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Zustand der Linken
"Rot-Rot-Grün steht 2017 nicht zur Debatte"

Ein rot-rot-grüner Kanzlerkandidat sei aus Sicht der Linkspartei eine "Schnapsidee", sagte der Politikwissenschaftler Eckhard Jesse im Deutschlandfunk. Das müsse auch Gregor Gysi akzeptieren. Die Wählerschaft der Partei sei dabei zum Teil nicht links - und dadurch verliere die Partei Stimmen an die AfD.

Eckhard Jesse im Gespräch mit Dirk Müller | 28.05.2016
    Der Politologe Eckhard Jesse in seinem Haus in Niederbobritzsch bei Freiberg
    Der Politologe Eckhard Jesse. (dpa / picture alliance / Wolfgang Thieme)
    Dirk Müller: Wir bleiben bei der Linkspartei, bei der Verfassung der Linkspartei, bei der Diskussion um die Zukunft der Linkspartei. Unser Thema mit Politikwissenschaftler Professor Eckhard Jesse. Guten Tag nach Chemnitz!
    Eckhard Jesse: Guten Mittag, Herr Müller!
    Müller: Herr Jesse, wir haben das eben gemeinsam gehört, eine Torte gegen Sahra Wagenknecht – ist das mehr als eine Provokation von Störenfrieden?
    Jesse: Nein, das sind absolute Außenseiter. Die Partei ist in gewisser Weise gefestigt. Es ist ja alles nur eine Perspektive der Wahrnehmung. Der Parteitag könnte ja auch ein Parteitag der Dankbarkeit sein, wenn man zurückdenkt, wie es vor vier Jahren ausgesehen hat in Göttingen. Die Partei stand vor einer Art Spaltung. Gregor Gysi hat das damals mit einer Rede in gewisser Weise abgewehrt. Wir sollten also die Kirche im Dorf lassen und eine solche Aktion nicht überschätzen.
    Müller: Aber davon jetzt einmal abgesehen, es gab jetzt diese Gysi-Kritik. Sie sagen, es könnte ein Parteitag der Dankbarkeit sein. Jetzt haben viele Beobachter den Eindruck gewonnen in den vergangenen Tagen, es wird eher ein Parteitag der Abrechnung.
    Jesse: Ja, das muss man abwarten. Was Gregor Gysi betrifft, dem die Partei ja ihr Überleben faktisch verdankt, er hat keine Funktion mehr in der Partei inne und es verbietet sich, da er vom Fraktionsvorsitz zurückgetreten ist, solche Äußerungen zu machen, "saft- und kraftlos". Es wäre konsequent gewesen, die eigene Partei nicht zu kritisieren. Er attackiert also indirekt seine Nachfolge im Fraktionsvorsitz, Wagenknecht und Bartsch. Aber man muss natürlich sagen, in der Sache hat er recht. Die Linke ist ohne Zugkraft. Wenn wir uns vorstellen – ihre Korrespondentin hat es angedeutet –, bei der letzten Wahl in Sachsen-Anhalt hat die AfD über 24 Prozent erreicht, die Linke gerade mal 16. Und die Meinungsumfragen zu den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin sehen ähnlich aus. Die Linke gilt nicht mehr als Protestpartei. Wir haben ja schon gesehen, wie es in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt ausgegangen ist. Also insofern kann es durchaus sein, dass Gysi mit seinem Störfeuer die Partei anfeuern wollte, dass man etwas tun soll.
    Müller: Professor Jesse, da muss ich jetzt noch mal nachfragen: Sie haben eben gesagt, also im Grunde verbietet sich das, so gegen die Nachfolger zu polemisieren, wie immer man das jetzt interpretieren möchte und beschreiben möchte. Auf der anderen Seite war es notwendig. Das heißt, Gregor Gysi hat doch der Partei einen wichtigen Dienst damit erwiesen?
    Jesse: Ja, der Subtext lautete: Unter mir wäre das nicht passiert. Das ist das eine. Andererseits hat er natürlich recht. Es muss was passieren. Nur Gregor Gysis Kritik ist widersprüchlich. Er sagt ja, die Partei muss unbedingt Regierungskraft erlangen, sie muss mehr Gestaltungskraft zeigen. Nur das ist das Problem der Partei. Die Partei ist keine Protestpartei mehr. Und sie wird also von den Wählern deswegen auch weniger gewählt als vorher, da wir die AfD haben. Das heißt also, Gysi muss in gewisser Weise akzeptieren, eine Partei, die an die Regierung strebt, kann nicht so viele Stimmen vereinen, wie eine Partei, die bewusst auf Opposition setzt.
