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Der Tod von Benno Ohnesorg
Gründungsmythos der Studentenbewegung mit Fragezeichen

Am 2. Juni 1967 wird in West-Berlin der Student Benno Ohnesorg bei einer Demonstration gegen den Schah von Persien erschossen. Sein Tod gehört zu den einschneidenden Ereignissen in der Geschichte der Bundesrepublik. Der Tag wurde nach und nach zum Symboldatum der Studentenbewegung. Bis heute gibt die Tat Rätsel auf.

Von Monika Dittrich | 02.06.2017
    Eine Gruppe Studenten, die ein Transparent mit der Aufschrift "Wer hat Benno auf dem Gewissen? Albertz? Innensenator? Polizei?" tragen.
    Eine Gruppe Studenten, die ein Transparent mit der Aufschrift "Wer hat Benno auf dem Gewissen? Albertz? Innensenator? Polizei?" tragen. (dpa picture alliance )
    "Die Straße sieht bereits aus wie ein Schlachtfeld. Zwischen der Polizei und den Demonstrierenden kam es bereits zu mehreren Handgreiflichkeiten, und es war leider bedauerlich mitzuteilen, dass die Polizei auch heute wieder einen recht nervösen Eindruck macht. Sie hat auf einzelne Personen mit mehreren Leuten eingeschlagen, nicht nur mit ihren Gummiknüppeln, sondern auch mit Fußtritten, dieses habe ich selbst gesehen."
    West-Berlin, 2. Juni 1967. Der Schah von Persien, Mohammed Reza Pahlavi, ist gemeinsam mit seiner Frau Farah auf Staatsbesuch in der Bundesrepublik. Zu Ehren des Kaiserpaares wird in der Deutschen Oper Mozarts "Zauberflöte" gespielt. Draußen aber, vor der Oper, tobt ein Straßenkampf zwischen demonstrierenden Studenten und der Polizei.
    Aufgeheizte Stimmung vor der Deutschen Oper
    Ein Reporter des RIAS, des damaligen Rundfunks im amerikanischen Sektor, beschreibt die aufgeheizte Stimmung in der Bismarckstraße vor der Deutschen Oper.
    "In Sprechchören rufen die Studenten, 'Nieder mit dem Schah' und sie haben außer Tomaten, Eiern und Gummireifen auch Stinkbomben, Rauchbomben geworfen. Einige dieser Rauchbomben wurden von den Polizisten dann wieder zurück in die Menge geworfen. Und das gab dann den Krawall."
    Tumulte vor dem Schöneberger Rathaus in Berlin am 2.6.1967. Der Besuch des persischen Herrscherpaares Kaiser Schah Reza Mohammed Pahlavi und Kaiserin Farah Diba, die sich für 24 Stunden in Westberlin aufhielten, löste Massendemonstrationen aus. Bei schweren Zusammenstößen zwischen den Demonstranten und der Polizei wurde der 26jährige Student Benno Ohnesorg von einem Polizisten erschossen.
    Anti-Schah-Demonstration in Berlin. (picture-alliance / dpa)
    Krawall, den die Polizisten beenden sollen, bevor die Staatsgäste die Oper wieder verlassen. Ihr Vorgehen wird der Berliner Polizeipräsident später als "Leberwursttaktik" bezeichnen: Man müsse in die Mitte der demonstrierenden Menschenmenge hineinstechen, damit sie an den Enden – so wörtlich - auseinanderplatzt. Mit Knüppeln jagen die Polizisten die Studenten auseinander, auch in die Krumme Straße, eine Seitenstraße der Deutschen Oper.
    "Hier vor diesem Gebäude, Krumme Straße 66/67, ist ein Parkplatz, auf den sind einige Studenten geflohen vor der Polizei."
    Studenten versuchten, der Prügelei zu entkommen
    Eckard Michels ist Historiker. Er hat gerade ein Buch über den Schahbesuch veröffentlicht und darin rekonstruiert, was am 2. Juni 1967, also vor 50 Jahren, in der Krummen Straße passierte.
