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Der zensierte Maskenball

Es kann vorkommen, dass ein Kunstwerk großen Erfolg hat, obwohl der Urheber gar nicht damit zufrieden ist. Das geschah auch vor 150 Jahren, als nach einer komplizierten Entstehungsgeschichte Giuseppe Verdis Oper "Ein Maskenball" uraufgeführt wurde. Im Vorfeld hatten Zensurbehörden das Stück bis zur Unkenntlichkeit verändert.

Von Dietmar Polaczek | 17.02.2009
    In dieser dreißig Jahre alten Aufnahme von Verdis "Ballo in maschera" heißt es: "S'avanza il conte" - der Graf tritt herein. Das seit der Uraufführung am 17. Februar 1859 in Rom. Doch der Tenor José Carreras ist eigentlich kein Graf, sondern ein König. Damit sind wir mitten in der Tragikomödie - nicht der Oper, die mit einem Mord endet, sondern ihrer Entstehungsgeschichte. Sie bestand in einem erbitterten Kampf mit der Zensurbehörde des Bourbonenkönigs in Neapel.

    Antonio Somma hatte ein Libretto über die Ermordung des Schwedenkönigs Gustav III. im Jahr 1792 geschrieben - nach einem Drama von Eugène Scribe. Doch Libretto und Titel wurden geändert und geändert: Denn nach dem Anschlag auf Napoléon III. wollte die Zensur keinen Mord an einem gekrönten Haupt, der König wurde zum Grafen in Pommern degradiert. Auch ein Schuss durfte es nicht sein, nur ein Dolch.

    1858 hieß das Werk "La Vendetta in dominò", dann sollte es im Florenz des Trecento spielen und "Adelia degli Adimari" heißen. Verdi schreibt im April 1858:

    "Wenige Bemerkungen genügen, zu beweisen, dass mein Drama komplett verstümmelt wurde. Ich frage, was im Drama der Opernfirma von mir geblieben ist:
    Der Titel? - Nò!
    Der Dichter? - Nò!
    Zeit der Handlung? - Nò!
    Der Ort der Handlung? - Nò!
    Die Charaktere? - Nò!
    Die Situationen? - Nò!
    Die Auslosung? - Nò!
    Das Ballfest? - Nò!"

    Mit Auslosung meinte Verdi, dass die Verschwörer das Los ziehen, wer den König ermorden soll. Dessen Sekretär Renato stößt zu den Aufrührern. Denn der König, oder Graf Riccardo, gleichviel, hat dessen schöner Frau Amelia erfolglos den Hof gemacht. Renato will nicht dem schwachen Weib, sondern dem scheinbar schuldigen Mann ans Leder. Das Los trifft tatsächlich ihn. Er soll den Anschlag ausführen.

    Obwohl dem veralteten Typ des Situationendramas folgend, ist der "Maskenball" musikalisch neuartig. Verdi bot schließlich die Oper dem Teatro Apollo in Rom an. Doch auch im Kirchenstaat ließ die Zensur nicht locker. Verschiedenen Fürsprechern verdankte er, dass der Text im Großen und Ganzen unverändert blieb. Nur der Schauplatz wechselte noch einmal. Der wütende Verdi flüchtet sich in Sarkasmus. In einem Brief an den Librettisten schreibt er:

    "Was halten Sie von Nordamerika in der Zeit der englischen Herrschaft? Und wenn nicht Amerika, dann irgendein anderer Ort... vielleicht der Kaukasus?"

    Der König, inzwischen zum Grafen herabgestuft, wurde zum Gouverneur von Boston. Zu allem Überfluss war der Impresario des römischen Apollo-Theaters Jacovacci zu geizig, hohe Gagen zu zahlen. Die Sängerinnen der Uraufführung waren daher mäßig, der Tenor Gaetano Fraschini der Star des Abends. Der Beifall war rauschend. Der Zyniker Jacovacci sah das positiv:

    "Was wollen Sie denn mehr? Das Theater ist jeden Abend voll. Im nächsten Jahr werde ich einige gute Sängerinnen auftreiben, und das Publikum wird die Oper nicht wiedererkennen."

    Heutzutage sterben die Tenöre wieder als König, der Graf hat ausgedient. Man spielt jetzt die Urfassung in einer kritischen Rekonstruktion von Philip Gossett, sogar in Neapel. 1860, im Jahr nach der Uraufführung des "Ballo in maschera", waren die Bourbonen aus Neapel verjagt worden: ein "Addio per sempre", ein Abschied für immer.