Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Der Woolrec-Skandal
Giftmüll in mehreren Millionen Ziegeln

Die Recycling-Firma Woolrec ist zwar bereits 2012 geschlossen worden, weil das dort hergestellte Granulat "Woolit" - eine Beimischung für die Ziegelsteinherstellung - krebserzeugende Stoffe enthält. Jetzt zeigt sich, auch giftige Schwermetall-Abfälle wurden "Woolit" beigemischt und europaweit millionenfach in Ziegelsteinen verarbeitet. Die Opposition im hessischen Landtag fordert Aufklärung.

Von Ludger Fittkau | 29.07.2015
    Ein Firmenschild auf einem Gebäude der inzwischen geschlossenen Firma Woolrec im mittelhessischen Braunfels-Tiefenbach.
    Ein Firmenschild auf einem Gebäude der inzwischen geschlossenen Firma Woolrec im mittelhessischen Braunfels-Tiefenbach. (picture alliance / dpa / Arne Dedert)
    Vier Ziegeleien in Deutschland sollen zwischen 2003 und 2012 krebserregende Stoffe von der inzwischen stillgelegten hessischen Recycling-Firma Woolrec bezogen haben. Sie mischten beim Ziegelbrennen das Granulat der Firma bei, in dem krebserregende Substanzen aus gemahlenen Dämmstoffen und auch Schwermetalle entsorgt wurden. Das zeigen Recherchen eines Reporter-Teams des Hessischen Rundfunks.
    Mehrere Millionen dieser Ziegelsteine sollen europaweit verbaut worden sein. Im ARD-Fernsehen äußerte sich jetzt Dirk Walter, Gefahrstoffexperte der Uniklink Gießen zu der Gesundheitsgefahr, die von den Ziegelsteinen ausgeht: "Das bedeutet zunächst einmal für die Arbeiter, nehmen wir mal das Baugewerbe, es wird eine Wand gemauert, das ist das solange unkritisch, solange nicht die Ziegel auseinandergeschlagen werden oder mit einer Flex geschnitten werden. Solange die Ziegel an sich beständig unverarbeitet eingebaut werden, ist es unkritisch. Kritischer sehe ich das, wenn hinterher die Leute Löcher bohren, um ihr Bild aufzuhängen. Oder, was viel gravierender ist, wenn irgendwelche Schlitze für Elektroinstallationen, wenn das unter Putz gemacht wird, da wird natürlich das Material frei."
    Das Regierungspräsidium in Gießen, das die Verarbeitung des belasteten Materials bis 20012 genehmigt hatte, sieht aktuell "keine konkrete Gefahr der Faserfreisetzung", die von den fertigen Ziegelsteinen ausgehe. Die Opposition im hessischen Landtag fordert jedoch von der grünen Landesumweltministerin Priska Hinz zügige und umfassende Aufklärung zu den Rechercheergebnissen der ARD. Timon Gremmels, umweltpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion: "Aus meiner Sicht ist durch die Recherche deutlich geworden, dass der Skandal um Woolrec noch längst nicht beendet ist. Ministerin Hinz hat ja versucht, den Skandal für beendet und aufgeklärt zu betiteln. Das ist nicht der Fall. Im Gegenteil, es sind noch viele Fragen offen. Wir erwarten von der Ministerin, dass sie umgehend die Fragen beantwortet und nicht immer nur, wenn was Neues aufkommt, scheibchenweise reagiert, sondern den Skandal vollumfänglich aufklärt."
    Ausstellungsraum der hessischen Firma Woolrec
    Ausstellungsraum der hessischen Firma Woolrec (Peter Kolakowski)
    Die grüne Umweltministerin Priska Hinz reagierte mit einer schriftlichen Stellungnahme. Darin verweist sie darauf, dass das Gießener Regierungspräsidium vor gut zehn Jahren bei der Erstellung der Gutachten zur Ziegelherstellung mit Woolrec-Recycling-Material keinen Anlass gehabt habe - so wörtlich - "an der Fachkompetenz und Seriosität des Gutachters zu zweifeln." Diese Einschätzung habe sich erst ein knappes Jahrzehnt später geändert und letztlich zur Schließung des Betriebes geführt, so die grüne hessische Umweltministerin.
    Gutachten ohne fundierte wissenschaftliche Ergebnisse
    In der aktuellen ARD-Dokumentation zum Fall kommt Dr. Michaela Schleifer zu Wort. Die Wiesbadener Expertin für Elektronen-Mikroskopie äußert sich zu den Gutachten, die der damaligen Genehmigung der Ziegelproduktion mit Woolrec-Material zugrunde lagen: "Alle diese Gutachten, die ich dort gesehen habe, sind von meinem Standpunkt aus keine ordentlichen wissenschaftlichen Gutachten. Weil dort mehrere Informationen fehlen, mehrere Sachen überhaupt nicht berücksichtigt sind und damit auch keine wirklich fundierten wissenschaftlichen Ergebnisse herauskommen."
    In Anbetracht dieser aktuellen Berichterstattung habe sie das Gießener Regierungspräsidium um weitere Informationen zu dem Sachverhalt gebeten, teilt Umweltministerin Priska Hinz ebenfalls schriftlich mit. Die SPD im hessischen Landtag hat der Ministerin inzwischen einen Fragenkatalog zu den neuen Facetten des Woolrec-Skandals zukommen lassen. Verbunden mit einer Fristsetzung: Die Ministerin soll die Fragen bis Freitagmittag beantworten.