    "Es gab also ein großes Gerangel auf diesem Parkhof, zwischen den Studenten und der Polizei, wobei die Polizei geprügelt hat und die Studenten nach Möglichkeit versucht haben, diese Schläge abzuwehren oder der Prügelei zu entkommen."
    Die Krumme Straße heute: eine Nebenstraße in Berlin-Charlottenburg, an der Ecke ein Supermarkt, Mehrfamilienhäuser, breite Bürgersteige. In einem Hof stehen geparkte Autos. Eine unscheinbare Gedenktafel erinnert an den Abend des 2. Juni 1967, als dieser Ort zum Tatort wurde.
    "Und plötzlich war ein Schuss zu vernehmen und Benno Ohnesorg ist dann in sich zusammengesackt."
    Benno Ohnesorgs erste Demonstration
    Benno Ohnesorg. Ein 26-jähriger Lehramtsstudent, Mitglied der Evangelischen Studentengemeinde, seit kurzem verheiratet, seine Frau Christa ist schwanger. Angehörige beschreiben ihn als introvertiert und musisch begabt. Es ist das erste Mal, dass Benno Ohnesorg an einer Demonstration teilnimmt. Es wird auch das letzte Mal bleiben. Denn jetzt liegt er sterbend am Boden, die Studentin Friederike Dollinger kniet sich neben ihn, sie schiebt ihre Handtasche unter seinen blutenden Kopf und ruft nach einem Krankenwagen. Das Foto, das ein Reporter in diesem Moment schießt, geht später um die Welt.
    "Zu dem Zeitpunkt wusste man noch nicht, dass Ohnesorg wegen des Schusses zusammengesackt ist, weil er gleichzeitig von drei Polizisten verprügelt worden ist."
    Sein Tod galt als Beleg für einen faschistischen Staat
    Den Schuss, den kaum einer hörte, wegen der tumultartigen Zustände und auch wegen der vielen Knallfrösche, die die Demonstranten warfen, dieser Schuss sollte in die Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik eingehen. Und zu einem Gründungsmythos der Studentenbewegung und auch der radikalen Linken werden. Linksterroristen gründeten Anfang der 70er Jahre die "Bewegung 2. Juni", manche von ihnen schlossen sich später der Rote-Armee-Fraktion an, die sich ebenfalls auf Benno Ohnesorg berief. Der erschossene Demonstrant war in dieser Nacht zur Symbolfigur geworden: Sein Tod galt vielen im linken Milieu als Beweis dafür, dass der westdeutsche Staat faschistisch sei und bekämpft werden müsse.
    Benno Ohnesorg umringt von Helfern des Roten Kreuzes bei seiner Einlieferung ins Krankenhaus, wo er kurze Zeit später verstarb. Bei einer Anti-Schah Demonstration in Berlin, bei der es zu schweren Zwischenfällen zwischen den Demonstranten und der Polizei kam, wurde der 26-jährige Student Benno Ohnesorg von einem Polizisten erschossen. Aufgenommen am 2. Juni 1967
    Benno Ohnesorg umringt von Helfern des Roten Kreuzes bei seiner Einlieferung ins Krankenhaus, wo er kurze Zeit später verstarb. (dpa)
    Die Kugel, die Ohnesorgs Kopf durchbohrte, hatte Kriminalobermeister Karl-Heinz Kurras abgefeuert. Warum er geschossen hat, bleibt bis heute ein Rätsel. Dazu später mehr. Wie aber konnte es überhaupt so weit kommen?
    "Kaiserliche Majestät, ich darf Sie hier auf dem Berliner Flughafen ganz herzlich begrüßen!"
    Am Morgen des 2. Juni 1967 empfängt Berlins Regierender Bürgermeister Heinrich Albertz das persische Herrscherpaar.
    "Es ist uns eine hohe Ehre, dass Sie, kaiserliche Majestät und Kaiserin Farah, auch die deutsche Hauptstadt besuchen. Die Berliner freuen sich darauf und wir sind glücklich, ihnen den freien Teil des wiederaufgebauten Berlins zeigen zu können."
