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Derk Janßen Verlag
Für die partizipatorische Demokratie

Als Derk Janßen 2005 seinen eigenen Verlag gründete, hatte das vor allem einen Antrieb: die Idee der partizipatorischen Demokratie, der "Demokratie als Lebensform", in Deutschland bekannter zu machen. Entsprechend war seine erste Veröffentlichung Walt Whitmans Essay "Demokratische Ausblic­ke". Heute verlegt Janßen auch Lyrik und Prosa.

Von Hans-Dieter Fronz | 19.07.2016
    Gebrauchte Bücher stehen in Kisten vor einem Antiquariat in Berlin
    Gebrauchte Bücher stehen in Kisten vor einem Antiquariat in Berlin (dpa / picture-alliance / Wolfram Steinberg)
    Derk Janßen, so scheint es, hat es mit den Amerikanern - nicht nur als Verleger von Autoren wie Emerson, Walt Whitman und John Dewey, sondern auch in kulinarischen Dingen. Auf meine Frage, was da in der Karaffe grün auf dem Wasser schwimme, erhalte ich zur Antwort: "Hemingway-Minze". Wir sind in einem Zimmer der geräumigen Wohnung Janßens in Freiburg, in die bequem - noch, muss man vielleicht hinzufügen - sein Verlag passt, ein kleines und junges Unternehmen. Derk Janßen, die eher seltene Namensform erzählt von den niedersächsischen Wurzeln des Verlegers, der freilich die meiste Zeit seines Lebens im Südwesten verbrachte - als Kind in einer Gemeinde im Schurwald nahe Esslingen, als Erwachsener in Freiburg, wo er Jura und Philosophie studierte und hängen blieb wie so viele, die dem Charme der Schwarzwaldmetropole erlagen.
    Landespreis für literarisch ambitionierte kleinere Verlage
    Janßen ist diplomierter und praktizierender Jurist, doch seine Leidenschaft gilt der Literatur. Davon zeugt nicht zuletzt die ebenso bibliophile wie originelle Aufmachung der Bücher seines Verlags - etwa der beiden jüngsten Erzeugnisse, die er mir druckfrisch gleich nach der Begrüßung in die Hand drückt: Zwei kartonierte Bücher im etwas größeren Taschenbuchformat, der Erzählungsband "Langer Tag mit grüner Hose" von Hans Hoischen, einem von Janßen entdeckten Autor, sowie ein neuer Gedichtband von Heide Jahnke, deren fulminanter lyrischer Erstling mit dem kecken Titel "von diesem impertinenten grün" vor drei Jahren in seinem Verlag erschien. Kleine Gedichtprobe von Heide Jahnke gefällig?
    endlich
    endlich
    haben wir alles auf den tisch gelegt
    auch unsere hände
    zwei tote vögel
    einer zuckt
    noch
    Dass ihm letztes Jahr der baden-württembergische Landespreis für literarisch ambitionierte kleinere Verlage verliehen wurde, verdankt Janßen nicht allein der verlegerischen Sorgfalt und bibliophilen Ausstattung seiner Bücher, sondern der programmatischen Ausrichtung des Verlags. In den 90er-Jahren arbeitete Janßen an einer Dissertation über das Demokratieverständnis bei Hermann Broch und folgte dabei der intellektuell-geografischen Lebenslinie des österreichischen Schriftstellers, der 1938 in die USA emigrierte. Seine Doktorarbeit schloss Janßen nicht ab - ihm waren Zweifel an der Tragfähigkeit des Brochschen Demokratiekonzepts gekommen - doch:
    "Das was in dieser Befassung mit Hermann Broch geschehen war, ist, dass ich das amerikanische Umfeld, die amerikanische Philosophie kennengelernt habe und die Idee einer irdischen Gründung, einer lebensweltlichen Gründung von Menschenrechten und Demokratie gefunden zu haben glaube im amerikanischen Denken und im amerikanischen Pragmatismus - Pragmatismus, fußend auf William James, John Dewey vor allem, überhaupt in der amerikanischen Tradition, Demokratie nicht als institutionelle Staats- und Regierungsform zu sehen, sondern als Lebensform, als Handlungsvollzug, als partizipatorisches Projekt. Und die Idee partizipatorischer Demokratie, deliberativer Demokratie - Demokratie als Lebensform - ist etwas, das mich so hinein genommen hat in sich, dass ich dann auch den Wunsch hatte, zu dieser Idee in Deutschland tätig zu sein. Und dann hab ich den Verlag gegründet und mit Walt Whitmans 'Demokratischen Ausblicken' das Programm begonnen."
