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Der syrische Bürgerkrieg kommt im Libanon an

Alewiten und Sunniten, die sich in Syrien blutig bekämpfen, gibt es auch im Libanon. Hier finden sie je nach Zugehörigkeit Unterschlupf oder militärische Unterstützung. So flammt auch jenseits der syrischen Grenze der Konflikt zwischen Assad-Gegnern und Assad-Unterstützern immer wieder auf. Fast täglich kommt es zu Schießereien, Morden, Entführungen.

Von Björn Blaschke | 07.07.2012
    Nur etwa dreißig Kilometer weiter liegt Homs, eine der syrischen Städte, die am stärksten umkämpft sind. Krieg jedoch herrscht auch schon direkt auf der anderen Seite des Grenzflusses: Das Ufer ist vermint. Auf die Hügel dahinter zeigend, sagt einer der libanesischen Bauern:

    "Es sind Panzer da oben und Soldaten - viele. Siehst Du das Auto da oben. Da oben. Und da, hinter den Bäumen, sind die Panzer versteckt."

    Irgendwo bei diesem Weiler wurde Melek über die "Grüne Grenze" geschmuggelt. Das Mädchen ist achtzehn Monate alt. Es wurde kurz vor Beginn des Aufstandes in Syrien geboren – in Baba Amr, einem Viertel von Homs, das von Einheiten der syrischen Streitkräfte im Frühjahr in Schutt und Asche gelegt wurde.

    Hunderte Menschen kamen dabei um. Wie viel Melek davon mitbekommen hat, weiß nur sie. Das Mädchen ist aber noch zu klein, um erzählen zu können. Still sitzt es auf dem Schoß des Großvaters. Der 65-Jährige berichtet, dass er bereits vor vier Monaten aus Baba Amr geflohen ist. Melek sei ihm erst am Vortag von einem Schlepper gebracht worden – für 500 US-Dollar.

    "Ihre Mutter wollte Brot kaufen. Die Sicherheitskräfte haben sie dabei umgebracht. Die Nachbarn haben das Mädchen dann aufgenommen. Sie hat sonst niemanden mehr. Mutter tot – und ihr Vater ist schon länger verschwunden. Keiner weiß wo er ist."

    Umgebracht oder verschwunden – so stehe es auch um die anderen Angehörigen. Er und Melek, die aus einer Blechschale weichgekochte Kartoffeln isst, hätten als einzige ihrer Familie überlebt. Unterschlupf haben sie unweit des Dorfes, in dessen Nähe sie über den Grenzfluss gekommen sind, gefunden. Ein Religionsgelehrter hat sie in einem leerstehenden Rohbau der 40.000 Einwohner zählenden Kleinstadt Wadi Khaled untergebracht. Der Scheich versorgt sie mit dem Lebensnotwendigen – aus Spenden.

    "Private Spenden sind das. Keine von internationalen Organisationen. Private. Auch aus Saudi Arabien und Qatar – oder von libanesischen Geschäftsleuten."

    Scheich Mohammed ist sunnitischer Muslim, wie der Großteil der Einwohner von Wadi Khaled, und wie auch fast alle der von den UN geschätzten 30.000 syrischen Flüchtlinge in Libanon. Diktator Bashar al-Assad und viele seiner Gefolgsleute sind hingegen Alewiten. Mitglieder einer Sekte, die sich aus dem schiitischen Islam entwickelt hat - eine Minderheit in Syrien. Religiöse Unterschiede interessierten ihn jedoch nicht, betont Scheich Mohammed:

    "Wir stehen auf Seiten der Unterdrückten. Und gegen den Diktator. Das ist etwas Menschliches. So wie die Leute in Europa. Wir sind gegen Unterdrückung und Diktatur – das ist doch selbstverständlich."

    In Libanon offenbar eine gefährliche Haltung! Ein sunnitischer Scheich wurde unlängst an einem Kontrollposten erschossen. Von Soldaten. Offiziell heißt es, er habe sich verdächtig verhalten. In seinem Umkreis sagen die Leute jedoch, er habe sich zu sehr für die Revolution in Syrien engagiert. Scheich Mohammed fürchtet sich nicht, er sei von seinen Leuten umgeben:

    "Meine Neffen, Brüder und Schwestern - alle sind hier."

    Die Bruchlinie in Libanon ist tief, wenn es um das Thema Syrien geht. Denn in beiden Ländern leben religiöse und ethnische Minderheiten, die im jeweiligen Nachbarland Verwandte haben oder politisch-ideologische Partner. Diese Bruchlinie ist am Ortseingang von Wadi Khaled sichtbar: Mehrere Dutzend aufgebrachte Männer haben aus brennenden Autoreifen eine Barrikade errichtet. Sie blockieren den Zugang zur Straße, die nach Tripoli führt, unten an der Küste Libanons, wo sehr viele syrisch-sunnitische Flüchtlinge Unterschlupf gefunden haben.

