Donnerstag, 18. April 2024

Archiv


Der Weg des Umweltschützers

Für Freunde des Extremsports und Menschen, die von Heldenmut träumen, ist "Weißes Wasser" von Tim Parks ein Muss: Vordergründig handelt es sich um einen Actionthiller über einen einen Kajakurlaub in den Alpen. Doch der Fluss wird als ein Feld der Bewährung beschrieben: Es geht um die Ohnmacht des Einzelnen im politischen Weltgetriebe, die Suche nach Männlichkeit, den Lebensverdruss in den westlichen Sicherheitsgesellschaften und die Zerstörung der Umwelt.

Von Brigitte Neumann | 05.05.2005
    Prallpolster, Nassbiber, Eskimorolle - Tim Parks neuer Roman "Weißes Wasser" bereichert den Wortschatz des Kajaksport-Laien um einiges Fachvokabular. Der englische Autor mit Wohnsitz in Italien ist seit zehn Jahren begeisterter Wildwasser-Kanute und weiß, wovon er berichtet.

    " In Verona haben wir einen kleinen Fluss - nichts aufregendes - aber man kann ein wenig Slalom Fahren. Das mache ich zwei bis drei Mal die Woche eine Stunde und dann im Sommer mache ich zwei bis drei größere Touren, wovon eine was Ernsteres ist. Und dieses Projekt, darauf freue ich mich das ganze Jahr, ich weiß, ich werde diesen Trip machen und es wird wieder aufregend."

    In diesen langen Jahren der ständigen Praxis ist in Parks offenbar die Gewissheit gereift, der wilde Gebirgsfluss sei eines der letzten Bewährungsfelder der Männlichkeit. Ausgehend von dieser Idee hat er seinen Helden Clive gestaltet, einen - die Engländer haben dafür das Wort "Ecowarrior" - militanten Kämpfer für Naturschutz. Mit seiner italienischen Freundin Michela baut sich Clive im Südtiroler Bozen eine Existenz als Führer von Kajakurlauben auf. Seine erste Gruppe sind 13 Engländer, eine seltsames Häuflein aus Teenagern, Witwern und Geschiedenen. In den Pausen zwischen den täglich schwieriger werdenden Touren auf der anschwellenden Eisach versucht Clive, seine Kunden ein wenig zu agitieren. Die Folgen der Klimaerwärmung sind in diesem heißen Sommer gerade in den Alpen deutlich sichtbar. "Wir paddeln inzwischen auf Jahrtausende altem Schnee, auf dem Wasser der Schneestürme aus dem Mittelalter", warnt Clive.

    " Er ist ein Mann, der intensiv fühlt, dass in der Welt Dinge passieren, denen keiner Aufmerksamkeit zollt. Und ein Mann, der nach seinem Kurs sucht. Der Weg des Umweltschützers ist ein moralisch einwandfreier Weg, außerdem einer, dem er schon von Berufs wegen sehr nahe steht. Ich interessiere mich für Leute, die in der Lage sind, eine politische Position nicht nur verbal zu vertreten, sondern auch leidenschaftlich dafür zu kämpfen. Denn auch ich habe eine sehr dezidierte politische Meinung was das Umwelt-Thema angeht.

    Wie viel Sympathie ich für Clive hege, das ist mir selbst nicht so ganz klar. Jedenfalls: Vor 200 Jahren wäre er einer der Pioniere in Amerika gewesen. Damals hätte es noch einen Betätigungsfeld für seine Energien gegeben. Vor 100 Jahren wäre er vielleicht noch in der britischen Armee in Indien gewesen. Aber heute, wo wir alle ein viel größeres politisches Bewusstseins haben, was macht ein solcher Mann heute? Sicherlich würde er sich heute nicht im Irak aufhalten!

    Ich habe da ein Gefühl der Traurigkeit, was den Mut dieses Mannes angeht. Einerseits sein wunderbares Engagement für die Natur. Aber mit dem ganzen demokratischen Bewusstsein, das er hat, kann er wirklich nicht sehen, wie sein Handeln irgend etwas verändern könnte. Die Verhältnisse sind ein Hohn auf seinen männlichen Tatendrang."

    In einem Erklärstück zu "Weißes Wasser" in der englischen Tageszeitung "The Guardian" schrieb Tim Parks:

    " Ungeübt im körperlichen Kampf, dabei gleichzeitig dauernd Konsument solcher Szenen im Kino oder Fernsehen, fühlt sich der westliche Mann unbehaglich bei dem Gedanken, sich unter extremen Bedingungen nicht helfen zu können. Er hat sowohl Angst vor extremen Erfahrungen, fühlt sich von ihnen aber auch unwiderstehlich angezogen. Er würde eine Gelegenheit, Heldenmut zu beweisen begrüßen, möchte sich dabei aber auf keinen Fall zum Deppen Anderer machen."

