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Deradikalisierung
Steiniger Weg zurück in die Gesellschaft

Lassen sich ehemalige IS-Kämpfer wieder in die westliche Gesellschaft integrieren oder bleiben sie eine Gefahr für die Sicherheit? In Frankreich haben die Behörden mit Rückkehrer-Programmen jahrelange Erfahrungen gesammelt. Die Bilanz fällt gemischt aus.

Von Jürgen König | 26.07.2017
    Ein Propagandabild der Terrormiliz IS: Mitglieder in schwarzen Overalls und mit Gewehren in der Hand marschieren durch Raqqa in Syrien. Der erste Mann trägt die schwarz IS-Fahne.
    Ein Propagandabild der Terrormiliz IS: Mitglieder marschieren durch Raqqa in Syrien. (Militant Website / AP)
    Etwa 1.100 Franzosen, schätzen die Behörden, gingen seit 2012 als Kämpfer für den Dschihad nach Syrien und in den Irak, zwei Drittel von ihnen in jugendlichem Alter. 2014 kamen die ersten zurück, etwa 200 Rückkehrer sind es mittlerweile geworden. Sie wurden Untersuchungsrichtern vorgeführt, unter Auflagen freigelassen oder zu Gefängnisstrafen verurteilt. Reue würden die wenigsten Rückkehrer zeigen, selbst jene nicht, von denen Videos existieren, in denen sie zu Attentaten in Europa aufrufen, erzählte im Fernsehsender France 2 David Thomson, ein französischer Journalist, der seit Jahren regelmäßig Kontakt zu Dschihadisten unterhält. Sein Buch "Les revenants", "Die Rückkehrer" wurde in Frankreich ein Bestseller. "Es gibt welche, die Reue zeigen, aber es ist die absolute Minderheit. Der dschihadistische Kampf in Syrien war ein Traum für sie! Natürlich, von der Realität, die sie dann erlebt haben - davon sind sie enttäuscht, alle. An der religiösen Radikalität aber hat sich dadurch bei den meisten nichts geändert, viele heißen auch Attentate nach wie vor gut."
    Staat setzt auf Hilfsangebote
    Von 30 Rückkehrern, mit denen er gesprochen habe, hätten sich nur vier wirklich glaubhaft vom Terror distanziert, sagt David Thomson; zu bedeutend sei für radikale Islamisten die Aussicht auf den "Weg ins Paradies", den der Dschihad ihnen versprechen würde, das Paradies sei "ein zentraler Punkt bei allen". Der Staat antwortet darauf mit Deradikalisierungsmaßnahmen: Hotlines wurden geschaltet, Beratungszentren und Gesprächskreise eingerichtet, in denen sich Rückkehrer und ihre Angehörigen mit Psychologen, Sozialarbeitern, Islamwissenschaftlern austauschen können. David Thomson sieht in diesen Maßnahmen letztlich nicht mehr als den verzweifelten Versuch des Staates, nicht als tatenlos dazustehen. "Die Deradikalisierung - ich glaube, sie ist möglich, aber nur auf eine persönliche Weise. Nur als Ergebnis einer Art Läuterung durch Nachdenken, durch Gespräche mit der Familie und Freunden. Aber ich kenne niemanden, der durch ein staatliches Programm deradikalisiert wurde - es gibt derzeit keine Methode dafür."
    Sechs Evaluierungszentren haben die Behörden eingerichtet, um zu untersuchen, wie gefährlich einzelne Rückkehrer sind oder werden können. Doch eine Deradikalisierung lässt sich nicht nachweisen: Der Mann, der vor einem Jahr im Namen der Terrorgruppe Islamischer Staat einen Priester in seiner Kirche ermordete, war erst kurz zuvor nach zehn Monaten Haft freigelassen worden, mit der Auflage, eine elektronische Fußfessel zu tragen. Er hatte beteuert, sich vom Terror gelöst zu haben - und damit die Richter getäuscht. Der Fall erregte große Bestürzung, seither gehen die Justizbehörden sehr viel rigoroser vor, verurteilten deutlich mehr Rückkehrer zu langjährigen Haftstrafen.
    "Eine epidemische Situation"
    Doch die Gefängnisse sind ein weiteres Problem: die Zellen sind überfüllt, die Gefangenen schlecht zu überwachen, die Radikalisierung nimmt in der Regel noch zu. Also wurden im vergangenen Herbst für verurteilte Rückkehrer aus Syrien oder dem Irak insgesamt 300 Einzelplätze geschaffen - zu wenig, kritisierte Jean-François Forget, Generalsekretär der Justiz-Gewerkschaft UFAP-UNSA:
    "Auch 300 Einzelzellen werden nicht reichen; wir erleben eine epidemische Situation! Im Moment zählen wir 1.359 Gefangene, die wegen kleinerer Delikte einsitzen und dabei sind, sich zu radikalisieren. Rund 350 wurden wegen terroristischer Aktivitäten verurteilt, in den nächsten zwei Jahren könnten noch Hunderte Rückkehrer aus Syrien hinzukommen. Wir haben eine große Herausforderung vor uns, doch die notwendigen Strukturen im Justizwesen - die haben wir noch nicht!"
    Etwa 15.000 radikalisierte Islamisten soll es in Frankreich geben. Sie sind im Netz aktiv, in den Städten, insbesondere in den Vorstädten. Deren Verwahrlosung hat die Politik jahrzehntelang hingenommen, die desolaten Lebensverhältnisse treiben junge Leute geradezu in die Arme der Fanatiker. Alle Staatspräsidenten der letzten Jahrzehnte haben vor ihrer Wahl versprochen, sich der tristen Vorstädte anzunehmen, doch nie hat sich etwas wirklich Grundsätzliches geändert. Auch Emmanuel Macron trat mit großen Plänen an - Sanierung ganzer Stadtviertel, kleinere Schulklassen mit besser bezahlten Lehrern - und auch ihn wird man an seinen Vorsätzen messen.