Freitag, 29. März 2024

Archiv


Der Weihnachtsbaum als Politikum

In einer Sozialwohnsiedlung nördlich von Kopenhagen hat die Mietervertretung mit Mehrheit der muslimischen Mieter gegen das Aufstellen eines Weihnachtsbaumes im Hof gestimmt. Die Boulevardmedien legten die Entscheidung als Angriff auf dänische Traditionen aus, der Fall schlug Wellen bis in die Politik. Inzwischen steht der Baum.

Von Miriam Arndts | 04.12.2012
    Die Bewohner der Wohnanlage Egedalsvænge stehen vor der Turnhalle Schlange. Auf einer außerordentlichen Versammlung wollen sie einen neuen Vorstand ihrer Mietervertretung wählen. Wegen seiner Entscheidung gegen einen Weihnachtsbaum auf dem Gelände der Wohnanlage steht der amtierende Vorstand in der Kritik. Nicht nur bei einem Teil der Anwohner der Siedlung, sondern in ganz Dänemark. Die Polizei fürchtet an diesem Abend Auseinandersetzungen und hat Einsatzkräfte in die Sozialbausiedlung 30 Kilometer nördlich von Kopenhagen geschickt hat. Das dänische Fernsehen überträgt live und sogar ein Kamerateam aus Russland ist angereist, um über die Weihnachtsbaumposse in Dänemark zu berichten.

    "Ich finde es albern, dass die dänischen Medien das aufgeblasen haben zu etwas, das es gar nicht ist. Es geht um einen blöden Weihnachtsbaum, über den ein Vorstand demokratisch abgestimmt hat und jetzt werden die ganzen Kulturchristen sauer, weil sie keinen Weihnachtsbaum kriegen und tun so, als wäre das ein Krieg zwischen Muslimen und Christen."

    John ist 28 Jahre alt und wohnt schon sein ganzes Leben lang in einem der Wohnblöcke im Egedalsvænge. Er bezeichnet sich selbst als Atheisten, ist aber sowohl mit Christen als auch Muslimen aus der Wohnanlage befreundet. Die meisten, mit denen er über die Weihnachstbaumaffäre gesprochen habe, lachen darüber, sagt John.

    Tatsächlich ist unter den Anwohnern an diesem Abend keine Anspannung zu spüren. Der gebürtige Türke Mehmet begrüßt fast jeden, der zur Vorstandswahl in die Turnhalle kommt, mit Handschlag. Er ist für den Weihnachtsbaum, den habe es bislang schließlich jedes Jahr gegeben, sagt er. Die Schlagzeilen der dänischen Boulevardmedien zeichnen ein anderes Bild von der Situation in Egedalsvænge. Von einer "Weihnachtskrise" ist die Rede und von Muslimen, die "Weihnachten abschaffen" wollen. Ein großes Ärgernis ist für viele, dass dieselbe Mietervertretung, die gegen den Weihnachtsbaum und das Adventsfest gestimmt hat, zuvor ein großes Id-Fest, das muslimische Fest des Fastenbrechens, bewilligt hat. Auch diese Bewohnerin macht das wütend.

    "Die kommen einfach an und streichen uns unser Weihnachten. Die wollen zeigen, dass sie jetzt das Sagen haben."

    Die - das sind "die Ausländer", wie sie sagt. Die seien hier jetzt in der Mehrzahl. Damit hat sie recht. Egedalsvænge hat einen hohen Migrantenanteil und etwa 60 Prozent der Anwohner sind Muslime. Dieses Verhältnis zeichnet sich auch in der Mitgliedervertretung ab mit fünf Muslimen und vier Nicht-Muslimen. Die Entscheidung gegen den Weihnachtsbaum ist also eine demokratische. Dennoch wollten viele Dänen sie nicht akzeptieren. Im dänischen Parlament forderten konservative und liberale Abgeordnete den Kulturminister Uffe Elbæk auf, sich in den Streit um den Weihnachtsbaum einzuschalten. Dies lehnte der linksliberale Elbæk mit der Begründung ab, dass sich Traditionen im Laufe der Zeit nun einmal veränderten und dass er sich ohnehin nicht in lokale Angelegenheiten einmische.

    Die Weihnachtsbaumaffäre erhitzt aber nicht nur die konservative Gemüter. Auch die sozialdemokratische Integrationsministerin Karen Hækkerup schreibt auf ihrer Facebook-Seite, die Bewohner sollten den Wunsch nach einem Weihnachtsbaum nicht aufgeben. Der integrationspolitische Sprecher der Sozialdemokraten im dänischen Parlament, Jacob Bjerregaard, erklärt die Ansicht der Ministerin und seine eigene so:

    "Diese Mehrheit in dem Vorstand vermiest ja vielen hier im Land die Stimmung, indem sie an einer dummen Entscheidung festhalten. Es gibt ja eine Diskussion in unserer Gesellschaft über Migranten, die nach Dänemark kommen, und die dänische Kultur nicht anerkennen. Diese Diskussion wird in Dänemark ja schon lange geführt, aber auch in anderen europäischen Ländern."

    Ein Mitglied der Mietervertretung Egedalsvænge, das nicht aufgenommen werden möchte, erzählt eine andere Version der Weihnachtsbaum-Geschichte. Die verantwortliche Person hätte sich spontan zurückgezogen, ohne eine Vertretung zu finden. Die muslimischen Mitglieder seien nie gegen einen Weihnachtsbaum gewesen, wollten nur nicht selbst die Verantwortung für das Adventsfest und das Aufstellen des Baumes übernehmen.

    Fünf Stunden nach Beginn des Anwohnertreffens ist ein neuer Vorstand gewählt. Das Verhältnis ist das gleiche wie zuvor - fünf Muslime, vier Nicht-Muslime. Trotzdem fällt ihnen die Einigung diesmal leichter: Zwei Tage später steht ein riesiger Weihnachtsbaum im Hof von Egedalsvænge.