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Der süße Weg zum Terror

Die Lehrerin Ariane bringt in den frühen 1970er Jahren jungen baskischen Schülern Französisch bei. Nach Schulschluss dann engagiert sie sich in der Terrororganisation ETA. Ihr Schüler schließt sich ihren Idealen von Freiheitskampf an. Es spricht wenig dagegen, in diesem Weg zum Terror auch Lebensspuren des baskischen Autors Joseba Sarrionandia zu sehen.

Von Kersten Knipp | 14.02.2008
    Nicht jeder Liebe, nicht einmal jedes Verliebtsein endet glücklich. Erst recht nicht, wenn es sich um die Passion eines Schuljungen für seine Lehrerin handelt. Und noch weniger, wenn diese Lehrerin als Staatsdienerin noch nicht einmal bedingt geeignet ist.

    Ariane, so heißt die Lehrerin, bringt in den frühen 1970er Jahren jungen baskischen Schülern Französisch bei. Nach Schulschluss dann engagiert sie sich in der Terrororganisation ETA. Zu jenem Zeitpunkt mochten sic zumindest die niederen Chargen der Organisation nicht moralisch korrumpiert fühlen. Denn noch ließen sich, mit einigem Aufwand, vor den politischen Verbrechen linker Nationalisten die Augen schließen. Zudem war der spanische Diktator Franco noch im Amt, und energisch, als wäre er noch gar kein Greis, ließ er seine Schergen auf die baskische Sprache und Kultur und natürlich auch auf ETA einprügeln. Und noch, die Zeit war danach, konnten sich die Terroristen auf die Ideale von Freiheitskampf und Dekolonialismus berufen.

    Langsam, ganz langsam aber wurde ihr Kampf moralisch immer fragwürdiger: Bis zu Francos Tod im November 1975 hatten ETA-Kämpfer rund 30 Menschen getötet; und weil einige der Anschläge auch mit Autobomben verübt wurden, waren darunter etliche Opfer, die man heute unter der Bezeichnung "Kollateralschaden" rubrizieren würde. General Franco freilich schlug mit aller Härte zurück: Noch im September 1975, zwei Monate vor seinem Tod, ließ der Diktator zwei ETA-Mitglieder hinrichten.

    Es ist also eine bereits schlagkräftige Organisation, der sich die Französisch-Lehrerin und auf dem Umweg über seine Zuneigung zu ihr auch der in sie verliebte Schüler anschließt. Und wenig spricht dagegen, in diesem süßen Weg zum Terror auch Lebensspuren des baskischen Autors Joseba Sarrionandia zu sehen. Sarrionandia, geboren 1958 in der Nähe von Bilbao, trat als junger Mann der ETA bei, für die er in den späten 1970er Jahren mehrere Banküberfälle verübte, in deren Folge er 1980 verhaftet und zu 22 Jahren Haft verurteilt wurde. Fünf Jahre später gelang ihm die Flucht, seitdem lebt er an unbekanntem Ort.

    Der Hinweis, Sarrionandia sei gefoltert worden, mit dem der Blumenbar Verlag offenbar um Sympathien für seinen Autor wirbt, deckt sich mit den Aussagen anderer ETA-Terroristen, die ebenfalls behaupteten, in der Gefangenschaft vom spanischen Staat gefoltert worden zu sein. Tatsächlich zog sich der Staatsterror gegen ETA bis in die 80er Jahre; in den 90er Jahren wurden die damals Verantwortlichen Politiker und Funktionäre zu teils langjährigen Haftstrafen verurteilt.

    Sarrionandias Roman ist in drei Teile gegliedert. Er setzt ein in der Gegenwart, den ersten Monaten des neuen Jahrtausends. Gregorio Ugarte alias Goio, so der Name des einst verliebten Schülers, lebt irgendwo an der Atlantikküste Nicaraguas. Er ist jener "gefrorene Mann", der dem Roman den Titel gibt. Gefroren oder besser erfroren ist er innerlich: verhärtet, vielleicht auch zermürbt ob der langjährigen Flucht, der langen Trennung von Spanien und dem Baskenland, zu der ihn die frühere Terroristenexistenz nötigt. Niemand, selbst seine enge Freundin Maribel, ebenfalls eine ehemalige ETA-Mitstreiterin, bekommt mehr einen Ton aus ihm heraus: Goio schweigt. Er kann oder möchte nicht sprechen. Abgetrieben in ein fremdes Land, hat er den Kontakt zur früheren Heimat verloren, kennt deren Gegenwart nicht mehr, das Leben, das die Spanier, die Basken dort führen.