    Bundesregierung wollte Beziehungen zum Schah intensivieren
    West-Berlin ist eine von mehreren Stationen des Schahbesuchs, der insgesamt anderthalb Wochen dauert, mit Aufenthalten unter anderem in Bonn und München. Der Schah wird in Deutschland mit großem Pomp umgarnt. Die Bundesregierung folgt dabei einer Strategie, die charakteristisch ist für die Zeit des Kalten Krieges. Sie will die Beziehungen zum Drittweltland Iran intensivieren und den Schah unter allen Umständen davon abbringen, Kontakte zur DDR aufzunehmen. Dass Mohammed Reza Pahlavi längst seine Fühler in den Ostblock ausgestreckt hatte und unmittelbar vor seinem Deutschlandbesuch in der sozialistischen Tschechoslowakei empfangen worden war, beobachtete die Bundesregierung mit Sorge.
    "Das war ja sozusagen der GAU, der größte anzunehmende Unfall, aus Sicht der Bundesregierung, dass die DDR die Anerkennung von Regierungen aus der dritten Welt erfahren könnte. Und deswegen musste man den Schah eben '67 auch besonders hofieren."
    Der bis dahin größte Polizeieinsatz in der Bundesrepublik
    Hofieren – und: schützen. Der Schah galt als gefährdete Person. Mehrere Attentate und Anschlagsversuche hatte er bereits überlebt. Iranische Oppositionelle, die in der Bundesrepublik lebten, galten als gut vernetzt. Wohl aus diesen Gründen organisierten die deutschen Sicherheitsbehörden den bis dahin größten Polizeieinsatz in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Akteure der Studentenbewegung sahen darin allerdings eine systematisch geplante Notstandsübung. Eine Fehl-Interpretation, sagt der Historiker:
    "Diese Idee, dass der Schahbesuch so eine Art Generalprobe für einen Notstandsstaat sei, indem man erstmals versucht, bestimmte Grundrechte auszuhebeln und der Polizei freien Lauf zu lassen, das lässt sich einfach so nicht darstellen."
    Der iranische Schah Reza Mohammed Pahlavi (M) schreitet am 2. Juni 1967 die Front der Ehrenformation der Berliner Bereitschaftspolizei mit dem Regierenden Bürgermeister Heinrich Albertz (l) auf dem Flughafen Tempelhof in Berlin ab. Das iranische Herrscherpaar hielt sich für 24 Stunden im westlichen Teil der geteilten Stadt auf. Der Besuch des Schahs löste Massendemonstrationen und schwere Tumulte gegen den iranischen Herrscher aus, der Student Benno Ohnesorg kam dabei ums Leben.
    Der iranische Schah Reza Mohammed Pahlavi (M) schreitet am 2. Juni 1967 die Front der Ehrenformation der Berliner Bereitschaftspolizei ab. (dpa)
    Eckard Michels, der am Londoner Birkbeck College deutsche Geschichte lehrt, hat auch untersucht, warum der Schah überhaupt zum übergroßen Feindbild der Studenten geworden war. In erster Linie galt er ihnen als Marionette des Westens, als eitler Monarch, der sich nur durch die Unterstützung der USA auf dem Thron halten konnte und sein eigenes Volk unterdrückte.
    "Der Protest gegen den Schahbesuch war sicherlich gerechtfertigt, weil die Menschenrechtssituation im Iran und die Lebensbedingungen für einen Großteil der Bevölkerung katastrophal waren."
    Kritik an den Verhältnissen im Iran
    Das ist die vordergründige Erklärung. Sie reicht aber nicht aus. Denn in der Bundesrepublik wurden damals auch andere Potentaten empfangen – ohne dass ein einziger Student dagegen demonstriert hätte. Beim Protest gegen den Schah spielten also noch weitere Faktoren eine Rolle. Da war zum einen die Regenbogenpresse, die immer wieder anbiedernd über den persischen Herrscher und seine Ehefrauen berichtete. Das hatte für Aufmerksamkeit gesorgt und zugleich viele politisierte Studenten angewidert. Im krassen Gegensatz dazu stand ein Büchlein, das erst wenige Wochen vor dem Schahbesuch erschienen war und sich unter den Studenten schnell zum Bestseller entwickelt hatte. "Persien, Modell eines Entwicklungslandes oder Die Diktatur der Freien Welt", heißt die Streitschrift des iranisch-stämmigen Germanisten Bahman Nirumand, verlegt in der Taschenbuchreihe "rororo aktuell" für erschwingliche 2 Mark 20.
