Freitag, 19. April 2024

Archiv


Der zweite Code

Vieles, was den Menschen ausmacht, steht nicht in seinen Genen geschrieben, und dennoch lässt es sich mit modernen Methoden der Molekularbiologie erforschen. Inzwischen wissen die Forscher: Im Genom steht nicht die ganze Wahrheit. Es gibt eine zweite Ebene der biologischen Information, und die heißt "Epigenetik".

Von Michael Lange | 18.10.2009
    Eine Nervenzelle sieht ganz anders aus als eine Hautzelle, und beide Zelltypen besitzen völlig unterschiedliche Fähigkeiten. Dabei ist ihr genetisches Material, ihr Erbgut, absolut identisch. Das war der Wissenschaft im Grunde seit Jahrzehnten bekannt. Man wusste: Es gibt Steuerungsmechanismen, die festlegen, welche Erbinformation umgesetzt wird, und welche untätig im Zellkern schlummert. Erst in den letzten Jahren jedoch haben Wissenschaftler einige der molekularen Kontrollmechanismen entdeckt, die diese Vorgänge steuern. Seitdem boomt dieser lange brachliegende Forschungszweig namens Epigenetik.

    Mit Begeisterung und Sachkunde erklärt der Wissenschaftsjournalist Peter Spork neueste Forschungsergebnisse dieser Fachrichtung. Dabei kommt er um Begriffe wie Methylierungen, Histon-Modifikationen oder RNA-Interferenz nicht herum. Denn das sind die molekularen Mechanismen, die jedem von uns die Macht über sein Erbgut verleihen. Sie schalten Gene an oder aus und bestimmen letztlich, wer wir sind, was wir können und welche Krankheiten uns bedrohen. Ob und wie viel wir uns bewegen, ob wir rauchen, wie viel und was wir essen und trinken und wie wir unseren Alltag gestalten, all das beeinflusst die persönliche Epigenetik.

    Im Gegensatz zum Erbgut, dem Genom, ist das "Epigenom" nicht festgeschrieben; vielmehr können wir es ändern. Die Epigenetik ist der Teil unserer Biologie, den wir selbst in der Hand haben. Und immer mehr Forschungsergebnisse zeigen, dass dieser Teil viel mächtiger ist, als man noch vor wenigen Jahren glaubte. Der Fokus der Wissenschaft, aber auch vieler Medien, auf das Genom hat dazu geführt, das Erbgut als Kontrollinstanz des Lebens wahrzunehmen. Mit dieser verengten Sichtweise räumt Peter Spork gründlich auf. Für Laien ist sein Buch nicht immer leicht zu lesen. Wer sich jedoch auf seine Erklärungen molekularer Hintergründe einlässt, erhält viele nützliche Informationen.

    Peter Spork: Der zweite Code. Epigenetik – oder wie wir unser Erbgut steuern können
    ISBN: 978-3-498-06407-5
    Rowohlt Verlag, 300 Seiten, 19,90 Euro