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"Der Uhu fühlt sich in den Steilwänden der Steinbrüche äußerst wohl"

Jeder Deutsche benötigt pro Jahr rund sechs Tonnen Naturstein. Dessen Abbau ist mit erheblichen Eingriffen in die Umwelt verbunden, sagt der Bund für Naturschutz. Ulrich Hahn, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Mineralische Rohstoffe MIRO, sieht das "Ökokonto" seiner Branche dagegen positiv: Der Abbau schaffe für Pflanzen und Tiere, die auf der roten Liste stehen, neuen Lebensraum.

Ulrich Hahn im Gespräch mit Jule Reimer | 17.09.2012
    Jule Reimer: Viel war die Rede in den vergangenen Monaten von seltenen Erden, von Kupfer oder Coltan, Rohstoffe, die das aufstrebende China geradezu aufsaugt und wo es auch den Markt dominiert. Starke Konkurrenz für das Hightech-Exportland Deutschland: die deutsche Wirtschaft ist auf Rohstoffe aus dem Ausland angewiesen. Doch auch hierzulande werden wichtige Rohstoffe gefördert. Heute beginnt in Erfurt der Deutsche Naturschutztag, der sich auch mit dem Zielkonflikt Wirtschaftsinteressen versus Naturerhalt befasst. Der Bundesverband Mineralische Rohstoffe MIRO vertritt rund 3000 Unternehmen, die Kies, Kalkstein, Quart, Granit oder auch nur einfach Sand abbauen. – Vor dieser Sendung fragte ich Ulrich Hahn, den Hauptgeschäftsführer von MIRO, wie denn so ein Kiesabbau funktioniert und wie viel Naturstein wir Deutsche so verbrauchen.

    Ulrich Hahn: Jeder Deutsche benötigt im Jahr rund sechs Tonnen pro Kopf für alle möglichen Zwecke. Wenn Sie ein Handy nutzen, ist da Quarzsand drin. Wenn Sie eine Glasscheibe produzieren wollen, brauchen Sie Sand. Wenn Sie einen Lippenstift benutzen wollen, wenn Sie morgens in den Spiegel schauen, wenn Sie Fensterbänke in Ihrem Haus haben oder Fußbodenbeläge, dann brauchen Sie diese Rohstoffe, und das sind im Jahr sechs Tonnen, oder, wenn Sie es mal auf den Tag runterbrechen, zwei Einkaufstüten voll.

    Reimer: Wie bauen Sie Kies ab? Beschreiben Sie mir das mal?

    Hahn: Der Kiesabbau kann über zwei Wege erfolgen: einmal im Rahmen einer Nassgewinnung, oder als Trockengewinnung. Nassgewinnung bedeutet, Sie haben zum Beispiel im Bereich des Oberrheins Sektionen, wo Sie den Kies mit Saugbaggern oder Eimerkettenbaggern oder Löffelbaggern aus dem Nassbereich, aus dem Seebereich, aus dem Wasser gewinnen.

    Reimer: Aus dem Flussbett?

    Hahn: Nass aus dem Flussbett. Oder Sie haben Kiesgruben, wo das Grundwasser eben so hoch ansteigt, dass Sie es auch nass gewinnen müssen. Dann wird das Material vorgesiebt in die Korngrößen, die benötigt werden. Der Kies ist ja normalerweise schon relativ klein. Je weiter wir vom Süden Deutschlands in den Norden kommen, umso kleiner wird das Material, weil es eben durch die Flussläufe transportiert wurde, und je weiter transportiert wird, umso kleiner ist es. Das heißt, Sie finden in der norddeutschen Region überwiegend nur noch Sand vor, kaum noch Kieskörnungen, während es im Oberrhein genau umgekehrt ist. Dort finden Sie mehr Kieskörnungen, grobe Kieskörnungen vor und weniger Sand. Wenn ich von Sand spreche, meine ich damit eine Korngröße bis vier Millimeter etwa, und alles, was darüber ist, da sprechen wir von Kies. Wenn das Material zu grob wird, das heißt größer als 32 Millimeter, dann muss es in der Regel noch mal gebrochen werden über Brechaggregate und dann zusätzlich abgesiebt werden. Das ist dann auch der gleiche Aufbereitungsprozess wie in den Steinbrüchen. Das unterscheidet sich in der Gewinnung dadurch, dass in den Steinbrüchen in der Regel durch Sprengen herein gewonnen wird. Das heißt, es werden Bohrlöcher in die Felswand heruntergebracht, die werden mit Sprengstoff gefüllt und dann wird die Wand abgesprengt und das durch die Sprengung schon zerkleinerte Material, was natürlich immer noch eine gewaltige Stückgröße hat, wird dann durch Brechen und Sieben so weit aufbereitet, dass es eingesetzt werden kann.