    "Einer meiner Neffen wurde entführt von den Leuten in Jebbel Mohsen in Tripoli. Heute Nacht um zwei ist das passiert. Er wurde nach Syrien gebracht, nach Tartous!"

    Jebbel Mohsen in Tripoli. Der Stadtteil erstreckt sich auf einer Seite der Straße, die ausgerechnet Sharia Suriya heißt – Syrien-Straße. Überall hängen in Jebbel Mohsen Bilder vom Diktator in Damaskus, Bashar al-Assad. Es ist eine libanesisch-alewitische Enklave im ansonsten überwiegend sunnitischen Tripolis.

    Auf der anderen Seite der Syrien-Straße, im Viertel Tbene, wehen die Fahnen der syrischen Revolutionäre: grün, weiß, schwarz gestreift mit drei roten Sternen in der Mitte. Unlängst kam es zwischen den Alewiten hüben und den Sunniten drüben zu schweren Auseinandersetzungen. Die libanesische Armee rückte schließlich an und schützt seither die Alewiten mit etwa zweitausend Mann vor einer Erstürmung ihres Viertels.

    Trotzdem feuern die einen immer wieder auf die anderen. Über die Köpfe der Soldaten hinweg. Ali Fidda ist einer derer, die in Jebbel Mohsen das Sagen haben. Fidda, der unweit der Syrien-Straße residiert, gehört zum Politbüro der "Demokratischen Arabischen Partei" – einer Vereinigung libanesischer Alewiten. An Entführungen beteiligt zu sein, streitet Fidda ab. Aber er erklärt, ein Anhänger von Bashar al-Assad zu sein:

    "Sicher. Wir stehen hundertprozentig auf Seiten des syrischen Regimes. Weil das das Gegenteil von dem vertritt, was alle anderen arabischen Staaten vertreten – in Punkto Israel. Und wir sind für den Schutz von Minderheiten. Wenn Dr. Bashar sich daran nicht mehr halten würde, wären wir auch gegen ihn."

    Das Regime in Syrien sei ein Teil des ansonsten zusammengebrochenen arabischen Widerstandes gegen Israel, das seit 1967 widerrechtlich syrisches, aber auch palästinensisches Land besetzt hat. Und weil das syrische Regime Teil dieses Widerstandes gegen Israel sei, müsse es auch unterstützt werden – so das Argument all derer, die im libanesischen Pro-Assad-Lager sind.

    Dazu zählt auch die schiitische Hizb’ullah. Sie wird sowohl vom Regime in Damaskus unterstützt als auch von dem in Teheran. Eine libanesisch-syrisch-iranische Achse, deren Mitglieder behaupten, die Assad-Gegner ihrerseits unterstützten den Aufstand in Syrien, womit sie auch Libanon wieder in einen Bürgerkrieg trieben. Ahmed Aloush ist Chef der sunnitisch dominierten "Zukunftsbewegung" in Nordlibanon, deren Gründer – Libanons Ex-Premier Hariri – 2005 ermordet wurde.

    "Seit der Ermordung des Ex-Regierungschefs Rafiq Hariri hatten wir Chaos – bis dann Hizb’ullah die Kontrolle übernommen hat – mit ihren Waffen, die sie illegal angehäuft hat. Und mit ihrer Allianz mit Iran. Und jetzt wirft sie uns vor, dass wir Schuld seien an der Instabilität. De facto sind sie daran schuld. Was Hizb’ullah will, ist ein Land des Widerstandes [gegen Israel und den Westen] – angeführt von Iran."

    Der Konflikt in Libanon zwischen Assad-Gegnern und Assad-Unterstützern schwelt nicht nur, er flammt dieser Tage immer wieder auf. Fast täglich kommt es zu Schießereien, Morden, Entführungen. Und mit jedem Tag, an dem sich die Situation in Syrien verschlimmert, wächst auch die Gefahr, dass der Bürgerkrieg auf Libanon übergreift. So sagt Ahmed, ein Waffenhändler in Beirut:

    "Nach den ersten Ereignissen in Syrien wollten plötzlich viele, viele, viele Waffen. Jeder, der 1500 Dollar hat, kauft eine Waffe und deponiert sie zuhause. Weil auch hier wieder ein Bürgerkrieg beginnen wird. Hundertprozentig."

    Die 18 Monate alte Melek, die gerade erst aus Syrien nach Libanon geschmuggelt wurde, weil ihre Mutter getötet wurde und ihr Vater verschwunden ist, versteht all das, was um sie herum passiert, noch nicht. Und wird es vielleicht auch nie verstehen.