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Der vergessene Gulag

Jeder, der in Nordkorea etwas gegen Kim Jong-il oder die Partei unternimmt, kommt in ein Arbeitslager. Und jeder weiß: Wer dort hineinkommt, der kommt nie wieder raus. Deshalb war meine Angst so groß, als ich dort eingeliefert wurde.

Martin Fritz | 15.07.2003
    Wenn sich Kim Young Kook an den Tag erinnert, an dem er ins Lager kam, dann entweicht die Farbe aus seinem Gesicht und seine Stimme wird monoton. Der heute 43-jährige wurde dafür bestraft, dass er trotz seiner privilegierten Position nach China flüchtete. Kim Young Kook hatte zehn Jahre lang als einer von mehreren hundert Leibwächtern des heutigen Machthabers Kim Jong-il gearbeitet – bis er der staatlichen Propaganda nicht mehr glaubte, dass man in Nordkorea besser lebt als im Rest der Welt. Doch die Häscher des nordkoreanischen Geheimdienstes spürten den Flüchtling in China auf, schleppten ihn zurück und wollten ihn exekutieren.

    Kim sollte mit dem Leben davonkommen: In letzter Minute wurde seine Todesstrafe in fünf Jahre Arbeitslager umgewandelt. Er landete im Lager Nummer 15, dem Arbeitslager Yoduk, unterhalten vom Büro Nummer 7 des Staats-sicherheitsdienstes SSA. Die meisten dieser Lager liegen in den kargen Nordprovinzen des Landes. Mit ihren heißen Sommern und sehr kalten Wintern bieten sie für die Häftlinge schlimme Bedingungen. Kim Young Kook:

    Man hat nur einen Satz Kleidung, keine Unterwäsche. Zu Essen gibt es nur ein paar Körner Mais und gesalzenen Chinakohl. Man liegt zu fünfzehn Personen mit Strohmatten auf einem Holzfußboden. Im Winter wird nicht geheizt.

    Die meisten politischen Häftlinge in Nordkorea sind Lebenslängliche, für sie gibt es keine Umerziehung mehr, sie sollen nicht in die Gesellschaft zurückkehren. Der einzige Zweck, sie am Leben zu erhalten, liegt darin, ihre Arbeitskraft bis zum letzten Quentchen auszubeuten. Darauf ist der strenge Tagesablauf im Lager angelegt. Im Sommer um 5 Uhr Aufstehen, im Winter um 6 Uhr. Bereits eine halbe Stunde später müssen die Gefangenen in Fünfer-Gruppen zur Arbeit antreten. Sie müssen Bäume fällen, Holz sägen und hacken, Kohle, Eisen- und Uranerz abbauen, Gold waschen. Oft unter äußerst primitiven Umständen. Darüber hinaus haben sie sich selbst zu versorgen. Allerdings bekommen die Gefangenen keinen Reis, der fruchtbare Böden braucht, sondern leichter kultivierbaren Mais und Kartoffeln, die sie mit dem eigenen Stuhlgang düngen. Die Arbeit dauert normalerweise bis 20 Uhr. Gegen 18 Uhr überprüft ein Wachoffizier die Tagesarbeit. Wer nicht genug geleistet hat, muss Überstunden machen und bekommt die karge Essensration gekürzt.

    Wer sein Arbeitspensum nicht schafft, dem droht man mit Essensentzug. Aber das Pensum ist zu hoch, und das bisschen Nahrung ist zu wenig zum Leben, aber zu viel zum Sterben. Deshalb haben wir Essen in der Küche gestohlen, haben Ratten, Mäuse, Frösche und Käfer gefangen. Tagsüber haben wir heimlich Gras in die Tasche gesteckt und nachts darauf herumgekaut.