    Reimer: Zielkonflikt Naturschutz, Biodiversität, Artenvielfalt. Jetzt hängt ja die dort entstandene Umwelt auch erheblich von dem Stein ab, der da liegt. Wie gehen Sie damit um?

    Hahn: Das ist für uns, auch wenn man das vielleicht auf den ersten Blick nicht so erkennt, ein großes Plus, weil wir durch den Gesteinsabbau zum Beispiel vielen Pflanzen und Tieren, die auf der roten Liste stehen, neuen Lebensraum geben. Ob das jetzt die Uferschwalbe ist, oder die Gelbbauchunke, oder der Juchtenkäfer, der durch Stuttgart 21 durch die Presse ging, wir finden gerade in diesen Arealen, wo Rohstoffe abgebaut werden – und zwar nicht nur, nachdem der Rohstoffabbau beendet worden ist, sondern auch schon während der Gewinnung – sehr viele Tiere, die auf der roten Liste stehen, auch Pflanzen, die auf der roten Liste stehen, Orchideenarten. Der Uhu fühlt sich zum Beispiel in den Steilwänden der Steinbrüche äußerst wohl, weil er da genau weiß, abgesehen von den Sprengungen, die gewisse Erschütterungen hervorrufen, dass er da völlig unbehelligt in dieser Wand brüten und nisten kann und leben kann, sodass wir nachgewiesen haben durch eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Untersuchungen, dass die Vielfalt gerade in diesen Abbaustellen deutlich zugenommen hat.

    Reimer: Bei laufendem Betrieb?

    Hahn: Sogar bei laufendem Betrieb, ja. Es gibt temporäre Biotope in den Betrieben, die sich sehr schnell von alleine anlegen, wenn mal über kurze Zeit da nicht weiter produziert wird, die dann natürlich verlagert werden im Zuge des fortschreitenden Abbaus, aber da sind sehr schnell Tierarten und Pflanzenarten zu finden, die sie sonst in der natürlichen Kulturlandschaft, muss man sagen, nirgendwo mehr finden, und das ist auch von den Umweltschutzverbänden anerkannt. Und das führt heute dazu, dass wir – ich nenne das Stichwort Ökokonto – hier Pluspunkte sammeln können mit den Abbaustellen gegenüber anderen Industriebereichen, was uns natürlich sehr zugute kommt.

    Reimer: Was heißt verlagern?

    Hahn: Wenn es Vögel sind, die sind natürlich nicht standortgebunden. Wenn es Frösche oder Blumen sind, die werden zum Teil mit verlagert. Es gibt viele Mitgliedsunternehmen bei uns und auch einige unserer Mitgliedsverbände, die inzwischen Biologen angestellt haben, die sich ausschließlich um diese Fragen kümmern und die sehr sorgfältig darauf achten, dass mit derartigen Biotopflächen pfleglich umgegangen wird, und die dann auch, wenn sie wissen, in welche Richtung der Abbau schwenkt, dafür sorgen, dass, wenn da Biotope gefährdet sein sollten, diese im wahrsten Sinne des Wortes von einer Stelle auf die andere transportiert werden, und das klappt relativ problemlos innerhalb kürzester Zeit.

