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Des "Weiberers" Amour fou

Am 20. August 1959 ist der österreichische Maler und Grafiker Alfred Kubin gestorben. Er galt schon zu Lebzeiten als einer der Klassiker der "Schwarzen Moderne". Pünktlich zum 50. Todestag Kubins hat Brita Steinwendtner eine poetische Annäherung an Kubin und seine Geliebte vorgelegt.

Von Günter Kaindlstorfer | 19.08.2009
    "Das ist das berühmte Kubin-Haus, weithin zu erkennen an dem Glockentürmchen. Es liegt in einer ganz einsamen Gegend in den Hügeln des Innviertels, südlich von Passau, ein kleines Stück nördlich von Schärding."

    Die Autorin Brita Steinwendtner betritt den alten Gutshof, in dem Alfred Kubin zusammen mit seiner Frau Hedwig ein halbes Jahrhundert lang gelebt hat, von 1906 bis zu seinem Tod 1959. In den alten Gemäuern ist alles noch so, wie Kubin es zurückgelassen hat: Im Vorhaus stehen noch die ausgelatschten Schuhe des Künstlers, am Kleiderhaken hängt die schwarze Pelerine, mit der der Meistergrafiker auf seinen täglichen Spaziergängen Wind und Wetter trotzte.

    "Rechts geht es hinauf in den ersten Stock, in sein Arbeitszimmer, wo er tausende, abertausende von Zeichnungen gemacht hat."

    Pünktlich zum 50. Todestag Alfred Kubins hat Brita Steinwendtner im Haymon-Verlag nun ein brisantes Buch über den berühmten Maler und Zeichner herausgebracht: "Du Engel, du Teufel" heißt der Band. Steinwendtner dokumentiert eine leidenschaftliche Liebesgeschichte, die Kubin in den 30er-Jahren mit der Salzburger Künstlerin Emmy Haesele verband. So genial Kubin als Zeichner war, so problematisch waren einige Facetten seiner Persönlichkeit, weiß die Autorin:

    "Nach allen Zeugnissen, die uns zur Verfügung stehen, war er ein manischer Egozentriker. Er hat so gelebt, wie er wollte, nur, wie er wollte. Es ist alles auf ihn ausgerichtet worden, der Tagesablauf, die Nahrung, alles."

    Kubins Zeichnungen sind bevölkert von Nachtmahren und bizarren Schreckensgestalten aller Art. Dabei war der Künstler im Alltag den Freuden des Irdischen durchaus zugetan.

    "Die Menschen hier in der Gegend haben Kubin nur den "Weiberer" genannt. Er hat sich ja nicht gescheut, die verschiedensten Frauen als Geliebte zu nehmen, das reichte von der Saudirn bis zu den Ehegattinnen enger Freunde. Seine Frau hat das toleriert. Sie hat sich vollkommen in den Dienst dieses "Genies" gestellt. Da spielte zweifellos ein gewisser romantischer Geniebegriff eine Rolle: Ein Genie braucht eben Schonung, ein Genie darf alles."

    Brita Steinwendtners Buch, halb Dokumentation, halb poetische Annäherung, zeichnet ein plastisches Porträt der Kubinschen Liebes-Eskapaden, stilsicher und fernab voyeuristischer Indezenz, wie sie bei Autorinnen und Autoren minderer Qualität bisweilen zu finden ist.

    Im Mai 1932 lernt Alfred Kubin die Salzburger Künstlerin Emmy Haesele kennen, zusammen mit ihrem Mann, einem Landarzt aus Unken im Salzburgerland, besucht Frau Haesele das Ehepaar Kubin in Zwickledt. Es beginnt heftig zu britzeln zwischen dem Künstler und der Landarztgattin. Eine alle Grenzen der Vernunft sprengende Liebesaffäre nimmt ihren Anfang.

    Brief von Emmy Haesele 1:
    Du bist der im tiefsten Herzensgrunde Geahnte,

    schreibt Emmy Haesele an Kubin.

    Du bist mir der von Anbeginn an Verheißene, auf den ich hingelebt habe, für den ich in dieses Dasein getreten bin.

    Und der "Magier von Zwickledt", wie er von seinen Verehrern genannt wird, antwortet seiner Geliebten:

    Ich möchte brennen - ich möchte so ganz und gar zu Nichts an Dir verbrennen!

    "Das war, ja, wie soll man sagen, ein Wasserfall, sie erleben das als Unio Mystica, zwei Sterne, die im Weltall herumgeirrt sind und einander endlich treffen. Das war mehr als eine Amour fou."

    Eine heftige, zweieinhalb Jahre währende Liebesbeziehung beginnt, eine Liebesbeziehung, die alle Beteiligten, vor allem die Ehepartner, an den Rand des Wahnsinns zu bringen droht. Brita Steinwendtner schildert die exzessiven Liebesverwicklungen als verblüffend moderne "Menage à quatre". Dabei ist Steinwendtner eine eindringliche Studie über die Abgründe des Erotischen gelungen, Abgründe, die sich auch in Kubins Werk immer wieder auftun: Das Weib als Verführerin und Verführte, als Heilige und Dirne, als Urmutter und zugleich als Zerstörerin des Lebens - das alles sind ja Topoi, die auch in Kubins Werk immer wieder variiert werden. Dass Emmy Haesele überzeugte Nationalsozialistin war, scheint Kubin nicht weiter gestört zu haben. Kein Wunder, lavierte der Künstler doch später selbst auf wenig heroische Weise durch die Nazizeit, wie Brita Steinwendtner betont.

    "Er selbst sagt, er ist ein Balanceur. Er hat einerseits das Pöbelhafte und das Grobe des Nationalsozialismus zutiefst verabscheut, auf der anderen Seite musste er von etwas leben, und darum hat er Möglichkeiten zu Publikationen und Ausstellungen im Dritten Reich durchaus angenommen. Und er freut sich zum Beispiel, dass Goebbels angeblich ein Bild von ihm gekauft hat."

    Zweieinhalb Jahre dauert die Affäre zwischen Alfred Kubin und Emmy Haesele. Im Februar 1936 macht Kubin dann Schluss. Von einem Tag auf den anderen will er nichts mehr wissen von der Frau, die er kurz zuvor noch als sein "Zwillings-Urweib", seinen "flammenden Stern" besungen hat. Emmy ist zu Tode gekränkt. Immer wieder fährt sie nach Zwickledt, umschleicht das Haus des einstigen Liebhabers, beobachtet Kubin von fern mit dem Feldstecher. Eines Tages spricht sie bei ihm vor. Sie wird von Haushälterin Cilli abgewiesen: Herr Kubin wünscht, nicht gestört zu werden.

    "Emmy Haesele ist ihr Leben lang, bis zu ihrem allerletzten Tag, mit ihrer Liebe zu Alfred Kubin verbunden geblieben. Sie ist nie darüber hinweggekommen, sowohl über das Glück als auch über die Zurückweisung."

    Alfred Kubin scheint die Sache etwas lockerer genommen zu haben. Nach dem Ende der Affäre arbeitet der 59-Jährige wie besessen an seinem Spätwerk weiter, Gattin Hedwig verzeiht dem Gemahl, der Künstler nimmt sich andere Geliebte. Wie Männer eben so sind, auch Geniale.

    Brita Steinwendtner: "Du Engel, du Teufel - Emmy Haesele und Alfred Kubin - Eine Liebesgeschichte", Haymon-Verlag, 192 Seiten, EUR 17,90