    Noch schlimmer als der ewig nagende Hunger ist die ständige Willkür: Die Gefangenen werden eher wie Tiere als wie Menschen behandelt. Der klein-gewachsene Kim Young Kook wirkt müde und abgekämpft, er atmet schwer und sieht viel älter aus als seine 43 Lebensjahre. Er zeigt mir dunkle Flecken an seinen Schienbeinen. Die Narben stammen von Hölzern, mit denen er geprügelt wurde, wenn er nicht genug spurte. Die frühere Gefangene Soon Ok Lee erzählt in ihrem Erlebnisbericht "Augen der schwanzlosen Tiere", wie sie monatelang gefoltert wurde. Die Menschenrechtsorganisation amnesty international behauptet unter Berufung auf Zeugenaussagen, dass Nordkorea Gefangene wochenlang in den sogenannten Schwitzkasten stecke. Ein Verschlag, so klein und so niedrig, dass man darin weder stehen noch liegen könne, was besonders große Qualen verursache. Der ehemalige Lagerinsasse Kang Chol-Hwan beschreibt die Folterkammer in seinem Buch "Die Aquarien von Pyöngyang":

    Der Schwitzkasten zerbricht selbst Menschen mit der stärksten Konstitution. Man kann ihn überleben, aber der Preis ist hoch und seine Folgen sind fast immer dauerhaft. Es ist einfach grausig: Der Nahrungsentzug, das enge Eingesperrtsein, das Kauern auf den Knien, die Hände an den Hüften, bewegungsunfähig. Der Hintern des Gefangenen drückt so unerbittlich auf seine Fersen, dass die Backen schwarz werden vor Blutergüssen. (...) Der Kasten ist völlig dunkel und der Insasse bekommt so wenig zu essen, dass er jede Kakerlake und jeden Tausendfüßler in seiner Reichweite herunterschluckt. (...) Wenn der Gefangene sich erleichtern will, muss er die linke Hand heben. Wenn er krank ist, die rechte. Keine anderen Gesten sind erlaubt, keine andere Bewegung, kein einziges Wort. Praktisch niemand verläßt den Schwitzkasten auf den eigenen Beinen.

    Kang berichtet von dem nordkoreanischen Fußballspieler Park Seung-jin, der den Schwitzkasten überlebte und seitdem den Spitznamen "Kakerlake" trug. Er gehörte bei der Weltmeisterschaft 1966 zu der Mannschaft, die bis ins Viertelfinale stürmte. Zur Strafe für ihr exzessives Siegesgelage wurde offenbar fast das gesamte Team nach der WM in Arbeitslager verbannt. Schlimmer als der Schwitzkasten sei nur die verschärfte Zwangsarbeit, bei der man bis zum Umfallen ununterbrochen schuften müsse, berichtet Kang – mit dem Unterschied, dass der Schwitzkasten automatisch mit fünf Extra-Jahren Zwangsarbeit verbunden sei. Die nordkoreanische Regierung verweist solche Schilderungen ins Reich der Propagandalügen und bestreitet die Existenz von Arbeitslagern. Aber es gibt inzwischen einfach zu viele übereinstimmende Aussagen von Ex-Häftlingen, als dass Nordkorea ihre Schilderungen so einfach als Lügen abtun könnte. Es gibt inzwischen sogar einen ehemaligen Wärter, der die Häftlingsberichte bestätigen kann. Ahn Myong Chol:

    Natürlich wird in diesen Lagern gefoltert. Am meisten wird geprügelt. Oder man benutzt zwei Meter lange Holzbalken, die zwischen die Knie geklemmt werden. Das Blut kann nicht mehr fließen, im Sommer werden die Leute ohnmächtig, manche verlieren ihre Beine. Auch den Schwitzkasten habe ich gesehen. Wir nannten das die Hundehütte. Man kann sich nicht bewegen und nur schwitzen.

    Ahn Myong Chol ist ein heute 33-jähriger, jugendlich wirkender Mann, in seinem grauen Anzug und seiner Bürstenhaarfrisur sieht er aus wie ein öffentlicher Angestellter. Seit einiger Zeit arbeitet er im Büro einer landwirtschaftlichen Genossenschaft am Rand der südkoreanischen Hauptstadt Seoul, auch er ist über China nach Südkorea geflüchtet. Ahn stammt aus einer kommunistischen Kaderfamilie in Nordkorea. Bevor er zum Studium zugelassen wurde, sollte er sich bewähren. Deshalb verschaffte ihm sein Vater die Stelle im Arbeitslager, mit 200 Won Grundgehalt plus Zulagen ein guter Job, so viel verdient auch ein Kampfpilot. Acht Jahre lang arbeitete Ahn in verschiedenen Lagern. Erst als Aufpasser, später als Fahrer. Zuletzt im Lager Nummer 22 in Haengyong, ein Lager für Lebenslängliche, ein Lager, das fast kein Häftling lebend verläßt.

