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Designer Wilhelm Wagenfeld
Er nannte sich "Formgeber"

Der Entwurf des jungen Grafikers und Silberschmieds entwickelte sich zum Bestseller. Bis heute ist die "Wagenfeld-Leuchte“ ein Aushängeschild des Bauhaus-Designs. Vor 25 Jahren starb ihr Schöpfer Wilhelm Wagenfeld.

Von Jochen Stöckmann | 28.05.2015
    "Wagenfeld-Lampe"
    Varianten der sogenannten "Wagenfeld-Lampe" in der ersten Sonderausstellung des Neuen Schlosses im sächsischen Bad Muskau 2012. (picture alliance / dpa / Foto: Matthias Hiekel)
    Wilhelm Wagenfeld: "Dann machen Sie jetzt eine Tischlampe, notieren Sie sich: Opalglasschirm – Halbkugel – darunter ein Gestell für die Halterung der Lampe, darunter drei Halbkugeln als Füße. So machen Sie eine neue Tischlampe."
    Die Aufgabe seines Bauhaus-Lehrers hatte Wilhelm Wagenfeld 1924 über Nacht gelöst und en detail ausgearbeitet. Der Entwurf des jungen Graphikers und Silberschmieds entwickelte sich zum Bestseller. Bis heute ist die "Wagenfeld-Leuchte“ ein Aushängeschild des Bauhaus-Designs. Dabei war Wagenfeld, 1900 in Bremen geboren, gar kein ausgemachter "Bauhäusler“. Weniger die avantgardistische Theorie als die ganz praktische Seite der Ausbildung hatte ihn gereizt. Beim Umzug des Bauhauses nach Dessau blieb er in Weimar, um die Experimentier-Werkstätten an der dortigen Hochschule zu einem wirtschaftlich produktiven Betrieb zu machen. Dann aber kam 1929 in Thüringen die NSDAP an die Macht, Wagenfeld und 29 weitere Lehrkräfte wurden entlassen.
    Wilhelm Wagenfeld: "Das ist diese einmalige Situation, eine geistige Spannung, Atmosphäre, die revolutionär gewesen ist – und dementsprechend auch behandelt wurde von all den Kulturreaktionären, die wir damals hatten."
    Die Nazis verlangten "völkische“ Ornamente, "heldisches“ Dekor. Wagenfeld dagegen konzentrierte sich auf das Material: In der Metallverarbeitung kannte er sich aus, in einer Elektro-Werkstatt hatte er volontiert, nun besuchte er die Glasbläser im Thüringer Wald. 1931 erhielt der "Formgeber“, wie Wagenfeld sich in Abgrenzung zu Künstlern oder Designern nannte, einen Vertrag mit dem Glaswerk Schott. Seine Entwürfe für feuerfestes Küchengeschirr, Tee-Services oder Backformen bescherten der Firma ungeahnte Erfolge. Nach 1945 konnte er sein Renommee nutzen und im Auftrag von WMF Cromargan als Ersatz für Tafelsilber populär machen. Ob Salz- und Pfefferstreuer, Zuckerschalen oder Bestecke, alles war aufgrund genauer Beobachtungen des Nutzerverhaltens gestaltet, des "Brauchens“, wie Wagenfeld es nannte:
    Wilhelm Wagenfeld: "Ich gehe nicht aus von dem Gebrauchsgegenstand für seinen primitiven Zweck, nein! Auch für den Zweck des Haltens, des Gießens, das Tee-Eingießen, den Zucker rausnehmen, mit welcher Freude man das Messer in die Hand nimmt. So anders, dass man sagt: Warum sind die nicht immer so gewesen?"
    Industrieprodukte, die stimmig sind wie das Blatt eines Baumes
    Diese Industrieprodukte aber sollten keineswegs billig erscheinen, sondern gut in der Hand liegen, jedermann individuellen Genuss bereiten:
    Wilhelm Wagenfeld: "Wie ein Blatt eines Baumes auf dem Boden, das der Wind dorthin wehte. Ich sehe es an, es ist eine Buche, und sehe sechs Buchenblätter an: alle sind voneinander verschieden, keines ist dem anderen gleich. Und so vielfältig muss auch dann das Produkt sein, das Industrieprodukt."
    Deshalb interessierte sich der Formgestalter immer auch für den konkreten Herstellungsprozess, regte nach seinen Werksbesuchen produktionstechnische Verbesserungen an. Diese Nähe zur Arbeits- und Lebenswirklichkeit vermisste Wagenfeld später schmerzlich, deshalb lehnte er um 1947 zahlreiche Berufungen ab, etwa als Leiter der Folkwang Schule Essen oder an die TH Karlsruhe:
    Wilhelm Wagenfeld: "Das, was notwendig wäre: eine ethische Absicht, auch sozial durchdachte. Aber die Schulen, die heute da sind anstelle der alten Kunstgewerbeschulen, die sind Designschulen geworden, wie man so sagt."
    1954 gründete der mittlerweile hoch angesehene Industriegestalter seine eigene "Werkstatt Wagenfeld“ in Stuttgart. Dort ist Wilhelm Wagenfeld am 28. Mai 1990 gestorben. Hinterlassen hat er nicht nur seine in Hunderten von Gebrauchsgegenständen verkörperte "gute Form“ – sondern auch eine harsche Kritik, gewachsen aus der engen Zusammenarbeit mit Künstlern, Stadtplanern und vor allem Architekten in der Berliner Akademie der Künste:
    Wilhelm Wagenfeld: "Die Wirtschaft diktierte immer mehr, wie der Architekt zu bauen hat. Und wie Deutschland landschaftlich zerstört werden soll zum Nutzen der Wirtschaft. Und von [19]45 an sind die idealistischen Strömungen für einen Neuaufbau, die sind zurückgedrängt worden und nichts weiter sollte sein als nur noch eine Restauration.