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Der Traum vom ewigen Leben

Das Reiss-Engelhorn-Museum zeigt derzeit Mumien aus allen Gegenden der Welt. Der Direktor des Ägyptischen Museums in Berlin, Dietrich Wildung, hat die Schau scharf kritisiert und sogar als "Pornografie" bezeichnet. Der Umgang mit dem Tod ist eben nicht nur eine technische Frage, wie man Tote einbalsamiert. Trotzdem darf man sich auch für das Technische interessieren.

Von Martina Wehlte-Höschele | 06.10.2007
    Einen "Traum vom ewigen Leben" wie ihn die Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen (rem) mit ihrer weltweit größten Mumien-Ausstellung visualisieren, möchten die meisten von uns wohl nicht träumen. Wir Mitteleuropäer verbinden mit der Verheißung ewigen Lebens lieber anhaltende Jugendlichkeit im Diesseits als die konservierten Todesspuren des Jenseits, mit denen uns auch die besterhaltene Mumie die Vergänglichkeit irdischen Daseins vor Augen führt.

    Siebzig grau-braune Ganz- oder Teilkörpermumien werden in den abgedunkelten Räumen des ehemaligen Mannheimer Zeughauses still und mit ethisch gebotener Zurückhaltung präsentiert. In ihrer Sonderausstellung treten die Reiss-Engelhorn-Museen mit den Ergebnissen eines dreijährigen Forschungsprojekts an die Öffentlichkeit. Mittels Computertomografie, DNA-, Drogen- und Keratin-Isotopenanalyse sowie radiometrischer Darstellung ist es dem interdisziplinären Forscherteam um Alfried Wieczorek, Michael Tellenbach und Wilfried Rosendahl gelungen, Geschlecht, Individualalter, Größe und Herkunft der Toten festzustellen sowie etwas über Altersstellung, Krankheiten, Ernährungsweise und Todesursache zu erfahren.

    Doch nicht nur das. Denken wir bei dem Begriff Mumien zuallererst an altägyptische Funde, so konnte nun nachgewiesen werden, dass die künstliche Mumifizierung, die traditionell rund sechs Wochen dauert, ein weltweites Phänomen ist. Das beweisen einige der neunzehn Mumien aus dem Depot des "rem", deren Wiederentdeckung Anlass für Projekt und Ausstellung war; so etwa der Mumienfund eines etwa fünfzehnjährigen Jungen aus Nordostasien. Eine präkolumbianische Kindermumie beweist, dass Mumifizierung auch in Südamerika verbreitet war. Der überaus sorgfältig erarbeitete Katalog wird auf Jahre hin als Standardwerk zu diesem Themenbereich gelten können.

    Wie aber ist die Vermittlung an ein breites Publikum gelungen? Welchen Bezug kann man ins 21. Jahrhundert herstellen? Die Ausstellung ist kein Beitrag zur Event-Kultur, keine lautstarke Inszenierung, sondern eine sensibel und zurückhaltend gestaltete Schau der stillen Heranführung an einen heiklen Gegenstand. Sie ist klar strukturiert und spannt den zeitlichen Bogen vom 70 Millionen Jahre alten Dinosaurierbein aus Wyoming bis zur kryostatischen Aufbewahrung Verstorbener heute, das heißt einem Einfrieren in flüssigem Stickstoff aus der Hoffnung heraus, der medizinische Fortschritt werde den Tod irgendwann einmal überwinden und den konservierten Körper zum diesseitigen ewigen Leben wiedererwecken.

    Walt Disney hat das bekanntlich mit sich machen lassen, und das Verfahren wird weltweit angeboten; in Deutschland sind solche Versuche den Tod zu überlisten allerdings verboten, und der große Stickstoffbehälter in der letzten der insgesamt sieben Ausstellungsabteilungen wird gewöhnlich in der Reproduktionsmedizin und der Tierzucht verwendet. Der Besucher wird mit der eigenen Sterblichkeit behutsam und schrittweise konfrontiert, ohne dass damit der - vielleicht heilsame - Schock ausbliebe. Zu Beginn des Rundgangs wird der Begriff "Mumie" erläutert und an Beispielen visualisiert. Abgeleitet aus dem persischen mum, womit ursprünglich ein natürliches Erdwachs bezeichnet war, wurden seit dem siebten Jahrhundert die schwarzbraunen, teerartigen Balsamierungsreste an den Toten als "Mumia" bezeichnet.

    Und die sogenannte Gräbermumia wurde in der abendländischen Medizin zu einem bedeutenden Heilmittel beispielsweise bei Knochenbrüchen. Von den Substanzen selbst ging das Wort dann auf den einbalsamierten Körper über.

    "Vom blühenden Leben zum Bodenmineral", so lautet der Titel der zweiten, vielleicht wichtigsten Abteilung, in der die Mumifizierung eines Sommergoldhähnchens aus einem Kraftwerkskamin zu sehen ist; durch Wasserentzug mumifizierte Frösche, die scheinbar gleich losspringen könnten; ein Kofferfisch aus dem Roten Meer als Salzmumie und schließlich die erste Begegnung mit einer menschlichen Mumie: der durch Gletschereis erhaltenen Porchabella-Frau mit Haaren, Hut und Schuhen. Schließlich kommen die zahlreichen ägyptischen Funde, darunter besonders eindrucksvoll die Mumie des Priesters Nes-pa-kai-schuti in einem sorgfältig bemalten Sarkophag.

    Oder das berühmte "Mädchen von Windeby" aus Schloss Gottorf, das dank der neuesten Untersuchungsmethoden als Junge aus der Eisenzeit identifiziert werden konnte.

    Großformatige Landschaftsprojektionen der Fundgebiete wechseln mit CT-Darstellungen des Innern der gezeigten Körpeer, ermöglichen zum Beispiel einen Blick in den Schädel, dem das Hirn entnommen und in den stattdessen die Zähne gelegt wurden, weil der Mensch komplett im Jenseits ankommen musste. Ein symbolträchtiges Highlight in der Abteilung "Mumien aus Politik und Gesellschaft" ist zweifellos die rechte Schwurhand Philipps von Schwaben aus dem Domstift Merseburg, deren geschichtliche Bedeutung der Besucher auf der beigegebenen Texttafel liest.

    Die Ausstellung ist nichts für voyeuristische Gaffer, nichts für ästhetische Genussmenschen. Sie vermittelt neuestes Wissen, macht den Besucher nachdenklich und regt zum Reflektieren über unser eurozentrisches Weltbild mit seiner modernen Scheu vor dem Tod an. Und das ist verdammt viel für eine Ausstellung!