    Auf Fotos eines amerikanischen Spionagesatelliten, veröffentlicht von der Far Eastern Economic Review, dem renommiertesten englischsprachigen Magazin in Asien, sieht sein Lager aus wie ein normales Dorf, das kurz vor der chinesischen Grenze hoch im Norden des Landes in der Provinz Hamgyong liegt. Aber Ex- Wärter Ahn kann auf den Fotos ohne Mühe einzelne Anlagen und Gebäude identifizieren. Die Gedächtnishalle für den verstorbenen Führer Kim Il Sung. Das Theater. Die Baracken der Häftlinge. Das Haft- und Folterzentrum. Der Schwitzkasten. Die Toiletten der Wärter. Das Büro des Lagerleiters. Die Flugabwehrgeschütze unter Tarnnetzen. Das eigentliche Lager ist Teil einer größeren Siedlung mit einer Möbel- und Medikamentenfabrik, einem Schlachthaus und Treibhäusern. Ein schwarzer Fleck auf einem Foto sei das Kohlebergwerk Chungbong, wo die Gefangenen in den Stollen schuften müssten. Es habe lange gedauert, bis er das Unrecht seines eigenen Tuns erkannt habe, gibt Ahn Myong Chol mit fast monotoner Stimme zu:

    Wir haben die Gefangenen nicht als Politische gesehen, sie waren Dissidenten, Gegner, Feinde. Wir wurden so ausgebildet. Wir durften nicht mit ihnen reden. Wir Wärter bekamen jeden Tag zwei Stunden politischen Unterricht, jeweils drei Tage pro Woche waren wie Gehirnwäsche. Wir hatten den Befehl, auf jeden Flüchtenden sofort ohne Rufen zu schießen. Man hat uns versprochen, wenn wir gut aufpassen und einen Flüchtling erwischen, würden wir schneller an die Uni kommen. Die ersten drei Jahre war ich wirklich davon überzeugt, dass die Gefangenen böse sind, und ich war dankbar, dass ich diese Arbeit hatte.

    Das Lager Nummer 22 gehöre zu den größten Lagern, berichtet Ahn. In einem Gebiet von insgesamt 50 Quadratkilometer seien dort bis zu 50.000 Häftlinge eingesperrt. In unregelmäßigem Abständen würden neue Gefangene ankommen, jeweils bis zu eintausend Menschen in acht bis zehn Frachtwaggons. Viele Gefangene würden die harten Haftbedingungen nicht überleben. Allein bei einer Pellagra-Epidemie – das ist eine Vitamin-B-Mangelkrankheit – seien einmal fünftausend Gefangene ums Leben gekommen. Wenn die Wärter Langeweile hätten, würden sie Gefangene mit Fäusten und Gewehrkolben schlagen. Auch daran würde viele sterben. Dann erzählt Ahn Myong Chol von der 26-jährigen Gefangenen Han Jin Deok.

    Ich kann das Schicksal dieser Frau nicht vergessen. Ich habe sie im Frühling 1992 im Lager Nummer 22 kennengelernt. Wegen eines Fehlverhaltens ihres Vaters, er war ein Tierarzt, war sie mit ihrer ganzen Familie ins Lager gekommen. Damals war sie vielleicht vier Jahre alt. Im Lager Nummer zwölf verhungerten ihre Mutter und ihr jüngerer Bruder. Der zweite Bruder starb nach einem Unfall bei der Zwangsarbeit. Als 23-jährige wurde sie von einem Kader der Lagerleitung vergewaltigt. In der Folterkammer haben sie ihr ein glühendes Stück Holz in die Scheide geschoben. Danach musste sie im Kohlebergwerk arbeiten. In einem Tunnel kam es zu einem Unfall. Dabei hat sie beide Beine verloren. 1994 habe ich sie das letzte Mal gesehen, sie hockte auf ihren Beinstümpfen und schälte Mais, die einzige Arbeit, die sie noch machen konnte.

