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Design
Für Benjamin Graindorge ist Japans Kunst Inspiration

Er gilt als einer der angesagtesten Nachwuchsdesigner Europas. Vielfach ausgezeichnet, muss für Benjamin Graindorge gutes Design nicht nur poetisch und individuell, sondern sich auch praktisch sein. Statt auf Massenproduktion setzt er auf Kleinserien und Einzelstücke.

Von Kerstin Schweighöfer | 24.04.2014
    Blick auf Sacré-Coeœur de Montmartre am Donnerstag (23.06.2011) im französischen Paris.
    Der Designer Benjamin Graindorges lebt in einer Pariser Dachwohnung mit Panoramablick auf den Sacré Coeur. (Friso Gentsch / dpa)
    Ein Glück, dass der Elektriker sofort kommen konnte! Benjamin Graindorge schaut ihm über die Schulter, während er im Badezimmer Heizung und Wasserboiler repariert. Zwei winzige Schlafzimmer, Küche, Bad, Wohnzimmer: Mehr als 40 Quadratmeter hat die Pariser Dachwohnung nicht zu bieten, in der Graindorge zusammen mit seiner Frau und der kleinen Tochter lebt. Aber dafür liegt sie zentral an der Gare du Nord – mit Panoramablick auf den Sacré Coeur.
    Auf dem Esstisch im Wohnzimmer liegen Buntstifte und ein Stapel Papier. Mehr braucht Benjamin Graindorge nicht, um zu entwerfen. Der 34-jährige Designer tut es ganz altmodisch - mit der Hand. Immer, betont er.
    Das Endresultat ist märchenhaft, geradezu magisch - so manch einer reibt sich verwundert die Augen:
    Die Holzbank "Fallen Tree" zum Beispiel sieht aus wie ein umgefallener Baum, dessen Stamm zwar zu einer glatten Sitzfläche gezähmt werden konnte, dessen stolze Krone aber nach wie vor ungebändigt und frei vom Raum Besitz ergreift - sei es nun horizontal statt vertikal.
    Oder die "Morning Mist"-Lampe: Sie besteht aus mehr als 400 aneinandergeklebten Glaskugeln, die an einen transparenten Tross Trauben erinnern. Oder an einen überdimensionalen Klumpen Kaviar.
    "Sie heisst 'morning mist', Morgennebel, weil ich den Moment des Aufwachens, des Noch-nicht-ganz-Wachseins festhalten wollte. Jenen Moment, wenn man verschwommene Ideen hat - zerbrechliche Ideen, die sofort verschwinden, sobald man versucht, sie mit dem Verstand zu erfassen."
    Weniger Naturbursche als Naturwissenschaftler
    Brauner Vollbart, zerzauste Haare, einfaches weißes T-Shirt: Graindorge erinnert eher an einen Landwirt als an einen hippen Pariser Designer. Aber der erste Eindruck trügt: Der junge Franzose ist weniger Naturbursche als Naturwissenschaftler.
    "Ich habe immer zwischen der Kunst und der Wissenschaft geschwankt. Eigentlich wollte ich Architekt werden, aber dann habe ich mich fürs Design entschieden. Ich wollte dichter rankommen an die Dinge. Um all die verschiedenen Materialien und ihre Zusammensetzung zu studieren. Noch heute lese ich lieber Technik- und Wissenschaftsblätter als Hochglanzdesignmagazine."
    Seine größte Inspirationsquelle ist die japanische Kunst und Kultur. Die blassen Farben, die Assemblagen, das Holz und die Zerbrechlichkeit faszinieren ihn.
    So wie bei dem Hocker, den er für "Ligne Roset" geschaffen hat: ein einfaches verschnürtes Päckchen in Pastellfarben - wie es Geishas auf dem Rücken tragen.
    Oder bei seiner Ikebana-Vase: Außen ist sie einfach und schlicht gestaltet, in der Form eines glatten weißen Korbes. Doch in diesem Korb herrscht Chaos, ein Wirrwarr aus Fäden, erstarrten Spaghetti gleich - aber höchst funktionell: Denn zwischen den Spaghettifäden finden einzelne Blumenstengel ausgezeichnet Halt und lassen sich kunstvoll arrangieren.
    Für Graindorge hat gutes Design nicht nur poetisch zu sein, sondern auch individuell, einzigartig. Und: Es muss sich auch gut benutzen lassen. Ein Abschied vom Industriedesign?
    "Wir wollen alle sitzen, aber wir wollen nicht alle gleich sitzen. Es ist ein Irrtum, ein Objekt zu entwerfen, das für 40 Millionen Menschen identisch ist. Industriedesign hat seine längste Zeit gehabt. Wir täten gut daran, Handwerkszeug und Instrumente für Kleinserien und Einzelstücke zu entwickeln. Die Leute wollen etwas Unverwechselbares."