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Der wahnsinnige Kaiser

Das Geschichtsbild des römischen Kaisers Caligula ist geprägt von Schilderungen über Prunksucht und Grausamkeit gegenüber dem politischen Gegner. Heute ist umstritten, inwieweit die Darstellung eines wahnsinnig gewordenen Herrschers über das mächtige Weltreich der Antike zutrifft. Vor 1965 Jahren wurde Caligula ermordet.

Von Tobias Mayer | 24.01.2006
    "Selbst wenn Caligula sich erholte und dem Spiel und Essen hingegeben war, trat die Grausamkeit seiner Handlungen zutage. Oftmals wurden vor seinen Augen, während er frühstückte oder zechte, strenge Verhöre unter Foltern durchgeführt, und ein besonders geschickter Soldat schlug allen, die aus dem Gefängnis geholt wurden, die Köpfe ab."

    Die Kaiserbiografien des römischen Geschichtsschreibers Suetonius sind eine der Hauptquellen für das Leben und Wirken Kaiser Caligulas. Wie viel Wahrheit in diesen Zeilen steckt, ist unter Historikern heute umstritten.

    "Er erdachte... die absonderlichsten Speisen und Mahlzeiten, trank in Essig aufgelöste sehr kostbare Perlen und bot bei Gelagen Brot und Zukost aus Gold an. […] Für sein Pferd Incitatus… stiftete er außer einem Marmorstall und einer elfenbeinernen Krippe, außer Purpurdecken und Halsbändern aus Edelsteinen auch ein Haus mit Dienerschaft und allem Gerät, damit die in seinem Namen eingeladenen Gäste möglichst vornehm bewirtet würden. Auch ein Konsulat soll er dem Pferd zugedacht haben."

    Den größten Teil seiner Kindheit hatte Caligula mit seinem Vater, dem beliebten Feldherrn Germanicus, in römischen Lagern am Rhein verbracht. Seine Mutter soll den kleinen Gaius in eine Art Miniuniform der römischen Legionäre gesteckt haben, um den einfachen Soldaten zu schmeicheln. Nach den Soldatenstiefelchen, die das Kind trug, bekam es seinen Spitznamen Caligula, der ihm sein Leben lang anhing. Als Kaiser Tiberius im Jahr 37 starb, stützte die Prätorianergarde den erst 24-jährigen Caligula als Thronerben. Noch einmal der römische Geschichtsschreiber Suetonius:

    "Caligula ließ die Wünsche des römischen Volkes in Erfüllung gehen. Für den größten Teil der Provinzbewohner und der Soldaten - denn sie hatten ihn ja meist schon als Kind gekannt - war er der willkommene Herrscher, aber auch für die gesamte Bevölkerung der Stadt Rom, wegen der lebendigen Erinnerung an seinen Vater Germanicus."

    Das Volk liebte den jungen Kaiser. Caligula senkte die Steuern und veranstaltete Wagenrennen und Gladiatorenkämpfe. Er erweiterte die kaiserlichen Paläste auf dem Palatin und baute ein neues Stadion. Doch die Stimmung in der römischen Aristokratie begann bald umzuschlagen. Caligula ließ alle potenziellen Herrschaftskonkurrenten umbringen. Seine Verschwendungssucht und sein ausschweifendes Leben sollten den Machtanspruch demonstrieren. Die brutalen Herrschaftsmethoden wendeten sich schließlich gegen den Kaiser selbst. Angehörige der Prätorianergarde, die Caligula zum Thron verholfen hatte, ermordeten ihn auch, nach nur vier Regierungsjahren am 24. Januar 41.

    Doch wie entstand danach in der Literatur das Bild eines psychisch kranken Wahnsinnigen? Der Freiburger Historiker Aloys Winterling hat sich in einer neuen Biografie über Caligula mit dieser Frage auseinandergesetzt.

    "Seneca ist der erste, der wenig später in seinen Schriften vom Wahnsinn, von furor und insania des Caligula spricht. Wenn man sich die Textstellen etwas genauer anschaut, stellt man allerdings fest: Er gibt dabei kein psychologisches Urteil ab, sondern wirft dem toten Kaiser hasserfüllt tyrannisches Verhalten und Vernichtung der Freiheit vor... 'Wahnsinn' wird als Schimpfwort benutzt, um Unmoral und Durchbrechung aller aristokratischen Konventionen zu geißeln."

    Der bereits zitierte Suetonius und jüngere Historiker waren es, die das Bild eines psychisch kranken Kaisers formten. Schon Tacitus, der dem gleichen literarischen Zirkel wie Suetonius angehörte, beschrieb zu Beginn seiner "Annalen", dass er manche seiner schreibenden Kollegen für tendenziös hält.

    "Nun ist des frühen Römervolkes Glück oder Unglück von berühmten Geschichtsschreibern dargestellt worden; auch mit der Schilderung der Zeit des Augustus haben sich glänzende Talente gerne befasst, bis sie die überhand nehmende Kriecherei davon abbrachte: des Tiberius und Caligula wie des Claudius und Nero Taten sind zu ihren Lebzeiten aus Furcht verfälscht, nach ihrem Tod mit frischem Hass niedergeschrieben worden."

    So kam es, dass der Historiker und spätere Friedensnobelpreisträger Ludwig Quidde in seiner Analyse der sprichwörtlichen "Zustände wie im Alten Rom" Ende des 19. Jahrhunderts den Begriff des "Cäsarenwahnsinns" prägte. Viele Künstler fühlten sich im 20. Jahrhundert durch die Beschreibungen Quiddes inspiriert. Der französische Schriftsteller Albert Camus schrieb ein Drama und ein Hörspiel namens "Caligula". Und als Klassiker des erotischen Gruselkinos gilt heute der gleichnamige Film des italienischen Regisseurs Tinto Brass.