    "Es ist mit Verve geschrieben. Und es geht auch letztendlich über den Iran hinaus, indem es auch eine Art Appell ist an die Studenten, sie dürften das nicht mehr so hinnehmen, diese Unterdrückung der dritten Welt. Man solle vielmehr ein Bündnis mit den Befreiungskämpfern der Dritten Welt schmieden."
    Am Tag vor dem Schahbesuch sprach Bahman Nirumand im vollbesetzten Audimax der Freien Universität Berlin.
    "Kritik an dieser Art von Demokratie wird in Persien offen mit Verrat gleichgesetzt. Und vor einem Militärtribunal abgeurteilt, zu dessen Prozessen Öffentlichkeit und Presse keinen Zutritt haben. Die Untersuchungsrichter mühen sich nicht mit langen Verhören ab. Geständnisse, die man braucht, werden durch Folter erzwungen. Schon in der Anklageschrift werden die Angeklagten schuldig im Sinne der Anklage befunden, bevor noch … (Applaus)."
    Aus Jubelpersern werden Prügelperser
    Im Audimax liefen sich die Studenten warm für die Demonstrationen gegen den Schah. Hier wurden auch die Papiertüten mit den Karikaturen von Mohammed Reza und Farah Pahlavi verkauft, die sich viele Studenten bei den Protesten über die Köpfe stülpten. Zum Beispiel vor dem Schöneberger Rathaus, um die Mittagszeit am 2. Juni, wo sich der Schah in das Goldene Buch der Stadt eintragen sollte.
    Tumulte vor dem Schöneberger Rathaus in Berlin am 2.6.1967. Der Besuch des persischen Herrscherpaares Kaiser Schah Reza Mohammed Pahlavi und Kaiserin Farah Diba, die sich für 24 Stunden in Westberlin aufhielten, löste Massendemonstrationen aus. Bei schweren Zusammenstößen zwischen den Demonstranten und der Polizei wurde der 26jährige Student Benno Ohnesorg von einem Polizisten erschossen.
    Tumulte bei der Anti-Schah-Demonstration in Berlin. (picture-alliance / dpa )
    Studenten, Demonstranten, aber auch Schaulustige, drängeln sich hinter den Absperrgittern, mit denen sie auf Distanz zum Rathaus gehalten werden. Kurz bevor der Schah eintrifft, fahren zwei Busse der Berliner Verkehrs-Betriebe vor. Etwa 80 Perser steigen aus, es sind Anhänger des Schahs, teilweise Mitarbeiter des iranischen Geheimdienstes, wie sich später herausstellen sollte. Jubelperser heißen sie von nun an: Sie dürfen näher ans Rathaus heran als die Schah-Gegner und sie haben Plakate mitgebracht; darauf stehen Grußformeln für das Kaiserpaar. Doch als der Schah im Rathaus verschwunden ist, werden aus den Jubelpersern Prügelperser. Mit Holzlatten gehen sie auf die Demonstranten los. Die Polizei lässt sie gewähren.
    "Inzwischen aber ist es zwischen diesen Persern und den Studenten, die hinter den polizeilichen Absperrungen stehen, zu Handgreiflichkeiten gekommen. Man muss der Wahrheit die Ehre geben, die Perser, die den Schah freundlich begrüßten mit ihren Plakaten, sie waren die ersten, die die Plakate von ihren Stöcken abmachten und damit wahllos in die Menge hineinschlugen."
    Diskussionen zwischen Studenten und Berlinern
    Und dann, am Abend, die nächste Eskalation: vor der Deutschen Oper.