    Veröffentlichungen über "das andere Amerika"
    Die Beschäftigung mit der amerikanischen Gesellschaft und Philosophie hatte Janßen auf den Geschmack gebracht und wirkte nach:
    "Es ist so, dass ich dort Quellen gefunden hab, Philosophien gefunden hab, Denker gefunden hab, von denen ich glaubte, dass sie hier in Deutschland präsent sein sollten. Und nicht nur präsent, sondern sichtbar präsent. Ja, sichtbar präsent. Es ist so, dass die Beschäftigung mit dem amerikanischen Pragmatismus, mit John Dewey - Demokratie als Lebensform, als Lebensphilosophie - erst am Anfang ist hier in Deutschland."
    2007 brachte Janßen einen Band mit drei essayistischen Texten von Ralph Waldo Emerson über Bildung, Religion und über Henry David Thoreau heraus. Es war die zweite Amtszeit von George W. Bush, und Autoren wie Emerson - oder auch Walt Whitman - verkörperten für ihn das andere Amerika. Whitman, den berühmten Verfasser des Gedichtbands "Grashalme", hatte Janßen mit den "Demokratischen Ausblicken" als politischen Essayisten im deutschsprachigen Raum bekannt gemacht:
    "Für mich ist dieses Buch interessant gewesen, weil es ein Bild der amerikanischen gesellschaftlichen Kultur der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeichnet, das unheimlich modern ist. Der Zugang von Whitman zu den gesellschaftlichen Fragen, der Rolle zum Beispiel des Kapitalismus, der Rolle der Medien, der Rolle der politischen Institutionen - dieser Zugang ist heutig. Also, es ist unglaublich was er damals schon sagt und wie das übertragbar ist auf unsere heutige Situation, mich hat das zutiefst berührt, als ich diesen Text zum ersten Mal las. Whitman ist bekannt im deutschsprachigen Raum, im deutschsprachigen Raum vor allem als Dichter. Und die Idee des Buches ist, ihn auch als politischen Denker, als Essayisten bekannt zu machen. Aber es ist sehr schwierig gewesen, dieses andere Amerika war damals nicht in die Öffentlichkeit zu bekommen."
    Mitarbeit an der äußeren Gestaltung der Bücher
    2011 vollzog Janßen - gemeinsam mit seinem neuen Teilhaber Eckhard Brauer, der seither das Lektorat betreut - einen programmatischen Relaunch. Zu den politischen Schriften traten jetzt auch belletristische. Neben Prosa von Hans Hoischen beispielsweise die Flugblattgedichte von S. F. Ahrens, eine in dieser Form noch nicht gesehene Darbietungsweise von Gedichten in einer Art lyrischen Loseblattsammlung. Die Offenheit für derartige originelle Präsentationsformen von Literatur ist kennzeichnend für Janßen, der sich selbst gern auch in die Arbeit an der äußeren Gestaltung seiner Bücher einbringt:
    "Das ist ein ganz kreativer Prozess, in den ich mich persönlich auch sehr stark einbringe, in Absprache und in Beratung mit Druckereien, mit Papierberaterinnen. Eine der schönsten Erfahrungen ist es für mich als Verleger, in der Buchherstellung so nahe dabei zu sein. Ich empfinde es als besonders schön, wenn dann, wie in den letzten Tagen, auch die Bücher kommen und man sie das erste Mal in den Händen hält."
    Gemeint sind die beiden eingangs erwähnten Bände von Hans Hoischen und Heide Jahnke.
    Tiefgründige Lyrik und eigenwillige Prosa
    Politisch-philosophische Essayisten wie Emerson und Walt Whitman; daneben schöngeistige Literatur wie die markant-eigenwillige Prosa von Hans Hoischen oder die sprachlich virtuose und tiefgründige Lyrik von Heide Jahnke - zwischen diesen beiden Polen bewegt sich Janßens Verlag heute programmatisch. Whitman, wissen wir allererst durch ihn, war beides: nicht nur ein berühmter Lyriker, sondern auch Essayist; Hemingway dagegen weder das eine noch das andere. Dafür hat die eingangs erwähnte Minze, der er seinen Namen lieh, durchaus feines, poetisches Aroma. Und das liegt - man sehe mir den etwas gewagten Vergleich nach - so angenehm auf der Zunge wie die Bücher des Derk Janßen Verlags dem Leser in der Hand.