    Solche grausamen Geschichten sind schwer nachvollziehbar und fast schon unglaubwürdig. Sie klingen wie eines der vielen Propganda-Märchen, die Nord- und Südkorea seit Jahren übereinander verbreiten. Der südkoreanische Geheimdienst schärft den Überläufern aus dem Norden in monatelangen Vorbereitungskursen auf ihre neue Heimat ein, was sie erzählen dürfen und was nicht. Möglicherweise stimmen also nicht alle Geschichten und nicht alle Details, die verbreitet werden. Aber: Nur aufgrund dieser nachvollziehbaren Vorbehalte solche Informationen völlig zu verschweigen, wäre noch viel fragwürdiger. Denn historisch unstrittiger Fakt ist: Keine stalinistisch geprägte Ordnung ist je ohne Arbeitslager ausgekommen. Auch lässt die nordkoreanische Regierung weder die Vereinten Nationen noch andere Menschenrechtler ins Land, um die Vorwürfe untersuchen zu lassen. amnesty international durfte 1995 ein angebliches "Rehabilitationszentrum" besuchen. Damals erklärte Nordkorea, es gebe nur drei solche Zentren mit insgesamt eintausend Häftlingen, davon seien 240 aus politischen Gründen inhaftiert. Das sei wenig glaubwürdig, meint der frühere Häftling Kang Chol Hwan:

    Alle Nordkoreaner wissen, wo die Arbeitslager sind. Das soll eigentlich geheim bleiben, aber es hat sich längst herumgesprochen. Allerdings sind einige Lager in den letzten Jahren geschlossen worden, sie waren entweder zu nahe an China, die Insassen könnten leicht über die Grenze entkommen, oder weil amnesty international von dem Lager erfahren hat. Ich schätze, zur Zeit gibt es noch mindestens fünf Lager.

    Die ersten Arbeitslager wurden nach dem amerikanischen Kongreß vorliegenden Unterlagen aus Nordkorea bereits 1947 eingerichtet. Seit einem Putschversuch Mitte der fünfziger Jahre wurden sie in großem Stil betrieben. Die Lager sind entweder unterirdisch versteckt oder wie normale Dörfer angelegt, damit Satelliten sie nur schwer erkennen können. In den Arbeitslagern sollen zwischen 150 und 200 Tausend Menschen eingesperrt sein, die Anlagen umfassen ein Gebiet von bis zu 1.200 Quadratkilometern. Die angeblichen Vergehen ihrer Insassen sind Verschwörung gegen die Staatsmacht, anti-nationaler Verrat, Hochverrat und Terrorismus, nach Ansicht von unabhängigen Juristen beliebig dehnbare Unrechtsparagraphen, die Angst verbreiten und Terror legitimieren sollen. Der Direktor des südkoreanischen Zentrums für Menschenrechte, Jae Jean Suh:

    Es reichen allgemeine Bemerkungen über die nordkoreanische Ordnung, etwa wenn jemand sagt, dass es unter Kim il-Sung, dem Vater des jetzigen Führers, mehr zu essen gab, während sich sein Sohn um nichts kümmert. Oder wenn jemand witzelt, dass Kim Jong-il 'gerne die Frauen genießt’.

    Internationale Menschenrechtler haben Fälle gesammelt, wonach Nordkoreaner ins Arbeitslager kamen, weil sie eine Zeitung mit Fotos von Kim Jong-il zerrissen oder sich darauf gesetzt haben. Die nordkoreanischen Behörden erfahren davon durch ein Orwell’sches System von Bespitzelung. Wenn fünf Nordkoreaner sich treffen, so sagen Kenner wie Jae Jean Suh, dann ist einer von der Polizei, einer von der Partei und einer vom Geheimdienst. Unter den politischen Gefangenen finden sich deshalb völlig Unschuldige, Opfer von Intrigen und Verleumdungen, ebenso wie korrupte Beamte, in Ungnade gefallene Kader, echte Verschwörer sowie Republikflüchtlinge, die in China Kontakt mit Südkoreanern hatten. Im Unterschied zu Stalins Gulag habe Nordkorea den Terror noch zwei Stufen gesteigert, sagt der südkoreanische Beamte Suh:

    Politische Gefangenschaft bedeutet in Nordkorea erstens lebenslange Gefangenschaft, mit Ausnahme weniger Flüchtlinge und Amnestierter entkommt niemand. Zweitens wird häufig die ganze Familie, drei Generationen, in Sippenhaft genommen und ebenfalls in ein Lager verschleppt.