    "Das, meine Damen und Herren ist die Begrüßung der etwa 500 Studenten, die auf der gegenüberliegenden Seite des Einganges der Deutschen Oper Berlin hinter den Sperrgittern der Polizei stehen. Der Schah ist eben vorgefahren, sein Wagen wurde unter das Überdach der Oper gefahren, damit ihn die Eier und die Tomaten, die hier geworfen werden, nicht erreichen."
    Am Straßenrand entwickeln sich Diskussionen – zwischen demonstrierenden Studenten und schaulustigen Berlinern.
    "Unser Anliegen ist es, dass wir der Bevölkerung klarmachen, dass es noch andere Tatsachen gibt als die, die man in der Springerpresse liest. – Na hören Sie mal, es geht doch, nicht nur um die Springerpresse, man macht sich doch auch seine eigenen Gedanken. – Das ist schön, wenn Sie das machen! Dann wüssten Sie auch, dass der Schah ein Tyrann ist. – Was sagten Sie eben? – Da hinten wird geschlagen. Polizeiausschreitungen."
    "Das, was sich hier bot, meine Damen und Herren, kann man eigentlich mit Worten kaum noch beschreiben. Man kann nur eins sagen: Man muss der Polizeiführung bescheinigen, dass hier wieder völliges Versagen vorliegt. Die Antwort auf die Polizeiknüppel waren Pflastersteine und Mauersteine, die zwei Polizisten am Kopf verletzten, sie kamen sofort in Krankenhäuser und ich zähle jetzt zurzeit vier Krankenwagen, die ständig im Einsatz waren."
    Karl-Heinz Kurras wird freigesprochen
    Der Schahbesuch, der für die Bundesrepublik strategisch so wichtig war, endete in West-Berlin mit Straßenschlachten, prügelnden Polizisten und einem toten Demonstranten. Ein verstörendes Ereignis, vor allem für viele West-Berliner Studenten. Der damalige Asta-Chef an der Freien Universität, Hartmut Häußermann:
    "Wir sind deshalb so sehr betroffen, weil hier ein Student, der gegen ein Gewaltregime demonstrieren musste, diese Demonstration mit seinem Leben bezahlen musste."
    Karl-Heinz Kurras, der Todesschütze, wurde später freigesprochen; ihm sei keine strafrechtliche Schuld nachzuweisen, hieß es. Für viele ohnehin politisierte Studenten war das ein weiterer Beleg dafür, dass der Staat mörderisch agiert – und sie selbst die Opfer sind. So wurde der 2. Juni 1967 nach und nach zum Symboldatum und viele Protagonisten der Studentenbewegung und der radikalen Linken bezeichneten die Ereignisse vor der Deutschen Oper später als Erweckungserlebnis. Der frühere RAF-Terrorist Karl-Heinz Dellwo etwa schrieb einmal in einem Aufsatz mit dem Titel "Mein 2. Juni":
    "Schlüsselereignisse sind die, die für die eigene Biografie konstituierend sind. Der Tod von Benno Ohnesorg gehört sicher dazu (...)"
    Gedenktafel "Benno Ohnesorg" in der Bismarckstrasse in Berlin-Charlottenburg.
    Gedenktafel "Benno Ohnesorg" in der Bismarckstrasse in Berlin-Charlottenburg. (imago / Schöning)
    "Die Bedeutung des 2. Juni für die Studentenbewegung und für den Linksterrorismus in der Bundesrepublik ist natürlich erst eine nachträgliche Konstruktion. Im Rückblick hat man nach diesen Eskalationsstufen versucht zu denken, wann hat das Ganze eigentlich angefangen und da bot sich der 2. Juni und der Tod Ohnesorgs als Ausgangspunkt an."
    Todesschütze war IM der Stasi
    Auch diese Erkenntnis des Historikers kommt einer Entzauberung der Studentenbewegung gleich. Doch die Geschichte über den 2. Juni und den Tod Benno Ohnesorgs, über seine vermeintliche oder tatsächliche Bedeutung für die Studentenbewegung – diese Geschichte ist noch nicht zu Ende erzählt.
