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Der Tod nicht länger als Tabu

Viele Menschen befassen sich intensiv mit dem Thema Tod und Sterben. Zu diesem Ergebnis kommt der Deutsche Hospiz- und Palliativverband nach einer Umfrage. Viele glauben aber auch, dass das Thema in der Gesellschaft noch zu wenig behandelt wird.

Von Justin Westhoff | 21.08.2012
    "Wir sind selbst sehr beeindruckt, dass Menschen sich individuell sehr intensiv mit den Themen Sterben und Tod auseinandersetzen, dass man über Patientenverfügungen nachdenkt, und dass tatsächlich die Menschen finden, dass sich unsere Gesellschaft zu wenig mit dem Thema befasst."

    Dr. Birgit Weihrauch, ehemalige Staatsrätin in Bremen, ist Vorsitzende des Deutschen Hospiz- und Palliativverbandes. Die Organisation wollte wissen, ob sich die Bürger persönlich mit solchen Fragen überhaupt auseinandersetzen möchten. Und das ist, wie die damit beauftragte Forschungsgruppe Wahlen herausfand, ganz überwiegend der Fall, sogar schon bei jungen Menschen. Aber die meisten finden eben auch, dass das Thema Tod und Sterben in der öffentlichen Debatte zu kurz kommt. Es sei denn, es wird aufgrund von Skandalen wie jüngst bei der Organspende oder anlässlich von Gesetzesvorhaben zur passiven Sterbehilfe, gerade einmal wieder viel darüber berichtet. Im Prinzip ist der Verband hierzu sehr skeptisch.

    "Ich glaube, dass gerade bei der Sterbehilfedebatte ein ganz großer Unterschied darin besteht, ob jemand selbst in dieser Situation ist oder ob man jung, fit und gesund ist, und abstrakt über diese Fragen diskutiert; wir erleben, dass Menschen, die selbst in einer lebensbeendenden Situation sind, dass sie in der Regel diesen Wunsch gar nicht haben."

    Der Hospiz- und Palliativverband vertritt Pflegeeinrichtungen für unheilbar Kranke sowie Häuser, in denen Menschen für die allerletzte Lebensphase liebevoll betreut werden können. Die Hospizbewegung hatte sich vor rund 30 Jahren aufgrund unwürdiger Verhältnisse in deutschen Kliniken gegründet.

    "Ich selbst habe als junge Ärztin in den 70er-Jahren in Krankenhäusern gearbeitet und erlebt, wie Menschen tatsächlich in Badezimmer und in Abstellräume abgeschoben wurden. Diese Zeiten sind vorbei, und die Menschen wenden sich diesem Thema heute anders zu."

    Und zwar aktiver und weniger angstvoll, weiß die Verbandschefin. Zwei Drittel der Befragten haben sich über das Thema Gedanken gemacht und möchten zu Hause sterben.

    "Das sind weniger, als bisher gedacht, es ist aber erklärlich. Denn die Zahl jener, die allein leben, steigt. Und nicht alle von ihnen haben ein gutes soziales Netzwerk, zuhause sterben hieße daher: allein sterben. Mancher ältere Mensch bevorzugt das Heim auch, weil er sagt: "Ich möchte niemandem zur Last fallen."

    Genau gegen solche Gedanken möchte der Verband angehen, betonte in Berlin dessen Schirmherrin, Ex-Justizministerin Herta Däubler-Gmelin. Genau dafür seien ambulante und stationäre Palliativ- und Hospizeinrichtungen da. Die Fortschritte sind erfreulich, sagt Dr. Birgit Weihrauch, aber es bleibt noch viel zu tun, um den Gedanken der menschenwürdigen Begleitung Sterbender im Alltag des Gesundheitswesens umzusetzen.

    "Wir haben in den letzten 30 Jahren unglaublich viel an neuen Strukturen geschaffen. Aber wir werden niemals so viele spezialisierte Einrichtungen schaffen können, dass jeder in einer solchen versorgt wird, sondern was jetzt unsere große Aufgabe sein muss, ist, dass wir in den allgemeinen Krankenhäusern, in den Pflegeeinrichtungen, in der hausärztlichen Versorgung, die hospizliche und palliative Versorgung so integrieren, dass wirklich alle Menschen, die in einer solchen Situation sind, dass sie sie auch bekommen können."