    Umso stärker setzt sich von der Beschreibung dieser schweigsamen Isolation jener Teil ab, der von Goios Jugend handelt, den Jahren, in denen das Leben noch Aufbruch, Zukunft, Entfaltung war. Schule, Freunde und erster Kontakt zu den Mädchen, das ist Goios Welt, die die Welt aller Heranwachsenden ist. Nur hie und da schieben sich, in spielerischer Form zunächst, ein paar politische Dissonanzen in die glücklichen jungen Jahre. Noch ist Franco an der Macht, und der Gebrauch des Baskischen in der Öffentlichkeit streng verboten, also auch in der Schule.

    Goio bedient sich der Sprache trotzdem. Sein Lehrer ist entschlossen, den Verstoß zu ahnden: "Ich werde im Unterricht kein Baskisch reden", muss der Junge zur Strafe schreiben, genau 200 Mal. Gut, dass er Freunde hat: Jeder von ihnen schreibt ein Wort zweihundert Mal untereinander, dann reihen sie die Sprachsäulen aneinander, und fertig ist die Bußübung für die patriotische Sprachdemonstration. Spielerisch ist auch der Sprung vom Patriotismus zum Nationalismus: "Baske und Gendarm" heißt das Spiel, mit dem sich die Jungen am liebsten vergnügen: Die einen sind Polizisten, die anderen Basken, und wie später im richtigen Leben darf die erste Gruppe die zweite jagen und verhaften. "Die Jungen wussten damals noch nicht", kommentiert der Erzähler das Spiel, "dass die Schüsse später echt sein würden, die Verhaftungen unbeschreiblich brutal, die Zeit im Gefängnis lang und bitter, und dass derjenige, der stirbt, für immer stirbt."

    Nun ist Fiktion nicht dazu verpflichtet, die Vergangenheit in ihrer Gänze aufzuarbeiten. Dennoch mag es Leser geben, die an dieser Stelle einen Hinweis vernommen hätten, warum die Heranwachsenden später ins Gefängnis kamen: Sie wurden Mitglieder einer Gruppe, die bis heute knapp 800 Menschen getötet hat; und die ebenfalls Menschen über Jahre in eigenen Verließen hielt.

    Doch davon ist in dem Roman nicht die Rede. Das ist zumindest in diesem Teil auch nicht unbedingt erforderlich, denn dieser Teil handelt von der Jugend des Erzählers. Und das Privileg der Jugend ist, zu Teilen zumindest, die Unschuld. Für seine Mitgliedschaft bei ETA wird Goio später hinlänglich Buße tun, die gefrorene Seele ist der Preis, den er für den Terrorismus zu zahlen hat. So mag er sich in der frostigen Natur der Antarktis wieder erkennen, die er auf einer Freundin auf Anraten als Angehöriger einer Schiffsexpedition besucht. Man kann diesen Teil metaphorisch bezeichnen, kann auch die eindrucksvollen Naturschilderungen loben, die dem Autor durchaus gelingen. Aber wie sie, die einen ganz erheblichen, vielleicht sogar den größten Teil des Buches ausmachen, sich in die innere Logik des Geschehens einordnen, erschließt sich nicht ganz.

    Die Reise bleibt eine Geschichte à part, eine wenig anschlussfähige Exkursion. Das hindert nicht, dass man das Buch insgesamt als gelungen und lesenswert bezeichnen kann. Nicht umsonst hat Joseba Sarrionandia bereits mehrere Bücher veröffentlicht, nicht umsonst auch verkaufen sie sich in Spanien recht gut. Und dass nun endlich auch baskischsprachige Bücher ins Deutsche übersetzt werden, ist ebenfalls eine enorme Bereicherung für den hiesigen Buchmarkt. Zu verdanken ist dies den beiden Übersetzern Petra Elser und Raul Zelik, die diesen Roman in ein flüssiges, angenehmes Deutsch übersetzt haben.

    Joseba Sarrionandia: "Der gefrorene Mann"
    Roman des baskischen Autors übersetzt von Petra Elser und Raul Zelik
    (Blumenbar Verlag, München)