und seines Hetzblattes offenbaren zugleich ein Versagen maßgeblicher Institutionen der Weimarer Republik.
    Daniel Roos: "Julius Streicher und 'Der Stürmer' 1923 - 1945"
    Ferdinand Schöningh Verlag
    535 Seiten, 49,90 Euro
    ISBN: 978-3-506-77267-1