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Der vaterlandlose Geselle von der SPD

Er gehörte, über alle provinziellen und lokalen Bezüge hinweg, der Gesamtheit der einfachen und aufstrebenden Menschen - überall in Deutschland.

Von Jens Brüning | 22.02.2005
    Willy Brandt, Ehrenvorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, anlässlich des 75. Todestages von August Bebel.

    Die Arbeiterbewegung in ihren wichtigeren Teilen ist zu einer der großen Freiheitsbewegungen der europäischen, gerade auch der deutschen Geschichte geworden, und dieses bleibt untrennbar mit dem Lebenswerk August Bebels verbunden.

    Bebel wurde am 22. Februar 1840 als Sohn eines preußischen Unteroffiziers in den Festungskasematten von Köln-Deutz geboren. Die Mutter betrieb, um das karge Familieneinkommen aufzubessern, in ihrer Wohnstube eine Suppenküche für die Soldaten. Mit dreizehn Jahren war August Bebel Waise. Bald nach Augusts Drechslerlehre starb auch der jüngere Bruder. Als Zwanzigjähriger ging Bebel nach Leipzig, ein für seine politische Zukunft entscheidender Entschluss: Kurz nach seiner Ankunft lernte er Veteranen der 1848er-Revolution kennen und gelangte über den Gewerblichen Bildungsverein in den Vorstand der Deutschen Arbeitervereine. Daraus wurde später die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands, deren Gründung 1875 in Gotha Bebel maßgeblich vorantrieb. 1890 nahm die SAPD den Namen Sozialdemokratische Partei Deutschlands an.

    Es war der Sozialdemokrat August Bebel, der die soziale Stellung der Frau unter der Herrschaft des Kapitals aufzeigte.

    Marie Juchacz, Mitglied des Reichstages für die SPD und Gründerin der "Arbeiterwohlfahrt", erinnerte im April 1928 an August Bebels publizistischen Bestseller "Die Frau und der Sozialismus". Das Buch war erstmals 1879 erschienen, entstanden während einer unfreiwilligen Pause des unermüdlichen Agitators. Wegen ihrer Haltung zum deutsch-französischen Krieg von 1870/71 waren Bebel und sein Genosse Wilhelm Liebknecht zu Festungshaft verurteilt worden. Sie hatten die Annektion von Elsass-Lothringen scharf verurteilt. Staatsgründer und Reichskanzler Otto von Bismarck bekämpfte sie als "vaterlandslose Gesellen" mit allen Mitteln, schließlich mit Hilfe der "Sozialistengesetze", mit denen er die politischen Gegner aus den Parlamenten heraushalten wollte. Bis 1914 war Bebels Buch, das auch unter dem verschleierten Titel "Die Frau in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft" gehandelt wurde, in neun Sprachen übersetzt worden. Willy Brandt, 1988:

    Sein Bestseller "Frau und Sozialismus", der Hunderttausende erreichte, enthält Irrtümer und Banalitäten, er zeigt jedoch einen politischen Autor, der ein gutes Stück in die Zukunft hinein zu denken wagte und fähig war. Klassenherrschaft, Unterdrückung der Frau, Diskriminierung überhaupt, vor mehr als hundert Jahren im Zusammenhang gesehen und hieraus eine grundsätzlich politische Orientierung abgeleitet zu haben, bleibt allein eine Leistung, die epochal genannt werden darf.

    Als pragmatischer Politiker setzte Bebel, Vorsitzender der SPD von 1892 bis zu seinem Tode 1913, die Ideen von Karl Marx und Friedrich Engels in Alltagshandeln um. August Bebel wurde von seinen Anhängern "Kaiser der Arbeiter" genannt. Ihm war es zu verdanken, dass die Sozialdemokratie im Reichstag an Gewicht gewann. Karl Kautsky, Chefdenker der jungen SPD, lobte seine "meisterhafte Beherrschung und Ausnutzung des Parlamentarismus". Bebel bezeichnete Kaiser Wilhelm II. als "Zugrunderichter der Hohenzollernherrlichkeit". Und: Er war mit einer Rede im Reichstag gegen aggressive Aufrüstungspolitik und wachsende Militärlasten Ursache für einen Ohnmachtsanfall des Reichskanzlers. Der Publizist Harry Pross urteilte anlässlich des fünfzigsten Todestages von August Bebel:

    Er war zweifellos nicht bloß der beste Politiker oder der beste Redner des Reichstags damals, sondern er war der eigentliche Gegenspieler Bismarcks und danach der Gegenspieler dieses verwässerten Bismarckianertums unter Wilhelm II.

    Unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit wurde Bebel im August 1913 in Zürich zu Grabe getragen. Rosa Luxemburg schrieb damals:

    Ich stand lange am Sarge Bebels, er sah wunderbar aus, noch viel schöner als im Leben.