    Als Clive merkt, dass die Truppe englischer Kajak-Urlauber seinen umweltpolitischen und Anti-Globalisierungs-Ideen einfach nicht folgen will, beschließt er allen Freuden zu entsagen, verordnet er sich gar das Zölibat und teilt seiner Freundin und Geschäftspartnerin Michela mit, diese Welt sei zu schlecht für ihre Liebe. Er opfert die Beziehung angeblich höheren politischen Interessen. Aber natürlich kann man es auch andersherum sehen. Clive hat Angst vor einer Zukunft an der Seite dieser von Tim Parks als sinnlich-sportliche Ausnahmeerscheinung beschriebenen Frau und sucht verzweifelt nach einem Ausweg in einen der wenigen verbliebenen rein männlichen Fluchträume: politisches Heldentum.

    Tim Parks hat die Entwicklung Clives mit den Ereignissen in der 13-köpfigen Gruppe von Kajak-Enthusiasten kontrastiert. Die haben ganz andere Sorgen. Jeder von ihnen erhofft sich den ganz privaten Turn-around durch diesen gefährlichen, anstrengenden, entbehrungsreichen Urlaub. Jeder erwartet als Trophäe am Ende: Das Gefühl, wirklich am Leben zu sein. "Schmeißt mich in die Stromschnellen, und ich zeig euch, was ich kann!" ruft der19-jährige Philipp. Tim Parks:

    " Das erste Mal, als man mir sagte, ich solle mein Boot kentern lassen, und als ich dann mit dem Kopf in dem eiskalten Wasser hing, das war, als wäre auf einen Schlag mein ganzes vorheriges Leben ausradiert. Ich ging ins Dunkel, aber mein Geist hellte sich plötzlich auf. Ich war total gegenwärtig. Denn ich wusste, ich muss jetzt gleichzeitig und ganz schnell denken und handeln.

    Wissen Sie, den Griechen war klar, dass der Athlet eine Art Heiliger ist, wegen seiner Fähigkeit zu physischer und geistiger Intensität. Wenn man da unter Wasser hängt, eingesperrt in ein hautenges Boot, weißt man genau, was damit gemeint ist.

    Wenn man sich in der modernen Welt beweisen will, sich mental und körperlich in Situationen bringen will, die Mut erfordern, dann muss man wirklich aus seiner gewohnten Lebensbahn heraustreten. Also weg von Büro, Familie und so. Obwohl es auch da Bereiche gibt, die großen Mut erfordern, wie zum Beispiel Kinder in die Welt zu setzen. Aber all das bringt nicht den Stimulus, der im menschlichen Leben vor 200 oder 300 Jahren gelegentlich vorherrschte. Deshalb diese Sehnsucht der Menschen, die überversichert auf ihre Pension hin leben, nach ein bisschen Gefahr. "

    Der Fluss als Feld der Bewährung: Als würde er der Tragfähigkeit seiner Theorie hinter dem Roman nicht ganz trauen, lässt Tim Parks seine schöne Heldin Michela die wichtigsten Worte des Romans sprechen:

    " Ich glaube, dass viele der Leute, die sich auf dem Fluss in Gefahr bringen, Angst haben. Das klingt komisch, aber ich bin ziemlich sicher, es ist so. Angst vor dem Sterben, Angst davor, sich niederzulassen. Angst, das Leben könnte anfangen, und Angst, dass es niemals anfangen wird. Solche Sportarten sind etwas, das man macht anstatt zu leben. ... Das ist das, was die Menschen wirklich wollen. Drachenfliegen, Tiefseetauchen. Spüren, dass man lebendig ist, ohne Gefahr zu laufen, wirklich leben zu müssen."

    Für Freunde des Extremsports und Menschen, die von Heldenmut träumen, ist "Weißes Wasser" von Tim Parks ein Muss: Ein Actionthriller mit klugen Einlassungen zum Thema. Es geht um die Ohnmacht des Einzelnen im politischen Weltgetriebe, die Suche nach Männlichkeit, den Lebensverdruss in den westlichen Sicherheitsgesellschaften.

    Den Belletristikgourmet stören die stilistischen Tiefschläge, wie zum Beispiel eine Beschreibung Clives mit den Worten: "Sein attraktives Gesicht sah betrübt aus." Sowie die sorglos scherenschnittartige Zeichnung der Figuren. Wie man sich einen strammen Grünen vorstellt, trägt Clive Bart, hat stahlblaue Augen, ist von einer urtümlichen, ungebärdigen Männlichkeit und manövriert sein Kajak stets geschickt durch die reißenden Flüsse der Tiroler Alpen. Michela, seine italienische Freundin, hat das Format einer Lara Croft, aber die Seele einer Melancholikerin.

    Beide sind zu sehr Comic, um echt zu wirken. Neben Clive und Michela hatte der Autor noch weitere 13 Charaktere in einem krisenhaft zugespitzten Moment ihres Lebens zu illustrieren - es ist auch da eher bei der Skizze geblieben.

    Und der Fluss, bei Tim Parks Sinnbild des ursprünglichen Lebens, er sollte die jeweilige persönliche Wahrheit zutage bringen. Das hat er nicht geschafft.