    Reimer: Bei einem Steinbruch kann ich mir das halbwegs vorstellen. Aber bei so einem Kiesabbau nicht so richtig.

    Hahn: Bei der Nassgewinnung haben wir dieses Thema ohnehin weniger. Bei der Trockengewinnung des Kieses – es gibt ja auch neben der Nassgewinnung, das hatte ich eben noch nicht ausgeführt, eine Trockengewinnung, wo mit dem Bagger der Kies gewonnen wird und aufgeladen wird -, da ist das ähnlich. Der Unterschied zwischen dem Kiesabbau und dem Steinbruchabbau ist, dass die Kiesabbauflächen größer sind vom Flächenbedarf. Die Kiesabbauflächen gehen mehr in die Breite, die Steinbrüche gehen mehr in die Tiefe. Das ist der einzige Unterschied. Aber von den Flächen an sich, von den Biotoparten sind da keine großen Unterschiede. Wir haben zum Beispiel auch in Baggerseen die biologische Vielfalt deutlich verbessern können und nachweisen können. Da gibt es sehr viele Untersuchungen, die das belegen – erfreulicherweise.

    Reimer: Jetzt sagt zum Beispiel der BUND, dass durch den Kiesabbau doch ganz erhebliche Eingriffe geschehen, die bis dahin gehen können, dass Fließrichtungen auch verändert werden beim Grundwasser, dass auch an weiter entfernten Stellen sich unter Umständen der Abbau im Grundwasserhaushalt bemerkbar macht.

    Hahn: Da muss man sicher differenzieren. Was wir immer wieder feststellen, dass Rohstoffabbau pauschal dargestellt wird, ohne tatsächlich zu differenzieren, worüber wir sprechen. Wir sind hier in Köln und wir haben vor unseren Türen den großen Braunkohleabbau. Wenn ich in dieser Dimension Rohstoffe gewinne, ist die Beeinträchtigung des Grundwassers sicher nicht von der Hand zu weisen. Aber wenn Sie unsere kleinen Betriebe sehen - wir sprechen über Kleinstunternehmen zum Teil – und die doch geringen Flächen: Wir sprechen bei den gesamten 500 Millionen Tonnen, die jedes Jahr gewonnen werden, von einer Fläche von cirka 0,01 Prozent der Gesamtfläche der Bundesrepublik Deutschland. Das sind also verschwindend kleine Flächen, die auch nicht sonderlich in die Tiefe gehen. Da sind Beeinträchtigungen des Grundwasserabbaus sicher nur in Einzelfällen anzutreffen. Ich will das auch nicht ausschließen, das gibt es sicher, aber das ist nicht die Regel.

    Reimer: Sie arbeiten mit einem endlichen Rohstoff.

    Hahn: Endlich - wenn Sie das in Erdzeitalter messen, haben Sie Recht. Ansonsten natürlich überhaupt nicht, weil unsere ganze Erdkruste besteht aus Rohstoffen, die wir für unsere Zwecke gewinnen können. Die Endlichkeit ist dadurch gegeben – und da spreche ich jetzt nicht nur für Deutschland, sondern für ganz Europa, wo wir natürlich sehr dicht besiedelte Ballungszentren haben -, da ist die "Endlichkeit" dadurch gegeben, dass wir zu einer künstlichen Verknappung kommen durch Überlagerungen durch Naturschutzgebiete, Wasserschutzgebiete und dergleichen, die uns das Leben schwer machen. Insofern haben Sie Recht, insofern sind die Vorkommen endlich. Aber generell haben wir es mit unendlicher Verfügbarkeit zu tun.

    Reimer: Ulrich Hahn vom Bundesverband Mineralische Rohstoffe MIRO über Naturschutz versus oder auch inmitten von Kiesabbau und Kalksteinsprengungen. Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.