    Nordkorea unterscheidet zwischen zwei Arten von Arbeitslagern, sogenannten völlig kontrollierten Lagern und sogenannten revolutionierten Lagern, so das Weißbuch Menschenrechte der südkoreanischen Regierung. In den völlig kontrollierten Lagern sind die lebenslänglichen politischen Gefangenen eingesperrt, nur ganz wenige Häftlinge haben ein solches Lager je verlassen, entweder durch massive Bestechung, durch Flucht oder durch eine Amnestie. Aber die meisten Insassen sterben an den Folgen ihrer Ausbeutung, Mißhandlung und Vernachlässigung. Sie verbluten, sie verhungern entkräftet, sie erfrieren. Sie sterben an Schwindsucht, Lungenentzündung und der Vitamin-B-Mangelkrankheit Pellagra. In den revolutionierten Lagern leben Häftlinge, die man politisch umerziehen will und die bei guter Führung eine kleine Chance auf Entlassung haben. Die Familien solcher Häftlinge werden häufig ebenfalls ins Lager gebracht, auch wenn sie nicht immer unter einem Dach leben.

    Zum Beispiel der bereits erwähnte Kang Chol Hwan. Er war neun Jahre alt, als er ins Lager musste. Sein Großvater hatte eine hohe Position in der Regierungsbürokratie, als er über Nacht für immer verschwand. Sein kleiner Enkel Chol-hwan wurde zusammen mit der Schwester, dem Vater, dem Onkel und der Großmutter in das Lager No. 15 in Yodok eingeliefert, weil der Großvater angeblich "Hochverrat" begangen habe. Zehn Jahre lang wurde das Arbeitslager zur Welt seiner Kindheit, die Mutter sollte er viel später wiedersehen. Auch die Kinder mußten Zwangsarbeit leisten, erzählt Kang:

    Ich hatte damals keine feste Aufgabe. Mal musste ich im Goldbergwerk arbeiten, mal auf dem Feld, mal als Holzfäller im Wald. Dabei hat man keinen Unterschied gemacht, ob ich neun Jahre alt war oder ein Teenager. Alle mußten arbeiten, denn als politischer Gefangener in Nordkorea hat man keine Menschenrechte mehr, wer nicht arbeitet, wird hingerichtet.

    In seinem Erfahrungsbericht "Die Aquarien von Pyöngyang" schildert Kang Chol-hwan die endlosen Tage im Lager mit zehn Stunden Zwangsarbeit und zwei Stunden politischem Unterricht. Bei der Umerziehung mußten sich die Lagerinsassen stundenlang gegenseitig kritisieren, ihnen wurden Artikel aus der Parteizeitung "Rodong Sinmun" vorgelesen, sie mußten Loblieder auf den "Geliebten Führer" Kim il-sung singen. Aber Kang ließ sich schon bald nicht mehr überzeugen. Erst habe er seinen Großvater für sein Schicksal verantwortlich gemacht, schreibt er. Zitat:

    Aber bald begann ich zu begreifen, dass Kim und sein Regime die wahren Verursacher meines Leidens waren. Sie waren für dieses Lager verantwortlich, sie füllten es mit unschuldigen Menschen. In meiner Kindheit war Kim il-sung wie ein Gott für mich. Nach ein paar Jahren im Lager war ich von diesem Glauben geheilt. Meine Mitgefangenen und ich waren die missratenen Schafe der Revolution, und die Methode der Partei, uns wieder in den Pferch zu treiben, war, uns bis zum Tod auszubeuten. Die Propaganda, die Nordkorea als ein Paradies des Volkes verherrlichte, fand ich nur noch ekelhaft.

    Auch Kim Young Kook, der frühere Leibwächter von Kim jong-il, hat sich durch das Arbeitslager nicht in einen Anhänger des Kimismus verwandelt. Zwar wird er nach vier Jahren tatsächlich wieder entlassen, aber seine Existenz ist vernichtet. Sein Haus hat man in der Zwischenzeit dem Erdboden gleichgemacht, seine Frau hat sich von ihm scheiden lassen, der Chef der örtlichen Geheimpolizei hat sie vergewaltigt. Seine Verwandten sind verschwunden, seine neue Unterkunft wird abgehört. Als die Polizei erfährt, dass er in seiner Verzweiflung wieder die Flucht nach China plant, will sie ihn erneut verhaften. In letzter Sekunde kann Kim Young Kook seinen Häschern entkommen, sonst wäre er wieder im Arbeitslager verschwunden – dieses Mal sicher für immer.