    Müller: Reden wir doch über die amtierenden Namen: Sahra Wagenknecht – um die ging es auch bis jetzt bei den vergangenen zwei Stunden auf dem Parteitag, für diejenigen, die es nicht mitbekommen haben. Also eine Torte wird ihr ins Gesicht geschleudert. Sahra Wagenknecht, sie ist Fraktionschefin gemeinsam mit Dietmar Bartsch. Bleiben wir aber bei Wagenknecht. Ist das eine umstrittene Politikerin, die es immer war, die den Linken tatsächlich Stimmen kostet?
    Jesse: Wagenknecht hat sich etwas gewandelt
    Jesse: Ja, Sahra Wagenknecht hat sich durchaus etwas gewandelt. An sich sind das Banalitäten, wenn sie sagt, Deutschland könne nicht beliebig Flüchtlinge aufnehmen. Sie wurde aber zurückgepfiffen von der Parteispitze. Und im Kern hat Sahra Wagenknecht aber recht. Rot-Rot-Grün ist keine Alternative, nicht politisch, nicht arithmetisch zusammen 40 Prozent. Da hat die Linke keine Machtperspektive. Insofern kann sie Gysis Vorschlag, einen rot-rot-grünen Kanzlerkandidaten zu nominieren, nicht beipflichten. Das wäre eine Schnapsidee. Ein Lagerwahlkampf zwischen links und nicht links steht nicht zur Debatte.
    Müller: Aber dann würde die Linkspartei ja immer – in Anführungen – "Opposition" bleiben.
    Jesse: Na ja, wir müssen abwarten die Zeit nach Merkel, aber gegenwärtig sieht es so aus, dass die Grünen drängen auf einen Kurs mit der Union, sie setzt auf soziale Gerechtigkeit, also Rot-Rot-Grün steht 2017 nicht zur Debatte. Gysi muss das akzeptieren.
    Müller: Noch einmal AfD, noch einmal Thema Flüchtlinge, noch einmal Sahra Wagenknecht. War das ein Bärendienst, den Sahra Wagenknecht da der Partei erwiesen hat, indem sie nämlich gesagt hat, also kritische Äußerungen zur Flüchtlingspolitik, auch kritische Äußerungen gegenüber Kriminalität innerhalb der Flüchtlinge?
    Jesse: Nein, das sehe ich nicht so. Wenn man immanent argumentiert, muss man ja sehen, dass die Linke direkt Wähler an die AfD abgibt. Es sind ähnliche Wählerschichten, eine starke Überrepräsentation der unteren Schichten, bei Arbeit und bei Arbeitslosen, teilweise gesellschaftlich isolierte Personen. Das eigene Lektorat akzeptiert zum Teil nicht die Position der Parteiführung. Die Wählerschaft der Linken, die sind auf Gleichheit ausgerichtet. Es versteht unter Gleichheit eben nicht unbedingt auch den Einbezug von Fremden.
    Müller: Und war das jetzt ein Fehler von ihr oder nicht?
    Jesse: Wenn man immanent argumentiert, muss man sagen, dass Sahra Wagenknecht der Partei genützt hat, allerdings bekam sie dann wieder Kritik. Und eine Partei, die als zerstritten gilt, kommt nie gut bei dem Wähler an.
    Müller: Ist die Partei nun – man fragt sich das ja immer wieder mal, auch wenn man jetzt Gregor Gysi wieder näher mit einbezieht –, ist die Linkspartei links und wird sie links bleiben oder muss sie doch ein bisschen in Richtung Mitte gehen?
    Jesse: Linkspartei ist sozioökonomisch links
    Jesse: Tja, zunächst kommt es darauf an, was man unter links versteht. Sie ist sozioökonomisch sicherlich links. Die Parteiführung will mehr Geld für die unteren Schichten fordern, sie fordert eine Kampfansage an die Reichen, Millionärssteuer. Das ist linker Populismus. Das ist das eine, aber die Wählerschaft der Linken ist zum Teil nicht links. Und dadurch verliert die Partei Stimmen an die AfD.
    Müller: Diese Wählerschaft, von der Sie gerade sprechen, also von dieser Schicht, die ist dann eher Mitte oder sogar rechtslastig, aber warum haben die die Linken vorher gewählt?
    Jesse: Na ja, die PDS, die Linkspartei, die Linke galt als Protestpartei. Viele waren unzufrieden aus unterschiedlichen Gründen. Und die Linke wurde gewählt. In dem Moment, in dem sie als etabliert gilt – sie regiert in Brandenburg mit, in Thüringen stellt sie sogar den Ministerpräsidenten –, führt dies dazu, dass viele enttäuscht von der Linken sind und sich von ihr abwenden. Das heißt also, der Preis der Akzeptanz der Partei ist ein Verlust an Wählern.
    Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk der Politikwissenschaftler Professor Eckhard Jesse. Danke für das Gespräch! Ihnen noch einen schönen Tag!
    Jesse: Danke sehr!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.