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Der Wille zur Gangstermacht

Es gibt nicht nur Schwarz und Weiß, sondern überwiegend Grautöne. Und genau das wolle er mit seinem ersten Spielfilm zeigen, sagt Regisseur Özgür Yildirim. "Chiko" ist ein Gangsterfilm und ein Drama über Jugendgewalt und Drogen zugleich.

Von Josef Schnelle | 13.04.2008
    Warum gibt es eigentlich kein Genrekino aus Deutschland, und vor allem keinen "Film Noir", keine Gangsterfilme aus dem Dickicht der Großstadt in der Tradition der "Schwarzen Serie", schließlich stammt das Grundkonzept des amerikanischen Genrekrimis von Emigranten aus Deutschland wie Fritz Lang, Edgar G. Ulmer und Billy Wilder.

    Keine Verbrechen mehr in Deutschland? Oder mangelnder Stilwille der deutschen Filmregisseure? Tatort im Fernsehen genügt? Doch da ist ja meist der Kommissar der Held und die Verbrecher werden stets gefasst und bestraft. Nein, so geht das nicht. Schließlich ist der Gangsterfilm - man denke nur an Francis Ford Coppolas Paten - das Königsdrama des Kinos. Aufstieg und Fall. Tragödie und tiefer Sturz. Hochmut und Gier, Eitelkeit, Hörigkeit und andere Charakterdefekte sind schuld.

    Gute Gangsterfilme sind präzise Charakterstudien und auch zeitgeistabhängige traumatische Erfahrungen spielen eine Rolle, damit der Taxi-Driver sich in der grausamen Wirklichkeit der Mean-Streets, des Milieus der Straße, behaupten kann. Soviel filmhistorischer Rückblick muss sein um ermessen zu können, was es bedeutet, dass plötzlich ein Gangsterfilm aus deutschen Landen auftaucht. Drogenreviere werden abgesteckt und neu verteilt. Es geht um viel Geld und um mehr.

    Chiko und sein Kumpel Tibet wollen, wie sie denken, hoch hinaus, die Hamburger Unterwelt ist ihnen da gerade klein genug. Es soll schnell gehen, eine Koksspur gibt das Tempo vor. Chiko hat das Konzept im Kopf. Er will direkt mit den nächsten greifbaren Big Boss verhandeln, ganz schnell ganz viel Geld verdienen und sich eine Position in dieser Halbwelt erkämpfen. Seiner Freundin, der Prostituierten Meryem erklärt er am Rande der Komik worum es geht: um "Respekt":

    Regisseur Özgur Yildirim hat keinen Film über den Multi-Kulti-Untergrund drehen wollen und dass er unter die Fittiche des deutsch-türkischen Produzenten Fatih Akin schlüpfte hat auch nichts weiter zu bedeuten. Eher erinnert sein Film über den Willen zur Gangstermacht an Deltev Bucks leider verkanntes Bubenstück "Knallhart". Irgendwann, das ahnt man schon gleich - wird Chiko vor seiner Nemesis stehen. Was soll schon ein Verbrecherboss von seinem neuen Adepten verlangen, wenn nicht den Freundesverrat. Tibet hat - scheiße gebaut - und Moritz Bleibtreu, inzwischen die ständige Dauerbesetzung der Rolle "Gangsterboss" weiß was er will: die ganze Seele des Schülers, alles was der teuflische Pakt so zu bieten hat.

    Chiko ist weiß Gott kein perfekter Film. Er zeigt aber dass man die Genretradition des deutschen Films wiederbeleben könnte. Mit guten und berührenden Geschichten von den kleinen Königen der Unterwelt. Der Film wirkt oft unbeholfen, noch häufiger grenzenlos verkitscht. Meistens aber wird der tiefe Fall in die düstere Welt der Gangsterkarrieren abgefedert durch öffentlich-rechtliche politische Korrektheit. Filme sind aber keine politischen Verlautbarungen und den Wildwuchs der Genre-Grausamkeit muss man schon erlauben, wenn man ein Kino haben will, das düster ist nicht vom Dunkel der Nacht allein. So hat einst Raymond Chandler das Krimi-Genre und dessen Filmvarianten der "Schwarzen Serie" einst definiert. Mehr davon und ohne Rückversicherung. Was wäre schließlich da Theater der Menschheit ohne dessen dunklen Doppelgänger des Verbrechens.