Freitag, 19. April 2024

Archiv


Der Vater der Rosenrevolutionäre

Eduard Schewardnadse war von 1985 bis 1990 Außenminister der Sowjetunion und stand von 1992 bis 2003 an der Spitze Georgiens. Aus dem Amt des Präsidenten wurde er während der sogenannten Rosenrevolution vertrieben - von einem seiner politischen Ziehsöhne, dem heutigen Präsidenten Georgiens, Micheil Saakaschwili. Auf der Buchmesse stellt er seine auf Deutsch erscheinenden Memoiren vor. Gesine Dornblüth berichtet.

10.10.2007
    Eduard Schewardnadse empfängt Besucher in Strickjacke. Mit seinen knapp 1,70 Meter versinkt er fast in dem breiten, tiefen Ledersessel, doch seine Augen blinzeln herausfordernd. Seit seinem Rücktritt vor vier Jahren verbringt der Ex-Präsident die meiste Zeit in seiner Residenz im ruhigen Villenviertel Krtsanisi in Tiflis - umsorgt von Assistenten und Wachpersonal. So beliebt Schewardnadse aufgrund seines Beitrags zur Wiedervereinigung in Deutschland ist, so unbeliebt ist er im eigenen Land. Der Mann, der insgesamt mehr als 20 Jahre an der Spitze Georgiens stand, verkörpert für viele seiner Landsleute Stillstand und Korruption. Der 79-Jährige fühlt sich unverstanden und verkannt:

    "Die grundlegenden politischen Reformen wurden in Georgien während meiner Amtszeit durchgeführt: Die Reform des Familienrechts, der Justiz, des Schulwesens zum Beispiel, die Privatisierung. Und vieles andere mehr. Die jetzige Regierung verbessert lediglich einige Aspekte meiner Politik und passt sie den heutigen Anforderungen an."

    Schewardnadse setzt sich ein wenig in seinem Sessel auf. Im Januar wird er 80. Der Mann, der einst Außenminister der Sowjetunion war, redet am liebsten über seine Zeit auf dem internationalen Parkett.

    "Als ich Außenminister der Sowjetunion war, habe ich, natürlich gemeinsam mit Gorbatschow und anderen Kollegen, die Perestroika vorangetrieben: Die Demokratisierung der Sowjetunion. Unsere Politik hat sich danach in ganz Osteuropa verbreitet und zur Auflösung des Warschauer Paktes geführt. Ohne uns hätte es die deutsche Wiedervereinigung nicht gegeben."

    Auch als Präsident des unabhängigen Georgien setzte sich Schewardnadse in den 90er Jahren für Demokratie ein. Er ließ eine freie Presse zu und sorgte dafür, dass junge Leute im westlichen Ausland studieren durften - darunter die Politiker, die ihn später aus dem Amt jagten. Viele Gesetze allerdings existierten unter Schewardnadse nur auf dem Papier. Die staatlichen Institutionen funktionierten nicht. Gehälter, Renten und Stipendien wurden oft über Monate nicht ausgezahlt. Mit der sogenannten Rosenrevolution vor vier Jahren änderte sich das schlagartig. Die neue, neoliberale Regierung unter Präsident Saakaschwili verkaufte Häfen, Energienetze, ehemals staatliche Industriebetriebe - und brachte so Geld in die Staatskasse. Die Opposition spricht von einem Ausverkauf Georgiens. Ex-Präsident Schewardnadse stimmt dem zu.

    "Alles wird verkauft: Unternehmen, Wälder, sogar Wasser - ein sehr wichtiger Reichtum des Landes. Das ist übertrieben. In einigen arabischen Staaten kostet Trinkwasser bereits mehr als Öl. Deshalb darf man Trinkwasserressourcen nicht verkaufen."

    Ansonsten aber hält sich Schewardnadse zurück mit Kritik an seinem Nachfolger. Die Erinnerung an jenen Tag im November 2003, als die sogenannten Rosenrevolutionäre während einer Rede des damals 75-Jährigen in das Parlament eindrangen und das Staatsoberhaupt förmlich aus dem Amt jagten, scheint sich tief in seinem Gedächtnis eingebrannt zu haben. Saakaschwili gilt als autoritär. Die Opposition fühlt sich verfolgt. Erst vor zwei Wochen sorgte die Verhaftung des ehemaligen Verteidigungsministers Okruaschwili für Wirbel. Okruaschwili hatte angekündigt, eine politische Oppositionspartei zu gründen, und zugleich Präsident Saakaschwili des Auftragsmordes beschuldigt, dafür aber keine Beweise geliefert. Drei Tage später wurde Okruaschwili verhaftet - wegen Bestechung. Oppositionspolitiker sprachen von einem Racheakt Saakaschwilis. Ex-Präsident Schewardnadse ist vorsichtig mit derartigen Verurteilungen.

    "Im großen und ganzen ist das wirklich eine Regierung, die nach Grundsätzen der Verfassung gewählt ist und gesetzestreu regiert. Einzelne Kritik kann es geben, aus dem Ausland, auch aus Georgien selbst, aber das heißt nicht, dass die Regierung undemokratisch ist."

    Kritiker werfen Saakaschwili außerdem vor, er habe mit seiner Annäherung an den Westen unnötig die Beziehungen Georgiens zu Russland ruiniert. Auch da nimmt Schewardnadse seinen Nachfolger in Schutz:

    "Georgien braucht gute Beziehungen zu Russland. Aber wir haben uns aus gutem Grund dafür entschieden, die Mitgliedschaft in der Nato und in der EU anzustreben. Georgien ist schließlich ein europäisches Land."

    Eduard Schewardnadse lehnt sich im Sessel zurück. Er weiß, dass sein Rat heute nicht mehr sonderlich gefragt ist und sein Platz in den Geschichtsbüchern ist ihm sicher, auch wenn dort in erster Linie in seiner Rolle als sowjetischer Außenminister gelobt werden wird und weniger als georgischer Staatschef.