    "Hier ist das erste deutsche Fernsehen mit der Tagesschau. Erkenntnisse der Stasiakten-Behörde werfen ein neues Licht auf einen Auslöser der Studentenproteste Ende der 60er-Jahre."
    Eine Wendung, die niemand erwartet hatte: Im Mai 2009 kam heraus, dass Karl-Heinz Kurras, der Mann, der Benno Ohnesorg erschossen hat, ein Inoffizieller Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit gewesen war. Helmut Müller-Enbergs, der zu dieser Zeit in der Stasi-Unterlagenbehörde arbeitete, hatte die Kurras-Akte durch Zufall entdeckt – gemeinsam mit einer Kollegin.
    "Dass ein West-Berliner Polizist in einer Schlüsselstellung von der Staatssicherheit eine Waffe bekommen hat, Geld für eine P38 mit Kleinkaliber-Aufsatz, das habe ich zum ersten Mal in 17 Jahren Behördengeschichte gelesen."
    DDR hatte kein Interesse an Ausschreitungen
    Die Frage, die sich nun stellte, lautete: Muss die Geschichte der Studentenbewegung, die Geschichte des 2. Juni, umgeschrieben werden? Schoss Kurras möglicherweise sogar im Auftrag der Stasi?
    Das SED-Mitgliedsbuch des West-Berliner Polizisten Karl-Heinz Kurras, der während des Schah-Besuchs am 2. Juni 1967 den Studenten Benno Ohnesorg erschoss, aufgenommen am 28.05.2009 in Berlin in der Stasi-Unterlagenbehörde.
    Das SED-Mitgliedsbuch des West-Berliner Polizisten Karl-Heinz Kurras, der während des Schah-Besuchs am 2. Juni 1967 den Studenten Benno Ohnesorg erschoss. (dpa / picture alliance / Hannibal Hanschke)
    "Wie starb Benno Ohnesorg" sang die DDR-Singegruppe Oktoberklub schon 1967. Manch einer im Westen dachte damals vielleicht, in der DDR-Führung habe es eine klammheimliche Genugtuung gegeben angesichts der eskalierenden Ereignisse beim Schahbesuch. Doch das Gegenteil dürfte richtig sein. Die DDR hatte kein Interesse an den Ausschreitungen und auch nicht am Tod eines Demonstranten. Ostberlin wollte schließlich selbst diplomatische Beziehungen mit dem Schah aufbauen. Eckard Michels:
    "Am liebsten wäre es der DDR gewesen, dass der Schah-Besuch in West-Berlin vollkommen ruhig ohne Demonstrationen abgelaufen wäre. Weil die DDR immer Angst hatte, dass der Schah jegliche Proteste auf die Aktivitäten der iranischen Kommunisten oder sogar auf die DDR-Organe in West-Berlin zurückführen könnte und damit wäre natürlich die erhoffte Annäherung des Schahs an die DDR von vornherein unmöglich geworden."
    Frage nach dem Motiv von Kurras bleibt
    Karl-Heinz Kurras hatte also keinen Mord-Auftrag aus der DDR. 2014 ist er gestorben. Was bleibt, ist die Frage, warum er damals, an diesem frühsommerlichen Abend vor 50 Jahren, geschossen hat. Man wird es wohl nie herausfinden – aber Eckard Michels versucht eine Erklärung.
    "Ich glaube, dass Kurras – aus welchen Gründen auch immer – an jenem Abend, in dieser speziellen Situation überfordert gewesen ist und sich bedroht gefühlt hat, ich glaube nicht mal, dass er gezielt auf Ohnesorg geschossen hat, vielleicht wollte er wirklich einen Warnschuss abgeben. Ich weiß, das klingt schwer akzeptabel, weil Kurras nun wirklich kein angenehmer Zeitgenosse ist – nach allem, was wir wissen. Aber auch einer solchen Person muss man zugutehalten, falsch gehandelt zu haben, aber nicht vorsätzlich in dem Sinne, dass er jemanden töten wollte an dem Abend."