Doch die biographischen Daten verankern das fiktionale Erzählwerk in der Wirklichkeit. Es ist eine große literarische Phantasie über den einsamsten Men-schen der Welt, über Glaubenszweifel, seine Begegnungen mit anderen Ein-samen wie den Dalai Lama, seine kindliche Freude, wenn es ihm gelingt, die Kurienbeamten auszutricksen. Roberto Pazzi – weder entsprungener Priester, noch Vatikaninsider – muss dabei offenbar keine Rechnungen begleichen; ihn interessiert die Entrückung dieses alten Mannes von der Welt, die doch auf sein Wort hört. In Zeiten, da es kaum noch personifizierte Macht gibt, ist das ein gewichtiger, fast ausgestorbener literarischer Topos – der ins Kirchliche gewendete Königsroman. Pazzi geht mit diesem Stoff so ehrfürchtig wie spie-lerisch um. Sein Papst ist keine Karikatur, sondern ein in seiner Hilflosigkeit anrührender Mann, bescheiden in seinen Ansprüchen auf absolute Wahrheiten und menschliche Moral.
Am Ende des Buches holen ihn in einer Sterbehalluzination Joseph und Maria zur langen Reise ins Paradies ab, doch zuvor muss er, das Ende ahnend, einen Brief an seinen Nachfolger schreiben. Wer es sein wird, weiß er nicht; er weiß nur, dass er in seiner fast dreißigjährigen Amtszeit alle Kardinäle berief, die nun das aktive und passive Wahlrecht besitzen. So oder so wird der Erbe ein Geschöpf aus seiner Hand sein. Er wird alles anders machen, um am Ende sei-nes Papsttums dennoch die Tradition fortgeführt zu haben. Denn die Instituti-on besiegt jeden persönlichen Ehrgeiz, das ist ihre Stärke, zugleich die Bot-schaft des Briefes, der eigentlich nur der Selbstvergewisserung des Sterben-den dient.
Warum soll das jemand lesen, ein Nichtkatholik zumal? Weil es ein eindrückli-ches Stück Literatur ist. Halb phantastischer Roman, halb Insiderreport; mal hochreflexives Glaubensbüchlein, mal Kirchensatire, doch immer fair und ohne Häme gegenüber dem Ich-Erzähler mit seinen Nöten.
Roberto Pazzi
Wer das Geheimnis erbt
List Verlag, 272 S., EUR 8,95